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1
©
ARISTOTELES' POLITIK
ERSTES, ZWEITES UND DRITTES BUCH
MIT ERKLÄRENDEN ZDBÄTZEN INS DEUTSCHE ÜBERTRAGEN
VON
JACOB BERNAYS.
Berlin 1872.
Verlag von Wilhelm Hertz.
(Bessersche Buchhancllung.)
London: Williams und Norgate.
/ä///^ (^fd
JOHANNES BRANDIS
ZUGEEIGNET
VON
I
JACOB BERNAYS,
\
Der folgende Versuch beabsichtigt, den ersten
Haupttheil der von Aristoteles für seine politischen
Lehrvorträge gemachten Aufzeichnungen in einer
die Treue mit der Fasslichkeit verbindenden üeber-
tragung den politisch und geschichtlich gebildeten
Deutschen vorzulegen. Um Fasslichkeit zu errei-
chen, schien es in einigen Fällen zweckmässig,
dem schon im späteren Alterthum von Themistius
für andere aristotelische Werke gegebenen Beispiel
nachzustreben und den Fortschritt der Gedanken-
entwicklung dadurch deutlich und gleichmässig
zu machen, dass die von Aristoteles unterdrückten
Mittelglieder der Schlussbildung und überleitenden
Wendungen in einer frei gewählten, möglichst
kurzen Fassung ergänzt werden. Diese über den
griechischen Wortlaut hinausgehenden Zusätze sind
II
durch cursiven Druck kenntlich gemacht. Un-
nöthig schien jedoch eine solche äusserliche Kenn-
zeichnung in den vielen anderen Fällen, wo die
griechische Urschrift in leisen, aber unzweideuti-
gen Fingerzeigen eine hinlänglich sichere Gewähr
für den volleren deutschen Ausdruck darbot.
Bonn, Juni 1872.
Inhalt«
Erstes Buch S. 3 — 50
Einleitende Bemerkungen über die Würde
des Staats und den Unterschied der Herr-
schaftsformen 3 — 4
Genetische Betrachtung des Staats . . 4 — 10
Das Sclaventhum . 11 — 24
Natürliches Sclaventhum .... 14 — 18
Gesetzliches Sclaventhum .... 18 — 22
Lehre vom Besitz, vom Handel und vom
Gelde 24—42
Behandlung der Hausgenossen .... 42 — 50
Zweites Buch 53—126
Der platonische Staat 54 — 74
Frauengemeinschafb 54 — 64
Gütergemeinschaft 65 — 71
Die platonischen Gesetze . . . . . . 75 — 82
Der Staat des Phaleas 83—90
Gleichheit des Besitzes .... 84 — 89
Der Staat des Hippodamos 90 — 96
Gründe für und gegen die Neuerungen . 96 — 98
Die spartanische Verfassung 99 — 110
Rä^iO -/ ^ ,
1 Der Staat ist oflfenbar eine Gemeinschaft; ^^^*®,*««
' Staats.
und da jede Gemeinschaft zur Erreichung eines
Guts geschlossen ist — thut doch überhaupt Nie-
mand Etwas als wegen der damit verbundenen
Vorstellung von etwas Gutem — : so erhellt dass,
während jede Gemeinschaft irgend ein Gut er-
strebt, dieses Streben das eifrigste und das er-
strebte Gut das alleroberste ist in der allerober-
sten und alle übrigen umfassenden Gemeinschaft
d. h. in der staatlichen.
Zunächst nun stellen alle dieienigen die ?°*f»':
•^ ° schied der
Sache nicht richtig dar, welche mit Flaton mei- g^afts-
nen, die Erfordernisse zu einem Staatsmanne im °^™^°'
Verfassungstaat, Könige, Hausvater und Herrn
seien dieselben ; sie glauben nämlich, der Unter-
schied zwischen ihnen bestehe nur im Mehr oder
Minder, nicht im Wesen; näher gesagt: wo es
sich um Wenige handle, da heisse es Herr, wo
um Mehrere, Hausvater, wo um noch Mehrere,
verfassungsmässiger Staatsmann oder König, da
ja, meint man, ein grosses Haus und ein kleiner
Staat dasselbe bedeuten ; und, bezüglich des Ver-
4 1,2.
hältnisses zwischen dem verfassungsmässigen
Staatsmann und dem Könige, so heisse er dann
König, wann er selbst an der Spitze stehe, wann
er hingegen, nach gewissen Bestimmungen, wie
die entsprechende politische Wissenschaft sie an
die Hand gebe, auch seinerseits wieder Unter-
than werde, dann heisse er verfassungsmässiger
Staatsmann. Dem ist jedoch nicht so. Deutlich
wird dieser Punct werden durch eine nach der
für uns leitenden Methode angestellte Untersu-
chung. Wie nämlich auf anderen Gebieten die
Zerlegung des Zusammengesetzten fortgeführt
werden muss bis auf die einfachen, mithin klein-
sten, Theile des Ganzen, so wird auch eine ähn-
liche Forschung nach den einfachen Bestand-
theilen des Staats uns bessere Einsicht verschaffen
sowohl in den gegenseitigen Unterschied der ge-
nannten Regierungsarten, als auch darüber, ob
es möglich sei etwas Systematisches über jede
einzelne derselben aufzustellen.
Genetische Will man uuu wic audcrswo so auch hier 2
Betrach-
*Äte^^ die Dinge in ihrem fortschreitenden Wachsen
sehen, so ist die zweckmässigste Art der Betrach-
tung wohl folgende. Zuvörderst müssen diejeni-
gen sich paaren, die einander nicht entbehren
können, also, Männliches mit Weiblichem zum Be-
huf der Zeugung — und zwar fällt diess nicht in
den Bereich des freien Willens, sondern wie bei
den übrigen animalischen Geschöpfen und bei
1, 2. 5
den Pflanzen, ist es auch bei dem Menschen ein na-
türlicher Trieb seinesgleichen zu hinterlassen — ;
und das kraft seiner Natur Gebietende rauss sich
paaren mit dem kraft seiner Natur Gehorchenden
zum Behuf der Erhaltung; wo nämlich das Ver-
mögen geistiger Voraussicht vorhanden, da ist
natürlicher Beruf, Gebieter und Herr zu sein, wo
hingegen die Fähigkeit zu bloss körperlicher
Verrichtung der empfangenen Befehle, da ist
natürlipher Beruf, Sclave zu sein; deshalb, weil
Herr und Sclave einander nicht entbehren können,
besteht auch Gleichheit der Interessen zwischen
ihnen. — Von Natur nun sind Weib und Sclave
geschiedene Wesen ; denn Nichts schafft die Natur
in ärmlicher Weise, wie die Messerschmiede das
delphische Messer, sondern zu je einem Zwecke
schafft sie ein besonderes Mittel; kann doch auch
ein jedes Werkzeug nur dann in grösster Voll-
kommenheit hergestellt werden, wenn es nicht
zu mehreren, sondern nur zu Einer Arbeit dienen
soll. Bei den Barbaren jedoch fallen Weib und
Sclave zusammen. Der Grund liegt darin, dass
bei ihnen das von Natur zum Gebieten bestimmte
Element fehlt; die eheliche Gemeinschaft kann
demnach nur eine zwischen Sclave und Sclavin
sein. In diesem Sinne heisst es auch bei den
Dichtern [Euripides, Iphigenia in Äulis 1401]:
'Billig herrschen über Barbaren Griechen', indem
von Natur Barbar und Sclave fttr identisch gelten.
6 . I, 2.
Der Haus- Aus dicseii zwei Gemeinschaften, Mann und
stand.
Weih, Herr und Sclave, entsteht nun zuerst das
Haus, und Hesiodos hat es richtig getroflfen in
seinem Verse [Werke tmd Tage 403]: 'Schaffe zu-
erst dir ein Haus, ein Weib und zugleich einen
Pflugstier'; bei den Armen nämlich vertritt der
Stier die Stelle des Knechtes. Diese Gemein-
schaft also, welche, durch natürlichen Trieb ge-
schlossen, alle Beziehungen des täglichen Lebens
urafasst, ist der Hausstand, 'Brodkorbgenossen'
wie sie Charondas, 'Troggenossen' wie sie der
Kreter Epimenides nennt. Die aus mehreren
solchen Hausständen zunächst sich bildende, einen
Verkehr von nicht vorübergehender Dauer be-
DasDorf. zwcckcnde Gemeinschaft, ist das Dorf. Am
naturgemässesten möchte man wohl eine Colonie
des Hauses in dem Dorfe erkennen, dessen Mit-
glieder, Kinder und Kindeskinder des Hauses,
auch in gewissen Gegenden Milchvettern heissen.
Wegen dieser Entwickelung des Dorfes aus dem
Hause war auch die ursprüngliche* Regierungs-
form in den griechischen Staaten, wie noch heut-
zutage bei den nichtgriechischen Völkerschaften,
das Königthum, weil nämlich solche, die von
Königen beherrscht wurden, zu staatlichem Ver-
bände sich vereinigten. Denn jeder Hausstand
steht unter königlicher Herrschaft des durch
Alter Ehrwürdigsten, und so blieb denn auch in
den Colonien des Hauses, in Folge der Verwandt-
1,2. 7
Schaft, dieselbe Regierungsforra bestehen. Diesen
Zustand königlich beherrschter Dörfer schildert
auch Homeros [Odyssee 9, 114] bei den Kyklopen:
'Jeder Einzelne richtet Seine Kinder und Weiber*;
jeder fUr sich, weil sie in weiten Zwischenräumen
von einander wohnten; und so wohnte man über-
haupt vor Alters. Eben hieraus entspringt ferner
die allgemein verbreitete Meinung, dass über die
Götter ein König gesetzt sei, weil man nämlich
selbst, theils noch jetzt, theils vor Alters Könige
hatte, und die Menschen sich wie die Gestalten
so auch die Lebensweise der Götter nach ihrem
eigenen Ebenbilde machen. — Die aus mehreren st»dt und
Dörfern gebildete Gemeinschaft endlich ist die
zum Staat vollendete Stadt, wo nun, schlechthin
zu reden, das Ziel vollkommenen Sichselbstge-
nügens erreicht ist; sie entsteht zwar aus dem
Bedürfniss blossen Lebens, besteht jedoch zur
Erreichung eines guten Lebens. ^— Hiernach er- ^^ jjraeS*-
giebt sich, dass jeder Staat Erzeugniss der Natur ^It^.""
ist, da ja die ihm vorangehenden Gemeinschaften
es sind. Denn er ist ihre Vollendung, und in
der Vollendung tritt die Natur hervor. Nennen
wir doch Natur eines jeglichen Dinges denjenigen
Zustand, welchen es nach vollendetem Werden
zeigt, z. B. bei einem Menschen, Pferde, Hause.
— Noch auf folgende Weise lässt sich der Natur-
ursprung des Staates darthun: Endzweck und
Vollendung sind begrifflich gleich dem Besten;
8 1, 2.
das Sichselbstgentigen also, welches ja dem
Staate zukommt, muss, da es anerkanntermaassen
das Beste ist, auch Vollendung sein; Vollendung
wiederum und Natur fallen^ wie eben heunesen,
zusammen; mithin ist der Staat ein natürliches
Ereeugniss, — Hieraus erhellt also, dass der
Staat zu den Naturdingen gehört und der Mensch
ein von Natur staatliches Geschöpf ist und ein
nicht zufällig, sondern von Natur Staatloser ent-
weder übermenschlich oder ein verdorbener Mensch
ist, von demselben Schlage wie der bei Homeros
[Ilias 9y 63] gescholtene 'Mann ohne Sippe, ohne
Recht, ohne Heerd'. Wer nämlich von Natur so
geartet ist, der muss zugleich auch wirklich, wie
es bei Homeros weiter heisst, 'kriegsstichtig' sein,
da er wie der Räuberstein im Bretspiel auf eigene
Faust lebt. — Dass der Mensch aber auch noch
in viel höherem Maasse ein staatliches Geschöpf
ist als alle Bienen oder sonst ein Gesellschafts-
thier, ergiebt sich aus Folgendem : Nichts schafft,
nach unserem oft ausgesprochenen Grundsatz, die
Natur zwecklos ; dem Menschen aber ward allein
stimme und uutcr allcu animalischcn Geschöpfen Sprache ge-
Sprache. " . r jr D
geben. Die blosse Stimme giebt nur Zeichen von
Schmerz und Lust und ist daher auch den Thieren
verliehen, deren Natur nicht weiter reicht als
Schmerz und Lust zu empfinden .und davon sich
unter einander Zeichen zu geben. Die Sprache
hingegen soll Nützliches und Schädliches, mithin
1, 2. 9
auch Recht und Unrecht, klar ausdrücken. Denn
diess ist dem Menschen im Vergleich mit den
Thieren eigenthümlich, dass er allein Sinn hat
für Gutes und Schlechtes, für Recht und Unrecht
und die verwandten BegriflFe. Auf der Gemein-
schaft aber in diesen Dingen beruht Haus und
Staat.
Ferner ist von Natur der Staat früher als ^er*^is
der Hausstand und die Individuen. Denn das ^*dum^^^"
Ganze ist nothwendig früher als der Theil. Hört
doch nach Aufhebung des Ganzen jeder einzelne
Theil, z. B. Fuss oder Hand, auf, das zu sein
was er ist, und bloss die Namensgleichheit bleibt,
die in solchem Falle nicht mehr bedeutet als
wenn man von einer steinernen Hand spricht;
denn eine vom Körper getrennte wird eine un-
brauchbare Hand. Die Wesensbestimmtheit jedes
Dinges aber liegt in seiner Wirkung und Kraft;
sobald es daher diese verliert, darf man es nicht
mehr als dasselbe Ding, sondern nur als ein gleich-
namiges ansprechen. Die Anwendung dieser Sätze
ergiebt die aufgestellte Behauptung, dass der
Staat nicht bloss von Natur, sondern auch früher
als das Individuum ist, da dieses, wenn es in
seiner Vereinzelung . sein volles Gentige nicht
findet, sich zum Staat verhält wie überhaupt der
Theil zum Ganzen; wenn es hingegen zur Ge-
meinschaft unfähig oder ihrer, weil es in sich
selbst sein volles Genüge findet, gar nicht be-
10 1, 3.
dürftig ist, dann freilich ist es keineswegs ein
Theil des Staats, vielmehr entweder ein Thier
oder ein Gott. — Von Natur also liegt in allen
Menschen der Zug nach einer staatlichen Ge-
meinschaft ; wer sie aber zuerst ins Werk gesetzt
hat, dem werden die höchsten Güter verdankt.
Denn wie der Mensch, wenn er im Staat seine
Vollendung findet, das beste unter allen Geschöp-
fen ist, so ist er, losgelöst von Gesetz und Recht,
das allerschlimraste. Ist ja gerüstetes Unrecht
das gefährlichste. Und der Mensch ist geschaffen .
mit einer Rüstung zu Einsicht und Tugend, kann
dieselbe jedoch gar leicht zum Gegentheil ge-
brauchen; deshalb ist er auch, ohne Tugend, das
wildeste und ruchloseste Geschöpf, schlimmer als
alle anderen in Unzucht und Völlerei. Die Ge-
rechtigkeit nun aber, der Gegensatsi zu jenem ge-
fährlichen Unrecht, ist an den Staat gebunden;
denn das Recht ist nichts als die Ordnung der
staatlichen Gemeinschaft, und es bestimmt seine
Entscheidung nach dem Begriff der Gerechtigkeit.
DieHaus- Gcmäss dicscr Darlegung über die Bestand- 3
Schaft. w^^Wq des Staats muss nun zuerst von der Haus-
wirthschaft gehandelt werden ; denn jeder Staat
besteht ja aus Hausständen. Die Theile des
Hausstandes wiederum sind die Personen, die
ihn bilden, und der vollkommene Hausstand be-
steht aus Sclaven und Freien. Da nun ferner
die Untersuchung sich immer zuerst auf die klein-
1,3. 11
sten Theile des Gegenstandes richten muss, als
erste und kleinste Theile des Hausstandes aber
Herr und Sclave, Ehemann und Eheweib, Vater und
Kinder abzusehen sind, so müssen wir diese drei
Paare betrachten, was sie sind und wie sie sein
sollen; d. h. wir müssen betrachten: das Herrn-
verhältniss, das eheliche Verhältniss *), das elter-
liche Verhältniss*). Bei diesen dreien mag es
zunächst verbleiben. Es giebt freilich auch noch
ein Viertes, welches nach Einigen mit der Haus-
wirthschaft identisch, nach Anderen ihr wichtig-
ster Theil sein soll, und wie es sich damit ver-
halte, muss erörtert, werden; ich meine die
Finanzkunde. — Zuerst wollen wir also von dem sciaven.
thum.
Herrn und dem Sciaven reden mit Rücksicht auf
die wichtigsten Puncte der praktischen Anwen-
dung, und zugleich wollen wir versuchen über
diess Verhältniss richtigere theoretische Ansichten
als die jetzt verbreiteten zu gewinnen. Den
Einen nämlich ist das Herrenwesen eine Wissen-
schaft und zwar eine und dieselbe mit der
Wissenschaft vom Hausstand und vom Ver-
fassungsstaat und vom Königthum, wie wir schon
im Eingange erwähnten. Andere wiederum halten
das Herrenthum für widernatürlich, da der Unter-
*) Im griechischen Text folgt hier eine kurze
Zwischenbemerkung, welche das Fehlen eines gebräuch-
lichen griechischen Worts für dieses Verhältniss betrifft
und eich auf Deutsch nicht nachbilden lässt.
12 1, 4.
schied zwischen dem Herrn und dem Sclaven
nur ein conventioneller, von Natur aber beide
gleich seien. Und weil widernatürlich, so sei
das Herrenthum, als auf Gewalt beruhend, auch
widerrechtlich.
Der Besitz nun ist ein Theil des Haus- 4
Standes und die den Besitz betreffende Lehre
ein Theil der Haus wirthschaftskunde; denn wenn
der nothwendige Untei:halt mangelt, ist das blosse
Leben wie das gute Leben unmöglich; ferner,
wie der zunftmässige Handwerker die passenden
Werlizeuge vorfinden muss, wenn das Werk zu
Stande kommen soll, so muss es auch derHaus-
wirth; Werkzeuge nun aber sind theils leblos,
theils lebendig, z. B. für den Schiffscapitän ist
das Steuerruder ein lebloses, der Steuermann
ein lebendiges Werkzeug, wie ja überhaupt in
den Handwerken der Handlanger wesentlich ein
Werkzeug ist. Hiernach ist also das Besitzsttick
ein Werkzeug zum Leben, der Besitzstand eine
Menge von Werkzeugen, der Sclave ein leben-
diges Besitzsttick, und jeder Handlanger ist
gleichsam ein die Mängel aller übrigen austtlUen-
des Werkzeug. Denn wenn jedes Werkzeug
auf Befehl oder diesem zuvorkommend seine
Leistung vollzöge, wie von den Bildsäulen des
Dädalos die Sage geht oder von den Dreifüssen
des Hephästos, die, nach des Dichters [Ilicis 18,
376] Wort, 'aus eigenem Trieb sich in die Götter-
\
1,4. 13
Versammlung begeben*, wenn so die Websehiflfe von
selbst webten und die Zitherschlägel spielten,
dann hätten weder die Meister ein Bedürfniss
nach Gesellen, noch die Herren nach Sclaven. —
Die gewöhnlich so genannten Werkzeuge sind ^'**^*'^****'*
nun aber productionale, das Besitzstück hingegen ^*^**°°'
ist ein actionales. Denn mit dem Webschiff wird
noch etwas Anderes ausser seinem Gebrauch be-
schafft, ein Gewand und ein Bett jedoch werden
bloss gebraucht. Production ferner und Action
sind wesentlich verschieden, und da jede von
ihnen Werkzeuge nöthig hat, so müssen die
Werkzeuge sich auch in derselben Weise scheiden.
Das Leben ist nun aber Action, nicht Production.
Den Sclaven also, welchen der Herr zu seinem
Lehen braucht, wird man bezeichnen müssen als
ein itir das actionale Gebiet bestimmtes, dienendes
Wesen. — Ferner unterliegt 'Besitzstück' begriff-
lich demselben Grad der Relation wie 'Glied'.
Das Glied ist nicht bloss Glied eines Anderen,
sondern ist ohne ein Anderes nicht denkbar; und
ebenso ist es mit dem Besitzstück. Demnach ist
zwar der Herr bloss Herr des Sclaven und keines-
wegs ohne den Sclaven undenkbar; der Sclave
liingegen ist nicht bloss Sclave des Herrn,
sondern ohne den Herrn undenkbar. Hieraus
erhellt also das Wesen und die Bedeutung des
Sclaven. Wer nämlich von Natur nicht sich
selbst angehört, sondern zu einem Anderen gehört,
14 1,5.
und doch ein Mensch ist, der ist von Natur
Sclave. Ein Mensch gehört aber zu einem Anderen,
wenn er als Mensch ein Besitzsttick ist, und die
Definition von Besitzsttick lautet: ein von dem
Benutzenden körperlich geschiedenes, actionales
Werkzeug.
Natüruches Ob CS uuu aber von Natur so geartete 5
Sclaven-
thxaa. Menschen geben könne, und das Sclaventhum
für gewisse Menschen gut und gerecht, oder
vielmehr Sclaverei unter allen Umständen wider-
nattirlich sei, diess muss den nächsten Gegen-
stand unserer Untersuchung bilden. Man kann
dartiber unschwer sowohl auf theoretischem Wege
ins Klare kommen als auch durch thatsächliche
Erscheinungen sich belehren lassen. Das Ver-
hältniss nämlich von Gebieten und Gehorchen
ist nicht bloss ein nothwendiges sondern auch
ein beiderseitig nützliches, und gleich vom An-
beginn des Daseins treten in manchen Fällen
die Elemente aus einander, die einen auf die
gehorchende, die anderen auf die gebietende Seite.
Auch giebt es vielerlei Arten von Gebietenden
und Gehorchenden, und je besser die Gehorchen-
den sind, desto förderlicher ist die Botmässigkeit,
z. B. die über einen Menschen geübte ist förder-
licher als die über ein Thier ; denn die Güte der
Leistung steht im Verhältniss zu der Trefflich-
keit der Vollbringer, und überall wo Eines ge-
bietet und das Andere gehorcht, kommt eine
1, 5. 15
Leistung zu Stande. Vielerlei Arten von Gebietenden
und Gehorchenden stellen sich aber deshalb herauSf
weil wo nur immer ein geschlossenes Ganzes aus
mehreren Bestandtheilen sich bildet, mögen diese
• BestandtheiFe räumlich ungetrennt oder getrennt
sein, tiberall auch das gebietende und das ge-
horchende Element zum Vorschein kommt. Und
zwar ist diess ein allgemeines Naturgesetz, und
nur als ein solches, nicht als ein dem Leben eigen-
thümlicheSj waltet es im Reich der lebendigen
Wesen; denn auch in dem Unlebendigen zeigt
sich «ine Art von botmässiger Ueber- und Unter-
ordnung z. B. in der musikalischen Harmonie.
Diess jedoch weiter zu verfolgen, möchte- zu
einer äusserlichen Betrachtungsweise führen. Be-
schränken wir uns auf das lebendige Geschöpf.
Es besteht zunächst aus Seele und Leib, und
ihrer Natur nach ist jene das gebietende, dieser
das gehorchende Element. Wo es sich nämlich
um die Natur eines Dii^es handelt, muss man
die möglichst naturgemässen Erscheinungen ins
Auge fassen, nicht die abnormen. In unserem
Falle also haben wir den Menschen in möglichst
guter leiblicher und seelischer Verfassung zu
betrachten, und bei diesem ist es deutlich wie
die Seele gebietet und der Leib gehorcht. Bei
schlechten Menschen freilich, oder bei Menschen
in schiechter Verfassung will es oft scheinen
als gebiete der Leib über die Seele, eben weil
le 1, 5.
sie in krankhaftem und widernatürlichem Zu-
stande sind. Zunächst also kann man nach
unserer Auffassung innerhalb des einzelnen leben-
digen Geschöpfs Botmässigkeit wahrnehmen, wie
sie der Herr eines Sclaven und wie sie der
Beamte im Verfassungsstaat übt ; denn die Seele
gebietet dem Leibe wie ein Herr, und die Ver-
nunft der Begierde wie ein 'Beamte und König.
Und hier ist es augenfällig, wie natürlich nicht
bloss, sondern auch nützlich es für den Körper
ist, dass er der Seele, und für das leidenschaft-
liche Seelenelement, dass es dem kraftthätigen
Geist und vernünftigen Element gehorche, und
wie verderblich hingegen für alle Betheiligten
Gleichstellung oder ein umgekehrtes Verhältniss
ist. Ferner, in den Beziehungen des Menschen
zu den Thieren bewähren sich ebenso die auf-
gestellten Behauptungen. Denn die zahmen Thiere
sind von besserer Natur als die wilden, und für
alle zahmen Thiere ist es gut, dass sie dem
Menschen gehorchen, weil dann ihr Leben ge-
schützt ist. Endlich, vergleicht man Mann und
Weib, so ist jener von Natur stärker, dieses
schwächer, jener gebietend, dieses gehorchend.
Auf ähnliche Weise muss nun auch in der ge-
sammten Menschheit ein von Natur gebietender
und ein von Natur gehorchender Theil vorhanden
sein. Bei denen nun der Abstand so gross ist
wie zwischen Seele und Körper und zwischen
1,5. 17
Mensch und Thier — und in dieser Lage be-
finden sich Alle, deren Leistung bloss darin be-
steht, dass ihr Körper benutzt wird und die zu
nichts Besserem zu gebrauchen sind — das sind
von Natur Sclaven, und iHr solche ist es nun, so
gut wie für die genannten anderen Arten von Ge-
horchenden, auch zum eigenen Wohl, dass eine
sclavische Botmässigkeit über sie geübt werde.
Denn von Natur Öclave ist, wer im Stande ist,
zu einem Anderen ganz und gar zu gehören —
nur weil er dazu im Stande ist, geschieht ihm
ja auch thatsächlich so — und wer an der Ver-
nunft bloss in so fem Theil hat, dass er sie ver-
nimmt, aber nicht besitzt; durch einen Gebieter
also, welcher Vernunft hesitzt, erwächst dem Scla-
ven Schute und Förderung. Der Unterschied zwi-
schen dem Sclaven und den Thieren liegt darin,
dass diese die Vernunft auch nicht einmal ver-
nehmen, sondern ihren Trieben folgen. Wie
nun dieser Unterschied Teein sehr beträchtlicher ist,
so weicht auch die Art ihrer beiderseitigen Ver-
wendung nicht weit von einander ab; denn
beide, Sclaven wie Hausthiere, leisten körperliche
Beihilfe zur Beschaffung des nöthigen Bedarfs. — •
Die Richtung der Natur geht nun offenbar da-
hin, auch in der Körperbildung Freie und Sclaven
zu scheiden, diesen einen stämmigen Körperbau
zu geben, wie er iHr ihren niederen Dienst taugt,
Janen einen schlanken, der zu Sclavenarbeit un-
2
18 1, 6.
geschickt, aber für den Lebensbernf eines freien
Bürgers in Krieg and Frieden passend ist; doch
kommt auch das Gegentheil oft Yor, dass Sciaven
Körper wie Freie, und Freie nur in ihrer Seele
das freie Gepräge haben. Jedenfalls jedoch ist
diess klar: gäbe es wirklich Menschen, die bloss
in ihrer Körperbildung einen solchen Grad von
tiberragender Schönheit zeigten, wie die Bild-
säulen der Götter, so würde die allgemeine Stimme
es fttr richtig erklären, dass diesen alle, welche
ihnen nachstehen, als Sclaven dienen. Ist nun
diess für den Körper wahr, so muss es mit noch
viel grösserem Recht für den Seelenunterschied
gelten, auf welchen wir die Scheidung von Herr
und Sclave gegründet haben. Aber freilich, man
kann die Schönheit der Seele nicht so mit Au-
gen sehen wie die des Leibes. Wie schwer man
sie aber auch erkenne, jedenfalls ist es klar, dass
es gewisse Menschen giebt, Itir welche die Schei-
dung in Freie und Sclaven eine natürliche ist,
und flir solche ist das Sclaveuthum nützlich so-
wohl wie gerecht.
Ge8«te- Dass jedoch auch die Vertheidiger der ent- g
vpnthum. gegengcsctztcn Meinung, welche das Sclaventhumfür
widernatürlich und ungerecht erTdärt, in gewissem
Betracht Recht haben, lässt sich unschwer erkennen.
Die Ausdrücke 'in Sclaverei sein^ und ^Sclave^,
werden nämlich in zwiefachem Sinne gebraucht.
Ausser dem natürlichen, giebt es auch noch einen
1, 6. 19
gesetzlicben Sclaven und zeitweilig in Sclaverei
Befindlichen. Das Gesetz, um das es sich dabei
handelt, ist die allgemeine Uebereinkunft, kraft
welcher alles im Krieg Besiegte an die Sieger
fallen soll. Gegen diesen Rechtssatz nun erheben
viele unter den Rechtsgelehrten, gleichsam wie
gegen einen Redner, der einen neuen Gesetzvor-
schlag einbringt, die Anklage auf Gesetzwidrig-
keit, da es empörend sei, wenn Einem, der ge-
waltthätig zu sein vermag und bloss an Macht
überlegen ist, der vergewaltigte Theil Sclave
und botmässig sein soll. Bei dieser Frage schla-
gen sich die Einen auf diese, die Anderen auf jene
Seite; auch die Philosophen sind zwiespältig dar-
über. Der Grund der Meinungsverschiedenheit
und der gemeinsame Boden, auf dem die abwei-
chenden Auffassungen sich bewegen, liegt darin,
dass gewissermassen die innere Tüchtigkeit es
ist, welche, wenn sie die äusseren Mittel erlangt,
auch zur Gewaltthat am befähigtsten wird, und
jegliche Uebermacht auf dem Vorzug in irgend
einer guten Eigenschaft beruht, so dass die Ge-
walt nicht jedes edleren Elements baar zu sein
scheint und die Meinungsverschiedenheit also nur
die Frage nach der Gerechtigkeit betrifft. Denn
nun finden die Einen die Gerechtigkeit in wohl-
wollender Behandlung, welche Sclaverei amschliesse ;
den Anderen gilt eben diess für gerecht, dass
der IJeberlegene Gebieter sei. Ständen sich hin-
20 I, ß.
gegen die Auffassungen in völliger Schroffheit ge-
genüber, so dass nach der einen die bloss äussere^
brutale Gewalt, nach der anderen die innere Tuch-
tigkeit d^n Anspruch auf Herrschaft begmnde,
dann würde diejenige Auffassung, welche es be-
streitet, dass der durch innere Tüchtigkeit bessere
Mann Gebieter und Herr sein soll, gar nichts Trif-
tiges oder auch nur Scheinbares für sich anführen
können. Einige jedoch klammern sich gänz-
lich an ein vermeintes empirisches Recht an, der-
gleichen das Gesetz ist, und stellen die Kriegsscla-
verei, bloss weil das Gesetz sie sanctionirt, als gerecht
hin, sind jedoch gezwuugenin demselben Athem sie
als ungerecht anzuerkennen. Denn erstlich kann
der Anlass des Krieges ein ungerechter gewesen
sein, und ferner wird man unter keinen Um-
ständen von demjenigen, der den Sclavenstand
nicht verdient, sagen wollen, er sei ein Sclave;
sonst würde es darauf hinaus kommen, dass Leute,
die für hochadelich gelten, Sclaven und von Scla-
venstamm seien, wenn es sich nämlich einmal
zugetragen hat, dass Mitglieder der Familie in
Gefangenschaft geriethen und verkauft wurden.
Deshalb wollen nun auch die Anhänger dieser
Meinung die Bezeichnung Sclave nicht für Grie-
chen ihresgleichen, sondern nur für Barbaren
gelten lassen. Indem sie jedoch hierzu sich ver-
stehen, schwebt ihnen das natürliche Sclaventhum
vor, wie wir es vorhin geschildert haben. Denn
1,6. 21
nun sind sie gezwungen mü uns zu behaupten,
dass von gewissen Menschenklassen die Einen
überall, die Anderen nirgends Sciaven seien. —
Aehnlich ist es mit dem Adel. Griechen ihres-
gleichen gelten den Verfechtern dieser Ansicht
nicht bloss in Griechenland, sondern allerorten
illr adelich, die Barbaren dagegen bloss in ihrer
Heimath, indem es Klassen gebe, von denen die
eine schlechthin, die andere nur unter gewissen Be-
schränkungen adelich und frei sei; in solchem
Sinne lässt Theodektes seine Helena sagen:
Aus beiden Wurzeln göttlichem Stamm Ent-
sprossene,
Wer möchte je sie wagen anzureden: Magd?
Indem sie aber so sprechen, fülu-en sie bloss
auf Trefflichkeit oder Verworfenheit den Unter-
schied zwischen Sciaven und Freien, zwischen
Adel und Nichtadel zurück, wobei vorausgesetzt
wird, dass wie Mensch von Mensch und Thier
von Thier, so auch von guten Eltern wieder ein
guter Sohn herkommt. Nun will jedbch die Na-
tur es zwar so machen, oft kann sie es aber nicht.
Aus dem Gesagten ist es also klar, dass die
Meinungsverschiedenheit in Betreff der Sclaverei
eine in der Sache selbst begründete ist und nicht
alle Sciaven und Freie es von Natur sind, dass
hingegen für gewisse Menschenklassen allerdings
eine solche Scheidung von Natur besteht, wo
dann dem Einen das Sclaventhum und dem An-
22 " 1,7.
deren das Herrenthnm ebenso nützlich wie ge-
recht ist und der Eine gebieten, der Andere ge-
horchen soll in derjenigen Weise, die ihrer bei-
derseitigen Natur gemäss ist, d. h. also auch in
der Weise wie der Herr dem Sclaven gebietet.
Geschieht diess nicht auf die richtige Art, so ist es
gegen das Interesse Beider. Denn zwischen dem
Theil und dem Ganzen, zwischen Körper und
Seele besteht Gleichheit der Interessen ; der Sclave
aber ist ein Theil des Herrn, gleichsam ein von
derselben Seele belebtes, nur äusserlich geson-
dertes Glied; deshalb findet auch zwischen
Sclaven und Herrn eine gewisse Gemeinschaft der
Interessen und gegenseitige Freundschaft statt,
da wo das Verhältniss auf der natürlichen Be-
stimmung fusst; wo es hingegen auf blosser
Satzung und Gewalt beruht, findet da« Gegen-
theil statt.
^ Ferner ist es aus dem Gesagten klar, dass nicht, 7
s. oben 8. 3. wic Einige behaupten, Herrenthum und Beamten-
thum in einem Verfassungsstaat und überhaupt
alle Arten von Herrschaft unter einander gleich
sind. Denn das Beamtenthum ist eine Botmäs-
sigkeit über Menschen, welche von Natur Freie,
das Herrenthum über Menschen, welche von Na-
tur Sclaven sind.' Auch ^wischefi der Herrschaß
des Hattsvaters und des Beamten besteht ein we-
sentlicher Unterschied. Die erstere ist unum-
schränkte Monarchie; denn jedes Haus wird un-
1, 7. . 23
I
umschränkt von Einem Oberhaupte regiert; die
des Beamten hingegen ist eine Herrschaft über
Freie und unter sich wie dem Beamten Gleich-
berechtigte. — Sonach ist es nicht richtig, das
charakteristische Merkmal des Herrn mit Piaton
in einer 'Wissenschaft^ zu suchen, vielmehr liegt
es in seiner natürlichen Beschaffenheit, ebenso
wie bei dem Sclaven und dem Freien. 'Wissen-
schaft' kann es flir den Sclaven nicht minder als
flir den Herrn geben, z. B. ist das eine Sclaven- ^^^Jf^ht
Wissenschaft, welche Jener in Syrakus lehrte.
Da gab es nämlich einen Menschen, der für Geld
die Sclaven in der gewöhnlichen Bedientenarbeit
unterwies. Solcherlei Belehrung lässt sich nun
auch noch weiter ausdehnen, z. B. Kochlehre und
wie die anderen ähnlichen Arten von Bedienten-
verrichtung heissen. Eines besonderen Unterrichts
unwerth sind diese Dinge nicht. Man darf nicht
denselben Maasstab an die verschiedenen Arten
von Arbeit anlegen; ist diese geschätzter als jene,
so ist jene dafür wieder unentbehrlicher als diese ;
und dass stoischen einem rohen und einem unter-
richteten Sclaven ein Unterschied sei, sagt schon
das Sprichwort: 'Nicht gleicht sich Sclav und
Sclav, nicht gleicht sich Herr und Herr\ Alles
der Art also ist Sclavenwissenschaft. Die Herren-
wissenschaft wiederum lehrt, wie man die Sclaveh
zu gebrauchen habe; denn der Herr ist nicht da-
durch Herr, dass er sich Sclaven erwirbt, son- -
24 1, 8.
dern dadurch, dass er sie gebraucht. Diese Wis-
senschaft hat jedoch nichts Grosses noch Erha-
benes an sich; sie besteht bloss darin: was der
Sclave zu thun wissen muss, muss der Herr zu
befehlen wissen. -Daher wird auch, wenn die
Herren so gestellt sind, dass sie sich nicht selbst
abzuplagen brauchen, einem Verwalter diese Ehre
übertragen, die Aufsicht über die Sclaven zuführen,
und die Herren selbst widmen sich dann den
Staatsgeschäften oder den Wissenschaften. — Die
Lehre von dem Erwerb der Sclaven ist von den
beiden genannten Herren- und Sclavenwissen-
schaften verschieden; die Lehre vom gerechten
Sclavenerwerb z. B., welche sich auf die Unter-
werfung der von Natur eur Sclaverei bestimmten
Menschen bemeht, streift an die Lehre vom Krieg
oder von der Jagd. — Diese Auseinandersetzungen
mögen also gentigen für das Verhältniss von
Sclave und Herr.
Lehre vom Zuuächst wollcu wir uuu allgemein alle Theile 8
des Besitzstandes und die Finanzkunde betrachten,
dem Gange gemäss, den unsere Darstellung ge-
nommen hat; denn der Sclave erwies sich ja als
ein Theil des Besitzstandes. — Zuvörderst kann
die Frage aufgeworfen werden, ob die Finanz-
kunde mit der Hauswirthschaftskunde identisch,
oder ein Theil derselben, oder vorbereitend flir
sie sei, und, wenn vorbereitend, ob sie es sei wie
die Webschiflftnacherei ttir die Webekunst, oder
1, 8. 25
80 wie das Erzschmieden Itir die Bildhauerei.
Denn diese Arten, der Vorbereitung sind verschie-
den; der Webschiflfmacher liefert Werkzeuge, der
Erzschmid den StoflF. Stoff nenne ich hier alles
Material, aus welchem durch Arbeit Etwas' ge-
macht wird, wie Wolle tlir den Weber, Erz fllr
den Bildhauer. Dass nun die Finanzkunde nicht
mit der Hauswirthschaftskunde identisch ist,
leuchtet alsbald ein; denn jene bezieht sich auf
das Herbeischaffen, diese auf das Gebrauchen.
Die Lehre von dem Gebrauch des im Hause Vor-
handenen wird man doch keiner anderen Disci-
plin als der Hauswirthschaftskunde zuweisen
können. — Ob dagegen die Finanzkunde ein
Theil der Hauswirthschaftskunde, oder der Art
nach von ihr verschieden sei — diese Frage lässt
abweichende Auffassungen zu. Wenn nämlich
der Finanzkundige ermitteln soll, wie man zu
Geld und Besitz gelange, so befassen doch wie-
derum die Begriffe Besitz und Reichthum meh-
rere Arten in sich, und es entsteht demnach gleich
z. B. in Betreff der Ackerbaukunde die Frage:
ist sie ein Theil der Finanzkunde, oder der Gat-
tung nach von ihr verschieden? und so kann
man auch allgemein fragen in Betreff jeder
Thätigkeit und jedes Besitzes, die in der Nah-
rung ihr Ziel finden. Nun giebt es jedoch viel-
fache Arten der Nahrung und daher auch viel-
fache Lebensweisen der Thiere wie der Menschen,
26
1,8.
Mensch-
liche
Lebens-
wei«€ii.
Denn Leben ohne Nahrung ist unmöglich, und so
musten demnach die Verschiedenheiten der Nah-
rung zu entsprechenden Verschiedenheiten der Le-
bensweisen unter den Geschöpfen fiihren. Die Thiere
leben heerdenweise oder zerstreut, je nachdem das
Eine oder das Andere fllr ihre Nahrung ntit^t; denn
Einige sind fleischfressend, Andere pflanzenfres-
send. Andere wieder fressen Alles; und die Natur
hat ihnen nun ihre Lebensweisen zugetheilt mit
Rücksicht auf das bequeme Erlangen ihres Bedarfs.
Durchschnittlich leben' die pflanzenfressenden Thiere
in Heer den, die fleischfressenden zerstreut. Da jedoch
nicht Allen dasselbe, sondern dem Einen diess
dem Anderen jenes von Natur zusagt, so weichen
auch wiederum innerhalb der fleischfressenden und
der pflanzenfressenden Klasse die Lebensweisen
von einander ab. Ebenso ist es nun auch bei
den Menschen; ihre Lebensweisen sind sehr ver-
schieden. Die Trägsten fiihren ein umherziehendes
Hirtenleben. Mühelos gewähren ihnen, ohne dass
sie arbeiten, die zahmen Thiere was sie zur Nah-
rung brauchen ; nur, weil das Vieh um der Weide-
plätze willen den Ort wechseln muss, sind auch
sie genöthigt mitzugehen ; sie treiben^ gleichsam
einen lebendigen Landbau. Andere leben von
der Jagd, und zwar die Einen von dieser, die
Anderen von jener Art Jagd; entweder vom Raube,
oder vom Fischfang — nämlich alle Anwohner der
Seen, Sümpfe, Flüsse, fischreichen Meere — oder
1, 8. 27
von der Vogeljagd, oder der Wildjagd. Der grösste
l'heil der Menschen lebt jedoch von der Erde
und den Culturfrüchten. So viel ungefähr an
der Zahl sind also die menschlichen Lebensweisen,
diejenigen nämlich, welche auf Ausbeutung von
Naturerzeugnissen beruhen und sich nicht durch
Tausch und Krämerhandel die Nahrung schaffen:
umherziehendes Hirtenleben , Ackerbauerleben ,
Räuberleben, Fischerleben, Jägerleben. Einige
mischen auch diese Lebensweisen unter einander,
um angenehmer zu leben, indem sie die mangel-
haftere Lebensweise nach der Seite, wo sie keine
völlige Befriedigung bietet, durch eine andere
ergänzen; so führen z. B. Einige zugleich ein
Hirten- und ßäuberleben. Andere ein Ackerbauer-
und Jägerleben; ebenso werden die übrigen Le-
bensweisen mit einander verbunden. Kurz, wie
das Bedürfniss zum Verbinden verschiedener Le-
bensweisen treibt, so richten die Menschen sich
ein. — Besitz der geschilderten Art nun, welcher
sum Behuf der Nahrung dient, ist offenbar allen
Wesen von der Natur gegeben, die damit nur
für das ausgewachsene Geschöpf fortsetzt, was
sie gleich anfänglich bei der Geburt gethan. Denn
gleich bei der Geburt wirft ein Theil der Thiere,
z. B. alle Eierleger und Wurmleger, zugleich mit
dem Jungen so viel Nahrung als dieses bis zu
der Zeit braucht, wo es selbst sie sich schaffen
kann; und die Säugethiere führen für eine ge-
28 1, 8.
wisse Zeit die Nahrung des Jungen bei sich,
den' Stoff nämlich, den wir Milch nennen. In
gleicher Weise muss man also auch annehmen,
dass die Pflanzen der Thiere wegen und die
Thiere zum Nutzen der Menschen vorhanden sind,
die zahmen zum Gebrauch als Hausthiere und
zur Nahrung, die wilden, wo nicht alle, so doch
die meisten, zur Nahrung und zu sonstiger Ver-
wendung, dass sie Stoff zu Kleidern und anderem
Geräthe liefern. Wenn also die Natur nichts
unvollkommen schafft — es wäre aber eine ün-
voUkomnienheit, wofern sie für die Ernährung des
Erwachsenen nicht gesorgt hätte — und wenn sie
ferner nichts zwecklos schafft, was gescJhehen
würde, wenn die wilden Thiere nicht für den Men-
schen nutzbar toürden, so folgt nothwendig, dass
die Natur alle die genannten Geschöpfe um der
Menschen willen geschaffen hat. Daher wird auch
nach gewisser Seite die Kriegskunde als eine
natürliche Erwerbskunde gelten mtissen. Denn
zur Kriegskunde gehört auch die Jagd, und diese
muss man anwenden gegen die wilden Thiere
und gegen diejenigen Menschen, welche ihre na-
türliche Knechtsbestimmung zu erfüllen sich wei-
gern, da solcher Krieg dem Rechte der Natur
gemäss ist. — Eine Art der Besitzkunde ist also
ein naturgemässer Theil der Hauswirthschafts-
kunde, insofern nämlich entweder von vornherein
vorhanden sein müssen oder die Hauswirthschafts-
T, 9. 29
künde veranstalten muss, dass vorhanden seien
die Mittel zur Aufspeicherang eines Vorraths von
zum Leben unentbehrlichen und für die staat-
liche oder häusliche Gemeinschaft dienlichen Ge-
genständen. Aus solchen Dingen scheint auch
wirklich der wahre Reichthum zu bestehen. Denn
von solchem Besitz ist das zum guten Leben ge-
nügende Maass nicht unbegrenzt, wie Solon in
seinem Verse meint: 'Grenze dem Reichthum ge-
steckt will keine den Menschen erscheinen'. Aller-
dings ist sie gesteckt, Itlr den Erwerb des Reich-
thums so gut wie bei allen anderen Werkthätig-
keiten. Denn in keiner Werkthätigkeit ist das
Werkzeug an Zahl und Umfang unbegrenzt, und
der Reichthum ist nur eine Anzahl häuslicher
und staatlicher Werkzeuge. — Aus dem Gesagten
ist es also klar, dass und weshalb eine gewisse Art
von Erwerbskunde naturgemäss in den Bereich
des Hauswirthes und Staatsmannes gehört.
9 Es giebt jedoch noch eine andere Gattung ijehre vom
von» Erwerbskunde, die man meistens und auch ^^^'**'-
passend Finanzkunde nenpt; diese ist schuld an
der Meinung, es gebe ftir Reichthum und Besitz
keine Grenze. Viele halten sie mit der bisher
besprochenen Erwerbskunde, weil sie ihr so nahe
steht, für identisch. Identisch ist sie nun freilich
nicht, jedoch auch nicht weit abliegend. Die be-
sprochene Erwerbskunde war eine natürliche, die
Finanzkunde ist nicht natürlich, sondern kommt
30 1.9.
Tiefanehrdiireh Fertigkeit nnd Konsul zu Stande. Bei
ihrer Enlrtenmg wollen wir von tV»l^nden Sitzen
aas^hen: Jedes Ber^itzstnek lässt eine doppelte
Art Ton Benützung zn^ die beide zwar substan-
tiell, aber nicht in gleichem Maos^se substantiell
»^ind, indem das eine Mal der Cregenstand zu sei-
nem eigentlichen, das andere Mal nicht zu seinem
eigentlichen Zwecke benutzt wird, z. B. Anziehen
und Vertauschen eines Schuhes. Beides sind
Schuhbenutzungen. Denn auch der, welcher ihn
an einen Schuhbedurftigen für Creld oder Nah-
rungsmittel vertauscht, benutzt den Schuh als
Schuh, jedoch nicht zu seinem eigentlichen Zwecke,
da ja seine wesentliche Bestinminng nicht ist,
yertauscht zu werden. Dasselbe findet nun auch
Ijei den übrigen Besitzstneken statt. Denn der
Tauschhandel erstreckt sich auf alle Dinge, und
zwar entwickelte^ er sich zuerst naturgemäss dar-
aus, dass die Mensehen von dem Einen mehr,
von dem Anderen weniger haben als sie brauchen.
Hieraus folgt auch, dass der Krämerhandel kein
natorgemässer Theil des Tausehhandels ist. Denn
wäre er es, so müssten die Krämer nur ftir ihren
persönlichen Bedarf eintauschen. In der ersten
Stufe der Gemeinschaft nun, d. h. dem Hanse,
ist Air den Tauschhandel offenbar kein Raum,
sondern erst wenn die Gemeinschaft eine griissere
Zahl von Mitgliedern nmfasst. Denn ftir die
Hausgenossen erstreckte die Genieinsehaft sich
1,9. 31
auf alle Theile eines und desselben Besitzstandes;
in den entwickelteren Formen der Gemeinschaft
ist aber für viele Dinge wieder Trennung des
Besitzes eingetreten, und dem Einen fehlt dieses,
dem Anderen jenes. Diesen Bedürfnissen gemäss
muss nun ein gegenseitiger Austausch entstehen,
so wie noch heutzutage viele barbarische Stämme
den Tausch betreiben ; sie tauschen nämlich ledig-
lich die Naturalien gegen einander aus, geben und
nehmen z. B. Wein für Korn u. s. w. Ein sol-
cher Tauschhandel nun ist weder widernatürlich,
noch bildet er einen Theil der Finanzkunde;
denn seine Bestiminung ist nur, das zur vollen
naturgemässen Befriedigung Fehlende zu ergänzen.
Aber allerdings hat sich aus ihm die Finanzkunde
folgerichtig entwickelt. Da man nämlich immer ^^if.^eid-
mehr von dem Auslande abhängig ward durch
Einfuhr dessen woran man selbst Mangel, und
Ausfuhr dessen woran man Ueberfluss hatte, so
gerieth man nothwendig auf den Gebrauch der
Münze. Denn nicht alle Gegenstände unentbehr-
lichen natürlichen Bedarfs lassen sich leicht von
Ort und Stelle schaffen. Man kam daher zum
Behuf der Tauschgescbäfte unter einander über-
ein, etwas der Art zu nehmen und zu geben,
was an sich brauchbar und zugleich handlich
zum Tragen sei, z. B. Eisen und Silber und
welche Stoffe etwa noch sonst diese Eigenschaften
haben; anfänglich bestimmte man die einzelnen
münze.
32 1, 9.
Stücke einfach nach Grösse und Gewicht, endlich
schlug man auch einen Stempel darauf, der des
Messens und Wagens tiberhebe.if sollte; denn der
Stempel wurde als Bezeichnung der Quantität
des Münzstticks eingeflihrt. Als nun so der Mtinz-
gebrauch aus dem Tausch der nothwendigen
Lebensbedürfnisse entstanden war, da ersVkam
die andere Art der Finanzkunde auf, das Krämer-
wesen ; zuerst mag es vielleicht einfach gewesen
sein; mit wachsender Erfahrung jedoch bildete
es sich mehr und mehr zu der Kunstfertigkeit
aus, wo und wie etwas umgesetzt werden müsse
um den grössten Gewinn abzuwerfen. — So hat
sich denn die Meinung festgesetzt, dass die Finanz-
kunde es vornehmlich mit dem gemünzten Gelde
zu thun habe und ihre Aufgabe darin bestehe,
zu ermitteln, wie man zu vielem Gelde kommen
könne; sie sei aber eine Erzeugerin des Reich-
thums, weil des Geldes. Häufig nämlich setzen
die Leute den Reichthum in eine Menge Geld-
münze, weil darauf die Finanzkunde und das
Krämerwesen gerichtet sind. Dann aber scheint
ihnen die Geldmünze wiederum lauter Tand zu
sein und durchaus nur conventionell; an sich
sei sie gar nichts, weil bei einer Münzverände-
rung sie werthlos und zu keinem der nothwen-
digen Lebensbedürfnisse zu gebrauchen "sei; ein
reicher Geldmünzebesitzer könne oft in den Fall
kommen, die nothwendigste Nahrung zu entbehren;
1, 9. 33
und das sei doch ein seltsamer Reichthum, dessen
Inhaber Hungers sterben könne, gleich jenem
Midas in der Sage, welchem in Folge seines
unersättlichen Goldwunsches alle aufgetragenen
Speisen sich in Gold verwandelten. Deshalb su-
chen sie dann für. Finanzkunde und Reichthum
einen anderen Inhalt auf, und daran thun sie
wahrlich recht. Denn allerdings, naturgemäss
ist Finanzkunde und Reichthum etwas von dem
gewöhnlich dafür Geltenden Verschiedenes. Die
naturgemässe Finanzkunde gehört zum Hauswesen ;
die andere gehört zum Krämerwesen, macht
Geld, nicht überhaupt, sondern nur durch Um-
satz. Diese letztere richtet sich auch wirklich
bloss auf das gemünzte Geld. Denn die Geld-
münze ist das Element und das Ziel des Han-
delsumsatzes. Auch ist der Reichthum, welchen
diese letztere Finanzkunde schafft, in der That
unbegrenzt, wie es in dem Solonischen Verse hiess. s.obens.29.
Wie nämlich von der Arzneikunde die Gesund-
heit, und von allen Kunstfertigkeiten ihr Zweck
bis ins Unbegrenzte verfolgt wird — denn sie
wollen ihn ja so sehr als möglich hervorrufen —
dagegen das Zweckdienliche nicht bis ins Unbe-
grenzte, denn für dieses bildet ja überall der
Zweck die Grenze : so hat auch die krämerhafte
Finanzkunde keine Grenze für ihren Zweck,
und ihr Zweck ist eben Geldreichthum und Geld-
besitz; dagegen hat die hauswirthschaftliche Fi-
3
34 1, 9.
nanzkunde wohl eine Grenze, da ja ihre Aufgabe
nicht darin besteht, Geld zu sammeln, sondern
für den Bedarf des Hatises 0u sorgen. Sonach
ist es klar, dass für die eine Art von Finanzkunde,
nämlich die hauswirthschaftliche , nothwendig
jeder Reichthum eine Grenze haben muss. In
^raSft^" ^^^ Wirklichkeit jedoch sehen wir das Gegen-
theil eintreten ; alle Financiers. ohne Ausnahme
suchen ihr MtinzgeM grenzenlos zu vermehren.
Der Grund liegt in der nahen Berührung zwi-
schen den beiden Arten von Finanzkunde. Da
nämlich beide denselben Gegenstand haben, so
spielen die Behandlungsweisen in einander über.
Beide sollen dieselbe Gattung von Besitz behan-
deln, das Geld nämlich^ aber sie sollen es nicht
in derselben Weise thun, sondern die hauswirth-
schaftliche Finanzkunde hat ihren anderweitigen
Zweck, die krämerhafte sieht ihn in immer grös-
serer Vermehrung des Geldes. Diesen Zweck
der krämerhaften hält nian nun auch fälschlich
flir den Zweck der hauswirthschaftlichen Finanz-
kunde und lässt nicht ab von der Meinung, man
müsse sein Vermögen an baarem Gelde vermehren
oder wenigstens zusammenhalten. Es entsteht
aber diese Richtung daher, dass man nur auf
Leben und nicht auf Gutleben ausgeht; und da
nun die blosse Lebenslust keine Grenze hat, so
begehrt man auch die Mittel zu ihrer Befriedi-
gung in grenzenloser Menge. Und selbst diejenigen.
1, 9. 35
welche ihr Augenmerk auf Gutleben richten,
suchen das Gutleben nicht im sittlichen Leben,
sondern wollen sich Mittel zu den leiblichen Ge-
nüssen verschaffen, und da diese Mittel im Besitz
offenbar enthalten sind, so richtet sich alles
Dichten und Trachten auf den Gelderwerb; und
auf diesem Wege also hat sich die zweite Art
der Finanzkunde, die krämerhafte, verbreitet.
Denn da solcher leiblicher Genuss auf Ueberfluss
beruht, so sieht man sich nach derjenigen Fertig-
keit um, welche diesen genussreichen Ueberfluss
verschafft. Kann man es mittelst der Finanz-
kunst nicht bestreiten, so versucht man es auf
anderem Wege, und gebraucht der Reihe nach
jedes menschliche Vermögen zu widernatürlichem
Zweck. Sache der Tapferkeit ist es nicht, Geld
zu schaffen, ebensowenig Sache der Kriegs- und
Arzneikunst; sondern die Tapferkeit soll Muth,
die Kriegskunst Sieg und die Arznei kunst Ge-
sundheit schaffen. Aber die Leute machen sie
alle zu Finanzkünsten, als sei Geld das höchste
Ziel, und dem höchsten Ziel müsse ja natürlich
alles Andere entgegenkommen. — Hiermit ist
also erstlich die von keiner Nothwendigkeit ge-
botene Finanzkunde besprochen, was sie sei und
weshalb man ihrer jetzt doch nicht entrathen
mag, und ferner die unentbehrliche Finanzkunde,
von 4er es sich ergab, dass sie, als auf Herbei-
sehaffung der Nahrung gerichtet, von der ersteren
36 1,10.
verschieden, naturgemäss zur Hauswirthschaft
gehörig, nicht wie jene unbegrenzt sei, sondern
in dem Bedarf des Hauses ihre Begrenzung habe.
Auch ist hiermit die zu Anfang aufgeworfene 10
s. oben S.24. Frage entschieden, ob die Finanzkunde zum Be-
ruf des Hauswirths und des Staatsmannes ge-
höre oder nicht gehöre und der Gegenstand,
auf den sie sich richtet, vielmehr von vorn herein
vorhanden sein müsse; denn — Jcann man ^ur
Begründung dieser letzteren Meinung sagen —
wie die .Staatskunst nicht die Menschen schaffe,
sondern sie aus der Hand der Natur empfange
und nur behandle, so müsse auch die Natur zur
Nahrung des Menschen den Erdboden, die See
oder was sonst anweisen; dem Hauswirth liege
es nur ob, die aus diesen Quellen zu gewinnen-
den NahrungsstoflFe in gehöriger Weise zu ver-
walten; auch der Weberkunst Sache sei es ja
nicht, die Wolle zu machen, sondern sie zu ge-
brauchen und zu wissen, welche Wolle gut und
tauglich, welche schlecht und untauglich sei;
wollte man die Finanzkunde, weil sie es mit dem
Unterhalt des Hauses 0u thun habe, flir einen
Theil der Hauswirthschaft erklären, so sei die
Frage gerechtfertigt, warum von der Arzneikunde
nicht dasselbe gelten soll ; Gesundheit sei ja fllr
die Hausgenossen so gut nöthig wie Lebens-
unterhalt oder sonst ein unentbehrliches Bedürf-
niss. — Hiergegen ist zu sagen: Allerdings ist
1, 10. 37
es in gewissem Betracht Sache des Hauswirths
und überhaupt jedes Regenten, für die Gesund-
heit der Untergebenen zu sorgen, in anderem
Betracht freilich ist es wieder nicht ihre, sondern
des Arztes Sache; ebenso fällt die Sorge flir
Geldmittel in gewissem Betracht demHauswirth
zu, in anderem Betracht wiederum gehört sie
in ein besonderes, flir die Hauswirthschatl vor-
bereitendes Gebiet. Zumeist freilich muss das
Nöthige von der Natur geliefert werden ; wie es
ja allgemeine Regel der Natur ist, dem neuge-
borenen Geschöpf seine Nahrung aus dem Resi-
duum seines BildungsstoflFes zu gewähren. Sonach
ist denn auch flir alle Menschen die Benutzung
der Naturerzeugnisse, wie Erdfrüchte und Thiere,
eine auf die Natur gegi'ündete Finanzkunde. -— Von
den beiden Arten der Finanzkunde ist die eine,
wie gesagt, krämerhaft, die andere hauswirth-
schaftlich; diese letztere ist nothwendig und
steht in gutem Ruf; die handelsgeschäftliche ist
mit Recht tibelberufen, denn ihr Erwerb ist kein
naturwüchsiger, sondern ^iner, den die Menschen
gegenseitig von einander gewinnen; und mit
bestem Grunde ist der Zinswucher verhasst, weil ^wucheT
er das Geldstück selbst, in einer dessen Bestim-
mung verkehrenden Weise, zum Erwerbmittel
macht. Denn eingefiihrt wurde es zum Behuf
des Tausches, der Zins aber will das Geldstück
als solches vervielfachen. Daher wird auch in
38 1, 11.
der griechischen Sprache der Zins mit dem Wort
'Geburf bezeichnet. Denn wie die Geburten ihren
Erzeugern ähnlich sind, so ist auch der Zins ein
vom Geldstück geborenes Geldstück. Diese Finanz-
art ist also auch die am meisten widernatürliche.
Praktische Nachdem nun so die für das theoretische 11
r inanz-
kunde.
Erkennen nöthigen Gesichtspunkte in ausreichen-
der Weise festgesetzt worden, ist noph das die
praktische Anwendung Betreffende zu berühren.
Hierbei darf man nie vergessen, dass in all der-
gleichen Dingen die theoretische Betrachtung
zwar ungebunden ist, die Ausführung aber sich
den zwingenden Umständen fligen muss. — Prak-
tische Theile der Finanzkunde sind nun : erstlich,
dass man vom Viehstand Erfahrung habe, welche
Viehgattung in welcher Gegend und in welcher
Weise die einträglichste sei, z. B. welcherlei Be-
sitz von Pferden oder Rindern oder Schaafen
u. s. w. Man muss nämlich nicht bloss darin er-
fahren sein, welche Viehgattung überhaupt im
Vergleich mit anderen, sondern auch, welche in
welcher Gegend am meisten eintrage, da die
eine Gattung nur in diesem, die andere nur in
jenem Lande gedeiht. Zweitens muss man in der
Bodenbestellung erfahren sein, sowohl in dem
Ackerbau als in dem Wein- und Oelbau und
überhaupt der edleren Baumzucht, ferner in der
Bienenzucht und in der Behandlung der nutz-
baren Fische und Vögel. Diess also sind die wesent-
1,11. 39
lichsten Theile der am meisten ursprünglichen
Finanzkunde. — Von der tauschenden Finanz-
kunde ist der bedeutendste Theil der Handel;
er zerfallt in drei Arten: Grosshandel, Transito-
handel, Kleinhandel, die sich darin unterscheiden,
dg^ss dieser gefahrloser ist als jener, jener wiederum
einen grösseren Gewinn abwirft als dieser. Die
zweite Stelle nimmt in dieser tauschenden Fi-
nanzkunde der Geldwucher ein, die dritte der
Lohnverdienst, theils von den gemeinen Handwer-
ken, theils von solchen Verrichtungen, die gar keine
Fertigkeit verlangen, sondern in bloss körper-
licher Leistung bestehen. — Die dritte Art der
Finanzkunde liegt in der Mitte zwischen der
ersten und der zweiten; sie hat nämlich etwas
von der naturgemässen und etwas von der tau-
schenden Finanzkunde an sich, insofern sie zwar
auf die Erde und die Erderzeugnisse sich richtet,
jedoch auf solche , die nicht als Früchte zu ge-
niessen, sondern anderweitig äu gebrauchen sind,
z. B. ,der Holzschlag und jede Art von Gruben-
bearbeitung. Diese letztere umfasst nun wieder
viele Unterarten, entsprechend den vielföltigen
Stoffen, die aus der Erde gegraben werden. —
Im Allgemeinen genügt für jeden der erwähnten
Theile der Finanzkunde das hier darüber Ge-
sagte; genau ins Einzelne zu gehen, mag für die
Geschäfte selbst nützlich sein, aber es ist pein-
lich, sich dabei aufzuhalten. Zusammenfassend
40 1, 11.
kann man sagen, dass die kunstmässigsten Ge-
schäfte diejenigen sind, welche am wenigsten
dem Zufall tiberlassen, die unschönsten diejenigen,
welche den Körper am meisten verunstalten, die
sclavischsten diejenigen, welche am meisten rein
körperliche Verrichtung verlangen, die unedelsten
diejenigen, welche am wenigsten von sittlicher
Tüchtigkeit abhängen. — Es sind über jene
Theile der Finanzkunde manche Schriften ver-
tasst, z. B. von Chares aus Faros und Apbllodoros
aus Lemnos über die Bodenbestellung, sowohl
r über den Ackerbau als über Wein- und Oelbau,
von Anderen über andere Theile; wem es also
darum zu thun ist, der mag sich aus diesen
Schriften Raths erholen. Ausserdem sind noch die
zerstreuten Erzählungen, wie manche Financiers
ihr Glück gemacht, zusammenzutragen ; denn all
dergleichen ist für die Verehrer der Finanzkunde
zu brauchen; z. B. die Erzählung von dem Mile-
Thaies. sier Thaies; das ist so eine Finanz-Speculation;
wegen seiner bekannten Weisheit legt man sie
gerade dem Thaies bei, aber es giebt sich darin
^ ein allgemein anwendbares Verfahren zu erken-
nen. Man soll ihm nämlich einst seine Armuth
vorgeworfen haben, die beweise, wie nutzlos die
Philosophie sei. Da habe er nun, weil er aus der
Beobachtung der Gestirne erkannt hatte, dass es
ein gutes Oeljahr ^eben werde, noch zur Winters-
zeit das wenige Geld was er besass als Hand-
1,11. 41
gelder für alle Oelmtihlen in ganz Milet und
Chios ausgethan, die er um ein Geringes pach-
tete, da Niemand mit ihm bot. Als nun die Oel-
zeit kam und plötzlich von allen Seiten grosse
^S^achfrage nach Oelmühlen entstand, habe er sie
so hoch es ihm beliebte wieder verpachtet, grosse
Summen auf diese Art verdient und den Beweis
geliefert, dass die Philosophen leicht reich werden
können, wenn sie wollten, dass diess jedoch nicht
das Ziel sei, woraufsie sich verlegen. Von Thaies
also wird es insbesondere erzählt, dass er auf diese
Art eine Probe seiner Weisheit gegeben habe. Aber,
wie gesagt, dergleichen ist allgemeine Finanzregel,
sich wo möglich ein Monopol zu verschaffen.
Daher pflegen auch manche Staaten, wenn sie
in Finanznoth gerathen, diess zu einer Einnahme-
quelle zu machen und Waarenmonopole einzu-
lUhren. In Sicilien that Jemand etwas Äehnliches
auf eigene Hand^ ohne sich von der Behörde ein
Monopol geben bu lassen. Er kaufte mittelst einer
bei ihm deponirten, Geldsumme alles Eisen aus
den Eisengruben zusammen, und als nun die
Kauf leute aus den fremden Handelsplätzen kamen,
verkaufte er ohne Concurrent, mit einem nur
kleinen Aufschlag auf den gewöhnlichen Preis.
Dennoch gewann er zu den fttnfzig Talenten,
die er angelegt hatte, noch hundert hinzu. Als
Dionysios davon hörte, befahl er, man solle ihn
das Geld nur mitnehmen lassen, der Mann selbst
42 I, 12.
aber dürfe nicht länger in Syrakus bleiben, weil
er Einnahmequellen entdeckt, die seinen eigenen
Interessen zum Schaden gereichten. Das Ftlnd-
lein des Thaies nun und das dieses Siciliers ist
ein und dasselbe. Beide nämlich wussten in ge-
schickter Weise zu einem Monopol zu gelangen. —
Von diesen Dingen Kenntniss zu nehmen, ist auch
den Staatsmännern nützlich. Denn fiir viele Staaten
sind wie für einen Hausstand, jedoch in grösserem
Umfang, Finanzgeschäfte und dergleichen Ein-
nahmequellen nöthig. Daher giebt es auch Politiker,
deren ganze Politik bloss hierin besteht.
Von den drei Theilen der Hauswii|bbschafts- 12
künde war einer das Herrenverhältniss, welches
früher besprochen worden, ein anderer das Vater-
verhältniss, der dritte das Eheverhältniss. Die
Berechtigung, jedes dieser beiden letzteren Ver-
liältnisse als besonderen Theil auf zufassen ^ liegt
Behand- darin, dass die Botmässigkeit über die Hausfrau
lung der ' ^
derKinde^r. ^^^ übcr , dic Kludcr zwar beidemal wie über
freie Personen ausgeübt werden muss, aber doch
nicht in derselben Form , sondern die übe^ die
Hausfrau wie von einem Beamten im Verfassungs-
staat, die über die Kinder wie von einem König.
Dass beide, Hausfrau und Kinder, dem Haus-
Viüer untergeben sein müssen, folgt daraus, dass
der Mann in normalem Zustande von Natur zur
Leitung mehr berufen ist als das Weib und der
Aeltere und Reife mehr als der Jüngere und
1, 12. 43
Unreife. Wefin nun femer die BotmässigJceit über
die Frau mit der eines Beamten im Verfassungs-
staat verglichen vmrde, so findet zwar lUr die
meisten Aemter des Verfassungsstaates ein ab-
wechselnder Tausch von Gebieten und Gehorchen
unter den Bürgern Statt, weil nach dem Staats-
princip natürliche Gleichheit aller Bürger vor-
ausgesetzt wird und keinerlei politischer Unter-
schied zwischen ihnen bestehen soll. Dennoch
sucht man für die Zeit der Amtsdauer durch die
Tracht, durch die Form der Anrede, durch son-
stige Ehrenbezeugungen einen Unterschied zwi-^
sehen Beamten und Nichtbeamten festzustellen —
ein Verhältniss innerer Gleichheit und äusseren
Würdenunterschiedes, wie es Amäsis gelegentlich
des zu einem Götterbilde umgeschmolzenen gol-
denen Fussbeckens aussprach. [Herodot 2, 17 2\
So nun wie der Beamte sich während seiner
Amtszeit zu dem einfachen Bürger verhält, ver-
hält allezeit sich der Mann zum Weibe. — Die
Botmässigkeit über die Kinder wurde mit der
königlichen verglichen. Denn die Herrschaft der
Eltern beruht auf Liebe und Ehrfurcht, und
darauf beruht ihrem Begriflf nach auch die Königs-
herrschaft. TreflFend hat demnach Homeros den
Zeus -benannt, wenn er 'Vater der Menschen
und Götter' sagt, um den König aller dieser
menschlichen und göttlichen Wesen zu bezeich-
nen. Der König nämlich soll durch einen natür-
44 I, 13.
liehen Untersehied hervorragen, und doch den
Untergebenen gattungsgleich sein ; und in solchem
Verhältniss steht ja der Aeltere zu dem Jüngeren
und der Erzeuger zu dem Kinde.
Von vorn herein ist es nun klar, dass die 13
Hauswirthschaftskunde mehr Sorgfalt auf die
Menschen wenden muss, als auf den leblosen Be-
sitz und auf die Tugend der Menschen mehr als
auf die Trefflichkeit des Besitzes, d. h. den
Reichthum, und wiederum mehr auf die Tugend
der Freien als auf die der Sclaven. Da kann
^sfiTvtn.^^ nun aber gleich die Frage aufgeworfen werden,
ob es für den Sclaven, ausser seiner Tüchtigkeit
als allgemeines Werkzeug und zu Bedientenleis-
tungen, noch eine höhere Tugend gebe, z. B. Massig-
keit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und sonst eine
von den übrigen ähnlichen Eigenschaften, oder ob
er, abgesehen von den bloss körperlichen Dienst-
verrichtungen, keinerlei Tugend besitzen könne?
In beiden Fällen ergeben sich Schwierigkeiten.«
Haben die Sclaven Tugend, worin soll denn der
Unterschied zwischen ihnen und den Freien be-
stehen? Sagt man, sie haben keine, so ist das
ungereimt, da sie doch Menschen und der Ver-
nunft zugänglich sind. Es ist diess fast dasselbe,
was auch in Bezug auf Frauen und Kinder er-
örtert zu werden pflegt, ob es für sie Tugenden
gebe und Frauen massig, tapfer, gerecht sein
müssen, ob man von einem ausschweifenden und
1, 13. 45
massigen Kinde reden könne, oder nicht. Und
in der That verdient dieser Punkt in seiner all-
gemeinsten Fassung untersucht zu werden: besteht
Itlr die von Natur Gehorchenden und die von
Natur Gebietenden eine und dieselbe Tugend,
oder eine verschiedene? Sagt man, beide Theile
müssen edle Sittlichkeit haben, so ist nicht zu
begreifen, weshalb ein fllr alle Mal der eine
Theil gebieten, der andere gehorchen soll. Auf
ein Mehr oder Weniger von jener Sittlichkeit
lässt'sich ja dieser Unterschied nicht gründen,
da zwischen Gehorchen und Gebieten eine We-
sensverschiedenheit stattfindet, keineswegs aber
zwischen dem Mehr und Weniger. Sagt man hin-
wieder, der eine Theil müsse jene Sittlichkeit
haben, der andere nicht, so ist das doch wun-
derbar. Denn wenn der Gebietende nicht massig
und gerecht ist, wie kann er dann ordentlich
gebieten, ist es der Gehorchende nicht, wie kann
er ordentlich gehorchen, da ja ein Ausschweifen-
der und Schlafifer nichts von dem, was ihm ob-
liegt, thun wird? Von vorn herein ist es nun
klar, dass zwar beide Theile Tugend besitzen
müssen, dass jedoch für die Tugend Abstufiingen
bestehen, entsprechend den Abstufungen der ver-
schiedenen, zum Gehorchen von Natur bestimmten
Klassen. Gleich auf dem Gebiet der Seele ist
diess Verhältniss vorgezeichnet. In der Seele fin-
det sich ein von Natur zum Gebieten und ein
46 1, 13.
von Natur zum Gehorchen berufenes Element;
einem jeden von diesen schreiben wir eine beson-
dere Tugend zu und sprechen demnach von einer
Tugend des vernünftigen und einer Tugend
des vernunftlosen Elements. Aehnlich muss es
sich nun. auch auf den verwandten Gebieten ver-
halten. Da also von Natur es verschiedene Arten
von Gebietenden und Gehorchenden giebt ( — denn
anders gebietet ein Freier einem Sclaven, anders
ein Mann einem Weibe, anders ein Erwachsener
einem Kinde — ) und in allen diesen die Seelen-
elemente zwar vorhanden, jedoch in verschiede-
ner Weise vorhanden sind ( — denn dem Sclaven
mangelt die Fähigkeit des Ueberlegens gänzlich,
das Weib hat sie zwar, aber ohne Kraft zum
endgiltigen Entschlüsse, das Kind hat sie auch,
aber unentwickelt — ): so muss man auch eine
ähnliche Abstufung für die sittlichen Tugenden
annehmen; besessen müssen sie von Allen wer-
den, aber nicht von Allen in gleicher Weise,
sondern von Jedem in dem Maasse, als lür seinen
Beruf nöthig ist. Der Gebietende also muss die
sittliche Tugend in ihrer Vollständigkeit besitzen;
denn jede Leistung hängt in allen ihren Theilen
von dem obersten Meister ab; die Vernunft aber,
d. h. dasjenige, was den Gebieter zum Gebiete)'
macht, ist oberster Meister; wenn also die Leis-
tung gelingen soll, so muss der Gebieter nach
allen Seiten den Anforderungen der Vernunft ge-
1, 13. 47
nügen, mithin eine vollständige sittliche Tugend
besitzen. Die Gehorchenden hingegen brauchen
jeder nur so viel Tugend, als von der Gesanimt-
leistung auf sein Theil fällt. Demnach ist es klar,
dass ilir jede der genannten Klassen es besondere
sittliche Tugenden giebt, nicht dieselbe Massig-
keit tür das Weib wie flir den Mann, auch nicht
dieselbe Tapferkeit und Gerechtigkeit — was
Sokrates meinte — , sondern die Tapferkeit des
Mannes ist eine gebietende, die des Weibes eine
dienende, und derselbe Unterschied findet auch
iilr die übrigen Tugenden statt. Sobald man mehr
sein Augenmerk auch auf das Detail richtet, er-
hellt die Sache unzweifelhaft. Durch allgemeine
Bestimmung des Tugendbegriflfs — z. B. gute
Seelenverfassung, Rechthandeln sei Tugend —
täuscht man sich hierüber nur selbst. Viel zweck-
mässiger als die Urheber solcher Definitionen,
verfahren diejenigen, welche, wie Gorgias, die
einzelnen Tugenden der Reihe nach herzählen. —
Also, was der Dichter vom Weibe sagt, das muss
man ebenso auf alle übrigen Genannten ausdeh-
nen. *Dem Weibe bringt das Schweigen Schmuck^
\So^h6kles, Aias J293], aber lür den Mann will es
schon nicht so passen. Des Kindes Tugend ferner
kann, da es noch unentwickelt ist, auch nicht
eine selbständige sein, sondern erstreckt sich nur
auf seine Beziehung zu dem entwickelten und
es leitenden Vater. Ebenso betriflft des Sclaven
48 1, 18.
Tugend nur sein Verhältniss zum Herrn. Da wir
nämlich den Begriff des Sclaven dahin bestimmt
haben ; dass er flir die unentbehrlichen Lebens-
bedürfnisse brauchbar sei, so rauss er offenbar
einen kleinen Grad von Tugend besitzen, und
zwar so viel, dass er nicht durch Ausschweifung
und Schlaffheit seine Arbeiten versäume. Hier
könnte nun Jemand die Frage aufwerfen: ist
das Gesagte richtig, müssten dann nicht die Hand-
Tugend des werker als solche auch eine besondere Art von
Hand-
werkers. Tugend besitzen? Denn häufig versäumen ja auch
sie durch Ausschweifung die bestellte Arbeit.
Aber hier findet doch wohl ein grosser Unter-
schied statt. Der Sclave ist immerwährender
Lebensgefährte des Herrn, die Verbindung zwi-
schen dem Besteller und Handwerker ist hingegen
eine viel lockerere, und das Bedtirfniss einer
besonderen Tugend geht für den Handwerker
nur so weit als sich seine Sclaverei erstreckt;
die Stellung nämlich des niederen Handwerkers
ist die einer begrenzten Sclaverei. Ferner
bilden die Sclaven eine der natürlich verschie-
denen Menschenklassen, keineswegs aber die
Schuster oder andere Handwerker; besofidere Ar-
ten von Tugend lassen sich aber nur für die na-
türlich geschiedenen Klassen aufstellen, — Von
einer solchen Tugend nun, wie wir sie von dem
Sclaven verlangen, versteht es sich von selbst,
dass sie der Herr durch seinen persönlichen
I, 13. 49
Umgang hervorrufen muss, nicht aber irgend ein
Inhaber der nur Anweisung zu den Arbeiten
gebenden 'Herren Wissenschaft'. Diejenigen sind s. oben s.23.
also im Irrthum; welche nach Flatons Vorschrift
Gespräch mit Sclaven nicht dulden wollen und
behaupten, man müsse nur Befehle an sie richten.
Vielmehr muss man den Sclaven ins Gemüth
reden, mehr noch als den Kindern.
Hiertiber also mögen die gegebenen Bestim-
mungen gentigen. Ueber Mann und Weib aber
und Kinder und Vater, sowohl hinsichtlich der
besonderen Tugend eines Jeden von ihnen als
hinsichtlich ihres Verkehrs unter einander, was
hier sittlich schön, was nicht schön sei, und wie
man hier das Gute zu erstreben, das Schlechte
zu meiden habe — diess findet seine nothwendige
Stelle in der Abhandlung über die staatlichen Ver-
fassungsformen. Denn da der Hausstand insge-
sammt ein Theil des Staates ist, jene Personen
wiederum Theile des Hausstandes sind, und die
Tugend des Theiles sich nach der Tugend des Gan-
zen richten soll, so muss die Erziehung sowohl der
Kinder als der Frauen im Hinblick auf die Staats-
verfassung geleitet werden, wofern flir den un-
tadligen Zustand des Staates der untadlige Zu-
stand der Kinder und Frauen von Belang ist.
Er muss aber nothwendig von Belang sein. Denn
die Frauen bilden die Hälfte der freien Bevöl-
kerung, und aus den Kindern erwachsen die
4
50 1, 13.
Staatsbürger. Da also über die eine Reihe von
Gegenständen die genügenden Bestimmungen ge-
geben sind, die übrigen aber an einem anderen
Ort besprochen werden müssen, so wollen wir
die bisherige Auseinandersetzung als zu ihrem
Ende geführt hiermit abschliessen, und für die
weitere Darstellung einen anderen Ausgangspunkt
nehmen, und zwar wollen wir zunächst die Schrift-
steller prüfen, welche über die beste Staatsver-
fassung Ansichten aufgestellt haben.
Zweites Buch.
f
1 Da wir diejenige Form staatlicher Gemein-
schaft betrachten wollen, welche, wenn man
möglichst nach Wunsch das Leben einrichten
kann, die vorzüglichste unter allen ist, so müssen
wir auch die übrigen Verfassungsformen prüfen,
theils solche, welche in einigen fllr wohlgeordnet
geltenden Staaten praktisch ausgeillhrt werden,
theils andere, die etwa noch sonst von einzelnen
Männern vorgeschlagen und beifällig aufgenom-
men sind, damit erstlich das an sich Richtige
und das praktisch Ausführbare zu Tage trete,
und damit femer das Suchen nach etwas von
allen diesen Staatsformen Verschiedenem nicht
als Sucht um jeden Preis zu klügeln erscheine,
vielmehr in dem Mangelhaften der bisher vor-
handenen Formen der Grund erkannt werde,
weshalb wir uns auf diese Untersuchung ein-
lassen. Beginnen müssen wir mit dem Punct,
der sich naturgemäss bei dieser Frage zuerst
darbietet. Hinsichtlich der Gemeinschaft unter
den Bürgern sind nämlich nur drei Fälle denk-
bai": entweder Alles ist Allen, oder Nichts ist
54 IT, 2.
Allen gemein, oder gewisse Dinge sind Allen
gemein, andere aber mcht. Dass Nichts Allen
gemein sei, erweist sich nun sogleich als unmög-
lich. Denn die Staatsverfassung ist ja eine Form
der Gemeinschaft und zunächst muss wenigstens
Gremeinschaft des Raumes stattfinden, da ja fUr
den einheitlichen Staat auch der Raum als Ein-
heit gefasst werden muss, und die Bürger alle
an dem Staat als an einer ungetrennten Einheit
Theil haben. Jedoch in Betreff der zwei anderen
Fälle tritt die Frage ein: ist es ttlr den beab-
sichtigten gedeihlichen Bestand des Staates besser,
dass alles irgend denkbare, oder ist es besser,
dass nur gewisse Dinge Allen gemein seien, andere
aber nicht. Denkbar ist es ja, dass auch hin-
sichtlich der Kinder und der Frauen und der
Güter gegenseitige Gemeinschaft unter den Bür-
^stiar S®^^ stattfinde, wie z. B. im Platonischen Staat,
wo Sokrates behauptet, es mtissten die Frauen
und die Kinder gemeinschaftlich sein und auch
das Vermögen. Wie verhält es sich also hiermit?
Ist es besser so wie es jetzt ist, oder wie es
nach dem dort in dem 'Staat' gegebenen Gesetz
Frauenge- sein würdc? — Dass nun die Frauen Allen se- 2
meineichaft. » ^
meinschaftlich seien, führt viele sonstige Uebel-
stände mit sich, und auch wie das, weshalb
Sokrates ein derartiges Gesetz ftlr nothwendig
erklärt, schliesslich erreicht werde, lässt sich
aus seinen Reden nicht erkennen. Zudem ist das
II, 2. 55
Ziel, welches er dem Staat vorsteckt, ein un-
mögliches, wie jetzt die Wortfassung lautet, und
wie sie näher zu begrenzen sei, darüber ist kei-
nerlei Bestimmung gegeben. Ich meine seine Be-
hauptung, die es für das Beste erklärt, wenn
der Staat so, sehr als möglich eins sei. Diesen
Satz legt nämlich Sokrates zu Grunde. Gleich-
wohl springt es in die Augen, dass der Staat
bei immer fortschreitendem Einswerden sogar Einheit des
sein Dasein als Staat verliert. Denn seiner Natur
nach ist der Staat eine Vielheit, und wenn er
immer mehr eins wird, so muss aus dem Staat
ein Hausstand und aus dem Hausstand ein Mensch
werden, da ja, wie Jeder zugesteht, ein Haus-
stand mehr eins ist als ein Staat und ein Indi-
viduum mehr eins als ein Hausstand. Also, wenn
man diess auch ins Werk setzen könnte, so dürfte
man es nicht thun; denn man würde den Staat
aufheben. — Der Staat besteht nun aber nicht
bloss aus mehreren, sondern aus verschieden-
artigen Menschen; aus lauter gleichen Menschen
entsteht kein Staat. Ein Staat ist keine Allianz ;
eine Allianz bleibt durch die blosse Quantität
der älliirten Truppen brauchbar, auch wenn diese
gleichartig ist; denn die Allianz ist bestimmt
Schutz zu gewähren, und je grösser die Quantität,
um so schwerer fällt sie gleichsam ins Gewicht.
(Auf dieses Verhältniss wird sich auch wohl der
Unterschied zwischen Staat und Völkerschaft zu-
56 II, 2.
rlickftthren lassen, in den Fällen nämlich, wo die
Völkerschaft nicht nach Weilern mit bestimmter
Einwohnerzahl abgetheilt ist, sondern so wie
z. B. die Arkader eerstreut und ohne politische
Gliederimg wohnt.) Wo aber wie im Staate die
Theile zu einer organischen Einheit sich zusam-
menschliessen sollen, da müssen sie verschieden-
artig sein. Deshalb ist auch compensirende
Grleichheit das staatenerhaltende Princip, wie
früher in der Ethik gesagt worden, da eine ah-
solide Gleichheit durch die nothwendige Verschie-
denartigkeit der Staatselemente ausgeschlossen ist.
Und selbst innerhalb einer freien und gleichen
Bürgerschaft muss jene Compensation stattfinden.
Denn Alle zu derselben Zeit können sie ja nicht
gebieten, sondern sie müssen jährlich oder nach
einer anderen Abfolge oder Zeit wechseln, der-
gestalt dass schliesslich doch Alle gebieten,
etwa wie wenn die Schuster und Zittimerleute
unter einander tauschten und nicht dieselben
Leute immer Schuster und Zimmerleute blieben.
Dort bei den Handwerkern ist es nun aber besser,
dass immer dieselben bleiben; und auch für die
staatliche Gemeinschaft ist es offenbar besser,
dass immer dieselben gebieten, wo diess möglich
ist. Unter solchen aber, wo es nicht möglich ist,
weil nämlich Alle von Natur gleich sind und
andererseits nun auch die Billigkeit verlangt,
dass an dem Gebieten, mag es etwas Gutes
II, 2. 57
oder Schlimmes sein, Alle Theil nehmen, da ist
es zweckmässig, dass nach abgelaufener Amtszeit
die Beamten, weil sie Gleiche sind, auch ihrer-
seits Untergebene werden, so gut wie vorhin die
Uebrigen es gewesen sind. Das Gebieten und
Gehorchen wechselt dann der Reihe nach, und
die Personen verwandeln sich gleichsam. — Eine
ähnliche Compensation besteht auch unter den
gebietenden Beamten selbst; nicht alle haben die-
selbe Amtsgewalt, sondern der Eine diese, der
Andere jene. — Aus diesen Erwägungen erhellt
also, dass der Staat gar nicht zu einer solchen
Einheit geschaffen ist, wie sie von Manchen ver-
langt wird, und dass was sie als die grösste Wohl-
that tür die Staaten hinstellen, die Staaten auf-
hebt; was aber Wohlthat für irgend eine Sache
ist, das pflegt doch sonst den Bestand der Sache
zu erhalten. — Es lässt sich jedoch noch auf
andere Weise darthun, dass das Bestreben, den
Staat allzusehr eins zu machen, kein förderliches
ist. Nämlich, der Hausstand gentigt sich selbst
mehr als das Individuum und der Staat mehr
als der Hausstand; in derThat ist ja der Begriff
des Staates erst dann erreicht, wenn die Bevöl-
kerung zu dem Umfang einer sich selbst genü-
genden Gemeinschaft gediehen ist. Wofern nun
die höhere Stufe des Sichselbstgenügens immer
die vorzüglichere ist, so muss auch das, was we-
niger eins ist, also durch die Verschiedenartigkeit
58 ^ 11,3.
seiner Elemente besser die verschiedenen Bedürf-
nisse des Ganzen befriedigen kann, vorzüglicher
sein als das, was mehr eins ist.
Sprech- ^\)qy selbst Zugegeben, es sei das Beste, wenn 3
%fmein°' die Gemeinschaft möglichst eins ist, so lässt sich
Lebenden, doch nicht abschen, wie diess in der Sprechweise
dadurch bewährt werde, dass Alle sammt und
sonders denselben Gegenstand Mein und Nicht-
Mein nennen; diess hält nämlich Sokrates für
das Kennzeichen, dass der Staat vollkommen eins
ist. Denn 'Alle' ist doppelsinnig. Wird es so
verstanden, dass Alle jene Ausdrücke in der
Bedeutung gebrauchen, wie jeder Einzelne als
allein Betheiligter sie gebrauchen würde, so wird
freilich schon eher das erreicht, was Sokrates
herbeiführen will; denn dann würde jeder dasselbe
Kind seinen eigenen Sohn, und dasselbe Weib
seine eigene Frau nennen, und ebenso würde es
mit dem Vermögen und den verschiedenen Le-
bensschicksalen sein. Aber bei denen Frauen
und Kinder gemeinschaftlich sind, d i e werden
nimmermehr diess im Sinne haben, sondern sie
werden zwar Alle dasselbe Weib und dasselbe
Kind 'Mein' nennen, jedoch nicht so wie jeder
Einzelne von ihnen cds alleiniger Gatte und Vater
es verstehen würde; ebenso werden zwar Alle
dasselbe Vermögen Mein nennen, aber nicht in
dem Sinne wie jeder Einzelne von ihnen als
alleiniger Eigentlmner. Hiernach ist es klar,
11,3.
59
Vernach-
lässigung
des Ge-
meinschaft-
lichen.
dass in dem Satz 'Alle sagen Mein' eine logische
Täuschung zu Grunde liegt; wie ja auch in den
Disputationen die Wörter 'Alle, Beide, Ungerade,
Gerade* wegen ihres Doppelsinns zu Vexir-Schltis- s. unten s. 74.
sen dienen, indem man sie bald coHectiv, bald distri-
butiv gebraucht. Nimmt man also 'Alle nennen
dasselbe Mein' in der einen Bedeutung, dass näm-
lich Alle es nennen wie jeder Einzelne für sich,
so ergiebt sich etwas zwar Schönes aber Un-
mögliches; nimmt man die andere Bedeutung,
dass Alle es nicht so une Jeder für sich nennen,
so liegt gar kein Beweis der Eintracht darin. —
Ausserdem leidet jener Satz noch an einem an-
deren Misstand. Je zahlreicher die Theilhaber
an einer Sache, desto weniger pflegt für dieselbe
gesorgt zu werden. Die Menschen kümmern sich
am meisten um das, was ihnen zu eigen gehört,
um das Gemeinschaftliche weniger, oder doch nur
in so weit es das Sonderinteresse des Einzelnen
berührt; abgesehen von anderen Gründen, ver-
nachlässigen sie es schon deshalb mehr, weil
Jeder glaubt, ein Anderer kümmere sich darum,
wie es z. B. auch in der häuslichen Bedienung
vorkommt, dass viele Diener manchmal schlechter
bedienen als wenige. Nun würde aber nach So-
krates* Vorschlag jeder Bürger tausend Söhne ha-
ben, und zwar nicht so als wenn sie allein seine
Söhne wären, sondern jeder Beliebige würde
gleichsehr des Einen wie jedes beliebigen Anderen
60 II, 3.
Sohn sein ; so werden sie ihn flenn Alle gleichsehr
vernachlässigen. Ferner, wenn es einem Bürger
gut oder schlecht geht und die Seinigen ihm Tlieä-
nahme beweisen sollen^ so wird Jeder nur als
Bruchtheil der gesammten Btirgerzahl ihn 'Mei-
ner^ nennen d. h. 'Meiner oder der des N. N/
und so weiter durch die ganze Zahl der Tau-
send, oder aus wie Vielen nun der Staat besteht ;
und auch so wird er immer noch zweifelnd spre-
chen, da ja nicht zu ermitteln ist, wem gerade
ein Sohn geboren worden' und ob der geborene
Sohn am Leben geblieben. Was ist nun wohl
zweckmässiger? Dass Jeder von den zweitau-
send oder zehntausend dasselbe 'Mein' nenne in
dieser allgemeinen Weise, ohne nähere Bestim-
mung der Angehörigkeit, oder vielmehr so, wie
man in den jetzigen Staaten Mein sagt? Da nennt
denselben Menschen .der Eine seinen Bruder, ein
Anderer seinen Vetter, oder in welchem Grade
sonst die Verwandtschaft sein mag, sei es Bluts-
verwandtschaft oder Angehörigkeit und Verschwä-
gerung, unmittelbare oder mittelbare ; und ausser-
dem nennen ihn noch Andere ihren Zunft- oder
Stammgenossen. Wahrlich, Einzel- Vetter zn sein
ist besser als gemeinschaftlicher Sohn nach jener
platonischen Weise. — Ueberdiess lässt es sich
gar nicht verhindern, dass, auch wo Frauen- und
Kindergemeinschaft besteht, doch Manche ihre
wahren Brüder^ Kinder, Väter und Mütter zu er-
11,4. 61
kennen glauben ; nach der Aehnlichkeit, die zwi-
schen Kindern und Eltern stattzufinden pflegt,
werden sie unvermeidlich sich bestimmte Ansichten
über ihr gegenseitiges Verhältnis^ bilden. Und
dafür giebt es, nach dem Bericht einiger Ver-
fasser von Erdbeschreibungen, auch thatsächliche
Belege. Im inneren Libyen soll nämlich bei
einigen Stämmen Frauengemeinschaft bestehen,
jedoch die Kinder nach der Geburt auf Grund
der Aehnlichkeit bestimmten Vätern zugetheilt
werden. Wirklich giebt es Frauen und auch Thier-
weibchen, z. B. Stuten und Kühe, welche die
Eigenthümlichkeit haben, dass sie lauter den
Eltern sehr ähnlich sehende Geburten zur Welt
bringen, wie die sogenannte ehrliche Stute in
4Pharsalos. — Ferner können die Einflihrer der
Frauen- und Kindergemeinschaft schwer solchen
Uebelständen vorbeugen wie z. B. körperlichen
Schädigungen, unabsichtlichen und auch absicht-
lichen Tödtungen, Schlägereien, Schimpfen, und
nichts von all diesem kann ohne Verletzung des reli-
giösen Gefühls gegen Väter, Mütter und nahe
Verwandte so leichthin verübt werden, wie
gegen die fernstehenden. Ja, wo man seine An-
gehörigen nicht kennt, muss unvermeidlich
dergleichen öfter vorkommen als wo man sie
kennt; und ferner lassen nach geschehener
That da, wo man sie kennt, die üblichen Süh-
nungen sich anwenden; wo man sie aber nicht
62 II, 4.
kennt, ist keinerlei Stihnung möglich. — Selt-
sam ist es noch, dass Sokrates, nachdem er die
Söhne gemeinschaftlich gemacht, bloss von dem
fleischlichen Umgang die Liebenden ausschliesst,
die Liebschaft aber nicht verbietet und auch
nicht die übrigen Berührungen, die zwischen
Vater und Sohn und zwischen Bruder und Bruder
über alle Maassen hässlich sind; ist es doch
schon die blosse Liebschaft. Seltsam ist es ferner,
dass er den fleischlichen Umgang lediglich des-
halb ausschliesst, weil die Lust allzu heftig
werde; darauf aber, dass es das eine Mal Vater
oder Sohn, ein anderes Mal ein Brüderpaar ist,
käme nach seiner Meinung nichts an. — Uebrigens
wäre Frauen- und Kindergemeinschaft viel zweck-
mässiger für die platonischen * Bauern* als für
die 'Wächter' verordnet worden. Denn wenn
Frauen und Kinder gemeinschaftlich sind, ist
die Anhänglichkeit geringer, und ein' solcher Zu-
stand loser Verbindung passt für die Unterthanen,
damit sie gehorsamen und nicht revolutioniren,
keineswegs aber für die herrschende Klasse der
^Wächter. Ueberhaupt muss ein solches Gesetz
das Gegentheil von dem bewirken, was einer
richtigen Gesetzgebung herbeizuführen obliegt
und auch der Grund war, weshalb Sokrates jene
Verordnung über Kinder und Frauen aufstellen
zu müssen glaubte. Wir Alle nämlich halten
daftlr, dass gegenseitige Anhänglichkeit der Bür-
II, 4. 63
ger das gr^sste Gut für die Staaten sei, denn
wo diese vorhanden, wird nicht leicht Aufruhr
entstehen; und auch Sokrates preist vorzüglich
das Einssein des Staates. Einssein wird nun
aber nach der allgemeinen Ansicht — und auch
Sokrates spricht es aus — durch die Anhänglich-
keit bewirkt, wie bekanntlich Aristophanes in
dem Gespräch über Liebe \Flaions Gastmahl 191 **]
sagt, 'die Liebenden, weil sie einander so sehr
anhängen, wünschen zusammenzuwachsen und
Beide aus den Zweien, die sie sind, Einer zu
werden'. In dem dortigen Falle nun müssen bei
einem solchen Zusammenwachsen Beide oder
doch Einer von Beiden daraufgehen; im Staat
aber muss durch jene Art der Gemeinschaft die
Anhänglichkeit eine sehr verdünnte werden, und
der Sohn wird vom Vater oder der Vater vom
Sohn nur im schwächsten Sinne Mer Meine'
sagen. Denn wie ein wenig Rosinenwein unter
viel Wasser gemischt eine unmerkliche Mischung
hervorbringt, so ergiebt sich auch als nothwendig,
dass unter einer solchen Verfassung die gegen-
seitige, auf diesen Verwandtschaftsgraden ruhende
Angehörigkeit nur ein sehr geringes Interesse
hervorruft sowohl bei dem Vater flir die Söhne,
wie bei dem Sohn für den Vater und bei Brüdern
für einander. Zwei Dinge sind es ja, welche vor-
züglich die Menschen zu hegender Sorgfalt und
Anhänglichkeit bestimmen: der alleinige Besitz
64 II, 5.
und die Seltenheit der besessenen Sache, durch
welche sie dem Besitzer theuer wird; keines von
Beiden aber kann für die vorhanden sein, welche
unter einer solchen Verfassung leben. — Auch
noch hinsichtlich des Versetzens von Neuge-
borenen theils aus der Bauern- und Handwer-
kerklasse unter die * Wächter', theils aus diesen
unter jene, bleibt man in grosser Verwirrung,
^ wie denn diess ausgeführt werden soll; unver-
meidlich wissen doch die Vollstrecker der Ueber-
gabe und Versetzung, welche Kinder und welchen
Personen sie dieselben übergeben, wodurch die
geforderte allgemeine Unbekanntschaft mit den
verwandtschaftlichen Beziehungen der Einzelnen
gestört ist. Und ferner muss das schon oben
s.obens.6i. Berührte, nämlich körperliche Schädigung, Lieb-
schaft, Tödtung noch in gesteigertem Maasse bei
diesen vorkommen, da ja nun die unter die
anderen Bürger Versetzten nicht länger die
'Wächter' mit den Namen Brüder, Kinder, Väter
und Mütter benennen, und die bei den 'Wächtern'
Untergebrachten ebenso wenig die übrigen Bür-
ger, so dass sie sich also auch nicht wegen der
Verwandtschaft vor dem Begehen solcher Dinge
in Acht nehmen können. — Ueber die Kinder-
und Frauengemeinschaft seien also diese Ge-
sichtspunkte aufgestellt.
Hieran schliesst sich zunächst die Unter- 5
suchung über den Besitz, welcherlei Einrichtung
11,5. . 65
hierüber diejenigen, welche unter der besten ^^f^^Hi^
Verfassung leben wollen, zu treffen haben, ob
nämlich der Besitz gemeinschaftlich sein solle,
oder nicht gemeinschaftlich. Diesen Punkt kann
man auch abgesondert von der Gesetzgebung
über Kinder und Frauen betrachten; ich meine
so: Auch wenn Kinder und Frauen nach der
jetzt allgemeinen Sitte Einzelnen angehören
sollen, so kann man doch hinsichtlich des Be*
Sitzes fragen, ist es zweckmässiger, dass die Be-
sitzthümer durch ihre Verwendung gemeinschaft-
lich sind, d. h. dass zwar die Grundstücke ge-
trennt besessen werden, man aber die Früchte
an die Staatskammer abliefert und dann erst
verbraucht, wie es manche barbarische Völker-
schaften machen ; oder umgekehrt, dass der Boden .
gemeinschaftlich besessen und gemeinschaftlich
bebaut wird, aber die Früchte für den Gebrauch
der Einzelnen getrennt angewiesen sind, welche
Art der Gemeinschaftlichkeit ebenfalls bei einigen
Barbaren bestehen soll; oder endlich dass Beides,
Grundstücke und Früchte, gemeinschaftlich sind.
Wo nun neben den Vollbürgern eine unterge-
bene Ackerbauerklasse vorhanden ist, da lässt
sich schon irgend eine minder verfängliche Form
finden; wo aber die Bürger durchaus von eigener
Arbeit leben müssen, da bietet diese Besitzfrage
wohl mehr Schwierigkeiten. Denn da eine völlige
Gleichheit van Genüssen und von Leistungen
66 n, 5.
nicht durchzuführen ist, so müssen gegen die
viel Geniessenden oder Bekommenden aber wenig
Arbeitenden nothwendig Beschwerden entstehen
von Seiten derer, die weniger bekommen und
mehr arbeiten. Ueberhaupt ist es eine missliche
Sache mit dem Zusammenleben und der Gemein-
schaftlichkeit, misslich in jedem menschlichen
Verhältniss, besonders aber in solchen Vermögens-
dingen. Sieht man es doch an den auf gemein-
schaftliche Kosten Reisenden. Wohl in den
meisten Fällen entsteht Zwist unter ihnen, indem
sie auf die ersten besten und geringfügigen An-
lässe sich mit einander überwerfen. Ebenso
übei'werfen wir uns auch mit denjenigen Dienel-n
am häufigsten, mit welchen wir, weil sie die
gewöhnliche Bedientenverrichtung besorgen, am
meisten in Berührung kommen. — Gemeinschaft-
lichkeit des Besitzes hat also diese und andere
ähnliche Uebelstände ; dagegen möchte wohl die
jetzt übliche Weise, wenn sie noch durch die
Sitten und Verordnung richtiger Gesetze ver-
vollkommnet wird, nicht wenig voraus haben.
Sie wird nämlich das Gute von beiden Weisen
vereinigen, ich meine von der Gemeinschaftlich-
keit und von der Getrenntheit der Besitzthümer.
Denn das Richtige ist, dass der Besitz nur in ge-
wissem Betracht gemeinschaftlich, im Allgemeinen
aber getrennt sei. Durch die gesonderte Verwaltung
werden alsdann die Zwistigkeiten verhindert
n, 5. 67
sein, und da Jeder auf sein Eigen unablässiges Vorzüge
Augenmerk richtet, so gedeiht Alles besser. ^IfS^B.
Andererseits wird durch Edelsinn sich fllr den
Gebrauch die sprichwörtliche Gütergemeinschaft
unter Freunden herausstellen. Schon jetzt finden
sich in einigen Staaten die Ansätze für diesen
Zustand, zum Beweise dass er nicht unmöglich
ist; und zumal in den Staaten mit guter Ver-
fassung besteht schon einiges der Art und Anderes
könnte sich leicht entwickeln. Jeder nämlich hat
dort seinen Besitz als Eigenthum, theils jedoch
macht er ihn flir seine Freunde nutzbar, theils
besteht fllr gewisse Dinge Gemeinschaftlichkeit
des Gebrauchs, wie z. B. in Lakedämon Einer des
Anderen Sclaven so zu sagen wie seinen eigenen
benutzt, ebenso Pferde und Hunde und Esswaaren,
wenn Einem auf dem Lande der Mundvorrath aus-
geht. Sonach ist es oflfenbar besser, dass die Besitz-
thtimer an sich getrennt seien, man sie aber flir den
Gebrauch gemeinschaftlich mache. Wie jedoch in
den Menschen die hierzu nöthige Gesinnung zu
entwickeln sei, diess ist die eigenthümliche Auf-
gabe des Gesetzgebers. — Ferner macht es hin-
sichtlich der Freude einen unermesslichen Unter-
schied, ob man etwas als sein Eigen ansehen
kann. Denn wohl nicht Umsonst hat jeder Mensch
Liebe ^u sich selbst, vielmehr ist diess in der
Natur begründet. (Sein Ich lieb zu haben wird
freilich mit Recht getadelt; darunter ist aber
68 n, 5.
nicht die Selbstliebe überhaupt gemeint, sondern
dass man sich mehr lieb hat als man soll, ebenso
wie wenn man Einen tadelt, dass er das Geld
oder die Ehren lieb habe; denn eine gewisse
Liebe zu jedem dieser Dinge haben wohl alle
Menschen.) Auch Freunden, oder Gästen, oder
Bekannten Gefallen oder Hilfe zu erweisen, ge-
währt grosse Freude, und das kann nur geschehen,
wenn der Besitz getrennt ist. Dieses Alles also
findet nicht statt für die, welche den Staat über-
mässig eins machen, und ausserdem noch er-
sticken sie unverkennbar die thätige Ausübung
zweier Tugenden, erstlich der Enthaltsamkeit
durch ihre Verordnungen über Frauengemein-
schaft — und allerdings ist es doch eine sittliche
That, bloss aus Enthaltsamkeit eines Anderen
Weib nicht zu berühren — und zweitens der
Freigebigkeit, durch ihre Verordnungen über
Gütergemeinschaft; denn nun wird Einer der
freigebig gesinnt ist, nicht als solcher erkannt
werden, noch irgend eine freigebige Handlung
vollbringen können, da ja das Wesen der Frei-
gebigkeit in der Verwendung des eigenen Be-
sitzes liegt.
Einen schönen Schein hat freilich eine der-
artige Gesetzgebung und man hält sie leicht flir
menschenfreundlich. Wer es so hört, zollt freudig
Beifall in der Meinung, nun werde eine herrliche
Liebe Aller zu Allen entstehen, zumal wenn man
IT, 5. 69
die bei den jetzigen Verfassungen vorhandenen
Uebelstände angreift, als entsprängen sie daraus
dass das Vermögen nicht gemeinschaftlich ist,
ich meine: Civilprozesse, Criminalfälle wegen
falschen Zeugnisses, Schmeicheleien gegen Reiche.
Aber Nichts von Alle dem entsteht aus Mangel
an Gemeinschaft, sondern aus Schlechtigkeit, da
ja der Augenschein lehrt, dass Leute die Etwas ge-
meinschaftlich besitzen und Compagnons viel mehr
in Zwist gerathen als die, deren Besitz gesondert
ist. Nur scheinen unserer oberflächlichen Be-
trachtung die in Folge von Compagnieschaft
Streitenden gering an Zahl, weil wir sie, ohne
attf die richtige Proportion 0u achten, gegen die
Vielen halten, die ihr Vermögen für sich haben.
— Femer ist es billig, nicht bloss von dem
vielen Schlimmen zu reden, das bei Gütergemein-
schaft wegfallen werde, sondern auch von dem
vielen Guten. Offenbar würde das Leben durch-
aus unerträglich werden. — Für die Ursache von
Sokrates' Fehlgriff muss aber die Unrichtigkeit
seines Fundamentalsatzes gelten. Allerdings näm-
lich soll Haus wie Staat in gewissem Betracht
eins sein, jedoch nicht durchaus. Denn bei
immer fortschreitendem Einswerden kommt es
dahin, dass entweder gar kein Staat mehr vor-
handen, oder auch dass er zwar vorhanden,
jedoch weil er nahe daran ist kein Staat zu sein,
als schlechterer Staat vorhanden ist ; ähnlich wie
70 II, 5.
wenn man aus der Symphonie Eine Stimme und
aus dem Rhythmus Einen Versfuss machen wollte.
s. oben S.56. Man soU vielmehr die, wie oben gesagt, wesent-
liche Vielheit bestehen lassen, und sie auf dem
Wege der Erziehung zum einigen und Einen
Staat machen. Wer nun aber eine solche Er-
ziehung einfllhren will und die Ueberzeugung
hegt, durch sie werde ein guter Zustand des
Staates herbeigeführt, von dem ist es doch un-
gereimt, wenn er durch dergleichen Mittel loie
die plcUonischen zu bessern glaubt und nicht
vielmehr durch Einführung von Sitten, durch
Beförderung der geistigen Entwickelung und
durch Gesetze, wie z. B. der Gesetzgeber in Lake-
dämon und Kreta durch die Tischgenossenschaften
eine gewisse Gemeinschaftlichkeit des Besitzes her-
zeugnisB gestellt hat. — Auch darf man nicht verkennen,
der
Geschichte, (j^gg gchou au sich dic lange Vorzeit und die vielen
Völker Beachtung fordern, bei welchen dergleichen
sich wohl gezeigt hätte, wenn es zweckmässig
wäre. Denn fast alle Erfindungen sind schon
einmal gemacht worden; nur sind sie theils nicht
übersichtlich zusammengestellt, theils wendet man
sie nicht an, obgleich man sie kennt. — Am
deutlichsten würde die UnricMigkeit von Plcdons
Satz über das Einsmachen des Staates zu Tage
treten, wenn man eine derartige Verfassung
in ihrer factischen Einrichtung zu Gesicht be-
käme; denn, ohne doch wiederum Eintheilungen
11,5. 71
nach Tischgenossenschaften und Sonderungen
nach Sippschaften und Stämmen vorzunehmen,
wird er keinen Staat zu schaffen im Stande
sein, wo dann also durch seine Gesetzgebung
nichts weiter erreicht würde, als dass die 'Wächter'
keinen Feldbau treiben, was die Lakedämonier
schon jetzt durchzuftlhren versuchen. — Ja, sogar
welche Form der Gesammtverfassung für alle
Angehörigen eines solchen Staates bestehen solle,
hat weder Sokrates ausgesprochen noch lässt es
sich leicht sagen. Gleichwohl besteht doch die
Mehrzahl des Staates aus der Menge der anderen
nicht zu den 'Wächtern' gehörenden Bürger^ und
hinsichtlich dieser ist gar nichts festgesetzt, ob
auch die Bauern ihren Besitz gemeinschaftlichr ^e^sauem
oder Jeder Privateigenthum, ob sie ferner Frauen ^****-
und Kinder gemeinschaftlich, oder Jeder für sich
haben sollen. Ist nämlich bei ihnen ebenso wie
bei der Wächterklasse Allen Alles gemein, worin
soll dann der Unterschied zwischen ihnen und
jenen Wächtern liegen? oder was soll sie be-
wegen, die Herrschaft derselben zu ertragen, wo-
fern man nicht einen ähnlichen Kunstgriff an-
wendet wie die Kreter; diese nämlich gestatten
den Sclaven sonst Alles ebenso wie den Freien,
nur verbieten sie ihnen die Turnplätze und den
Besitz der Waffen. Soll es hingegen in Betreff
des Besitzes und der Ehe bei den Bauern ebenso
wie in den anderen jetzigen Staaten gehalten
72 II, 5.
werden, welcherlei Staatsverband wird dann die
beiden Klassen umfassen können? Unvermeid-
lich bilden sich ja dann in dem Einen Staat
zwei Staaten, und zwar zwei sich feindlich gegen-
über stehende. Den 'Wächtern' nämlich würde
er dann ungefähr die Stellung einer militäri-
schen Besatzung, den Bauern, Handwerkern und
sonstigen Einwohnern die Stellung einer von der
Besatzung in Zaum gehaltenen Bürgerschaft be-
reiten. Streitigkeiten aber und Processe und
welche Misstände er sonst als in den jetzigen
Staaten vorhanden bespricht, würden dann alle
auch bei diesen beiden sich einstellen. Trotz-
dem behauptet Sokrates, die vielerlei Gesetze,
z. B. stadtpolizeiliche, marktpolizeiliche und der-
gleichen, würden in seinem Staat durch die Er-
ziehung entbehrlich gemacht, während er doch
seine Erziehungsform nur für die 'Wächter' be-
stimmt. Ueberdiess macht er die Bauern zu
Eigenthümern der Landgüter, von denen sie den
Wächtern nur eine Rente zu entrichten haben,
und für eine- so gestellte Klasse sind nicht nur
feste Gesetze nöthig, sondern sie wird voraus-
sichtlich noch viel unlenksamer und anspruchs-
voller sein als die in einigen der jetzigen Staaten
vorhandenen Klassen von Heloten, Penesten und
Leibeigenen. Mögen nun die Bestimmungen über
die Vermögens- und Familienverhältnisse bei
den Bauern gleich wichtig sein wie bei den
II, 5. 73
Wächtern oder minder wichtig, jedenfalls ist
jetzt von Sokrates gar nichts darüber festgesetzt,
so wenig wie über die zunächst liegenden Fragen,
welche politische Verfassung flir diese Bauern
gelte und welcherlei Erziehung und Gesetze.
Wie es aber damit sein soll, lässt sich weder
leicht ersinnen, noch ist es von geringem Ein-
fluss auf den Bestand der Wächter-Gemeinschaft,
ob die Bauern so oder anders geartet sind. Ist
die Meinung etwa diese, dass die Weiber den
Bauern gemeinschaftlich, der Besitz jedoch ge-
trennt sei, so entsteht die Frage, wie soll man
dann unter den gemeinschaftlichen Weibern Haus-
frauen finden, welche die Wirthschaft in einer
dem gesonderten Feldertrag ihrer Männer ent-
sprechenden Weise tlihren? Seltsam
ist es auch, flir die Behauptung, dass die Frauen
dieselben Geschäfte wie die Männer verrichten
sollen, einen Vergleich von den Thieren herzu-
nehmen, bei denen ja von Wirthschaftf Uhren
keine Rede ist. — Bedenklich isf ferner die Art
wie Sokrates die Regierung einsetzt. Er macht
nämlich immer dieselben Leute zu Regierenden.
Diess wird jedoch eine Quelle des Aufruhrs
sogar bei einer Bevölkerung, die gar kein Selbst-
geflihl besitzt, geschweige bei 'eifervollen und
kriegerischen Männern^, aus welchen ja die Wächter-
Masse bestehen soll. Für ihn freilich liegt die
Nothwendigkeit, immer dieselben zu Regieren-
74 II, 6.
den zu machen, aaf der Hand. Denn das gott-
gesandte Gold ist nicht bald Diesen bald Jenen
in die Seelen gemischt, sondern immer den-
selben. xEr sagt nämlich, gleich bei der Geburt
habe die Gottheit dem einen Theil der ^Wächter'
Gold, dem änderen Silber beigemischt, Erz und
Eisen aber den zukünftigen Handwerkern und
Bauern. — Ferner, während er den 'Wächtern'
die Glückseligkeit entzieht, bezeichnet er es doch
als Aufgabe des Gesetzgebers, den ganzen Staat
glücklich zu machen. Der Staat im Ganzen kann
jedoch unmöglich glücklich sein, ohne dass, wo
nicht alle, so doch die meisten oder wenigstens
einige Theile sich im Besitz der Glückseligkeit
befinden. Gehört ja 'Glücklichsein' nicht in die-
selbe Kategorie wie der Begriff 'gerade Zahl'.
Gerade sein kann wohl die ganze Zahl ohne
dass eine ihrer Hälften es ist, hingegen beim
Glücklichsein ist dergleichen unmöglich. Wenn
nun aber die 'Wächter' nicht glücklich sind, wer
denn sonst? Doch wohl nicht die Handwerker
und der grosse Haufe der niederen Arbeiter. —
Bei dem 'Staat' also, über welchen Sokrates ge-
redet hat, ergeben sich diese Schwierigkeiten, und
ausserdem noch andere eben so bedeutende.
Aehnliches ungefähr gilt auch für die später 6
geschriebenen 'Gesetze'. Es ist daher zweck-
mässig auch über die dort entworfene Staatsver-
fassung einige kurze Betrachtungen hinzuzufligen.
11,6. 75
In dem 'Staat^ nämlich hat Sokrates nur ganz
wenige Punkte festgestellt, wie es mit der Ge-
meinschaft von Frauen und Kindern sollte ge-
halten werden, und mit der des Besitzes, und
dann noch die Ordnung der Verfassung. Er zer-
legt nämlich die ganze Bevölkerung in zwei
Stände, erstlich den Bauernstand und. zweitens
den Wehrstand. Aus letzterem bildet sich ein
dritter, der berathende, welcher der Souverän
des Staates ist. Hinsichtlich der Bauern und
Handwerker aber, ob ihnen gar kein Amt oder
ob ihnen ein solches zugänglich ist, ob auch sie
Waflfen fuhren und mit in den Krieg ziehen sollen
oder nicht — hierüber hat Sokrates nichts fest-
gestellt; hingegen die Frauen, meint er, sollen
mit in den Krieg ziehen und dieselbe Erziehung
wie die 'Wächter* gemessen; im Uebrigen hat
er seine Rede mit Betrachtungen aügeflillt, die
nicht zur Sache gehören, und mit solchen, welche
die Erziehung betreffen, wie diese fllr die Wächter
eingerichtet werden solle. — Die '^Gesetze' nun piatons
Gesetze.
bestehen zum grössten Theil in der That aus
Gesetzen, über die Verfassungsform hingegen hat
er nur wenig gesagt. Und obgleich er sich vor-
setzt, dieselbe den jetzigen Staaten anzunähern,
biegt er sie doch bei Kleinem wieder zu der
anderen, im 'Staat* entworfenen, hinüber. Denn
mit Ausnahme der Frauen- und Vermögensge-
meinschaft giebt er beiden Staaten dieselben
76 II, 6.
Einrichtungen. Die Erziehung ist dieselbe, die
Bestimmungen darüber dass die Herrschenden von
den nothwendigen Arbeiten befreit leben und
über die Tischgßnossenschaft sind hier so wie
dort. Nur sollen in dem Staat der 'Gesetze'
auch Itir die Frauen Tischgenossenschaften be-
stehen und während der * Staat' auf Tausend
Wehrhafte, sind die 'Gesetze' auf filnftausend be-
rechnet. Geistreiches nun haben immer alle Re-
den des Sokrates und Feines und Neues und Ein-
dringendes; dass jedoch Alles nun auch immer
richtig sei, heisst wohl zu viel verlangt; wie
z. B. gleich die eben genannte Menge t;ow fünf-
tausend wehrhaften Bürgern, Für so Viele, darf
man sich nicht verhehlen, ist ein Land wie das
Babylonische oder sonst eines von unermesslichem
Umfang nöthig, da fünftausend Nichtsthuer davon
ernährt werden sollen und in deren Gefolge noch
ein anderer vielmal grösserer Haufe von Frauen
und Kindern. Nun muss man freilich beim Ent-
wurf des besten Staates Voraussetzungen nach
Wunsch machen, aber diese dürfen doch nichts
Unmögliches enthalten. — Es heisst auch dort,
der Gesetzgeber müsse die Gesetze mit Rücksicht
auf zwei Punkte geben: auf das Landesgebiet
und auf die Menschen. Dem ist es gut noch
hinzuzufügen: 'auch mit Rücksicht auf die Nach-
barländer', wofern der Staat ein staatliches Leben
innerhalb der Staatenfamilie fuhren soll, denn er
II, 6. 77
mu»s zum Kriege über eine Wehrkraft verfligen
können, die nicht bloss im eigenen Gebiet son-
dern auch iUr das Ausland anwendbar ist. Und
sollte auch Jemand ein solches politisch thätiges
Leben weder für den Einzelnen noch fttr den
gesammten Staat gutheissen, so bleibt doch um
nichts weniger diess zu beachten, dass man sich
den Feinden furchtbar zeigen muss, nicht bloss
wenn sie in das Gebiet eingezogen, sondern auch
nachdem sie wieder abgezogen sind. — Auch
für den Umfang des Besitzes ist zu erwägen,
ob nicht vielleicht eine andere ais die dort von
Piaton aufgestellte Begrenzung besser, weil deut-
licher ist. Er sagt nämlich, der Besitz solle so
gross sein, dass man davon 'massig leben^ möge ;
also ungefähr wie wenn man sagte 'gut leben\
Diess ist nun. aber zu allgemein. Und tiberdiess
kann man 'massig' und dabei kümmerlich leben.
Eine bessere Begrenzung bietet also wohl 'massig
und eder — trennt man nämlich diese zwei Be-
stimmungen, so würde die letztere mit Ueppigkeit,
die erstere mit knappem Leben sich vertragen — ;
und in der That sind ja diess die einzigen, bei
dem Gebrauch des Vermögens in Frage kom-
menden, löblichen Eigenschaften ; sanft und tapfer
kann man sein Vermögen nicht gebrauchen, wohl
aber massig und edel; mithin müssen eben die-
selben Eigenschaften auch ftir den Besitz selbst
die maassgebenden sein. — Auffallend ist es
78 11, 6.
zunfTer ^6^1^^^^? ^ass CT, Während er gleiches Vermögens-
Kinderzahi. ^g^g^gg einfiihrt, doch hinsichtlich der Bürgermenge
keine Vorkehrungen trifft, sondern das Kinder-
zeugen ins Unbestimmte hin frei giebt, in der
Meinung, es werde sich diess schon zu der
ursprünglichen Bürgerzahl hinlänglich durch
unfruchtbare Ehen auch bei unbegrenzter Kinder-
zeugung ausgleichen, weil nämlich in den jetzi-
gen Staaten eine derartige Ausgleichung statt
zu finden scheint. Aber bei einer Staatseinrich-
tung, wie er sie vorschlägt, braucht diess nicht
eben so scharf zuzutreffen wie es bei den jetzigen
der Fall ist. Jetzt ist Niemand ganz arm, weil die
Vermögensquoten sich auf die ganze Bürgerzahl,
wie gross diese auch sei, vertheilen können;
• Piaton jedoch verbietet die Parzellirung, und
dann ist die nothwendige Folge, dass die Ueber-
zähligen, mögen es nun viele, oder wenige sein,
gar nichts bekommen. Viel eher, sollte man
glauben, als für das Vermögen müsste für das
Kinderzeugen eine feste Grenze bestehen, so dass'
Niemand über eine gewisse Zahl hinaus zeugen
dürfte; und bei dieser Bestimmung der Kinder-
menge wäre Rücksicht zu nehmen auf die ge-
wöhnlichen Zufälle, wenn es sich z. B. träfe,
dass nicht alle geborenen Kinder am Leben blei-
ben, und auf Kinderlosigkeit anderer Bürger.
Es aber ganz unbeschränkt zu lassen, wie es
jetzt in den meisten Staaten ist, daraus muss
n, 6. 79
Bothwendig Armutb der Bürger CBtspringen, und
Armuth wiederum erzeugt Aufruhr und Verbrechen.
Der Korinthier Pheidon, einer der ältesten Gesetz-
geber, war der Ansicht, die Hausstände müssten
immer in gleicher Bürgerzahl erhalten werden,
selbst wenn sie Alle von Anfang an Grundstücke
von ungleicher Grösse besessen hätten. Hiervon
wird gerade das Gegentheil in diesen 'Gesetzen'
aufgestellt. Jedoch wie in diesem Punkt nach
unserer Ansicht eine bessere Einrichtung zu treffen
sei, kann erst später gesagt werden. — Unge-
nügend sind auch in diesen/ Gesetzen' die Be-
stimmungen über die Regierenden, worauf näm-
lich der Unterschied zwischen denselben und den
Regierten sich gründen solle. Er sagt darüber
nur, dass, wie der Zettel aus anderer Wolle be-
steht als der Einschlag, so sich die Regierenden
zu den Regierten verhalten müssen. — Für das
Gesammtvermögen gestattet er eine Vermehrung
bis um das Fünffache, warum soll also dasselbe
nicht auch flir Grundbesitz bis zu einem gewissen
Maasse gelten? — Auch bei den getrennt bele-
genen Hausstellen hat man zu bedenken, ob diess
nicht wohl fllr die Bewirthschaftung wenig zu-
träglich sein möchte. Er hat nämlich Jedem
zwei Hausstellen an verschiedenen Plätzen an-
gewiesen ; und in zwei Häusern wohnen ist doch
misslich. — Die gesammte Staatsform nun soll
weder Demokratie noch Oligarchie sein, sondern
80 II, 6.
der in der Mitte zwischen diesen liegende soge-
nannte Verfassungsstaat (Politeia); denn nur die
Schwerbewaffneten sind Bürger. Stellt er nun
diese Staatsform hin als diejenige, welche mehr
als die übrigen den Zuständen der bestehenden
Staaten sich anschliesse, so hat er vielleicht
Recht; will er sie jedoch für die beste nächst
dem Idealstaat erklären, so hat er Unrecht; denn
mancher dürfte wohl der Verfassung der Lakoner
den Vorzug ertheilen, oder auch einer anderen
mehr aristokratischen. — Nun behaupten zwar
Manche, die beste Verfassung müsse aus allen
Verfassungsarten gemischt sein, weshalb sie auch
der lakedämonischen ihren Beifall geben; denn,
wie die Einen sagen, sei sie aus Oligarchie,
Monarchie und Demokratie zusammengesetzt;
diese nämlich sehen in dem lakedämonischen
Königthum ein monarchisches, in der Behörde
der Aeltesten ein oligarchisches Element, und
das demokratische liege in der Behörde der
Ephoren, weil die Ephoren aus dem Demos ge-
nommen werden. Andere halten das Ephoren-
amt fllr Tyrannis, und finden vielmehr das demo-
kratische Element in den Tischgenossenschaften
und der sonstigen Einrichtung des täglichen
Lebens. In diesen ^Gesetzen' wird nun aber ge-
sagt, es müsse die beste Verfassung aus Demo-
kratie und Tyrannis bestehen, die man doch
entweder gar nicht fllr Verfassungsformen gelten
n, 6. 81
lassen kann, oder nur für die allerschlechtesten.
Besser also sind die Vorschläge derer, welche
die Mischung aus einer grösseren Anzahl von
Verfassungsformen anstellen. Denn die Verfassung
ist immer um desto besser, aus je mehr Verfassungs-
formen sie zusammengesetzt ist. — Ferner hat
dieser Staat der 'Gesetze^ offenbar gar nicht ein-
mal ein monarchisches Element, sondern nur
oligarchische und demokratische. Und zwar neigt
sich die Richtung mehr zur Oligarchie. Deutlich
tritt diess in der Bestellung der Beamten her-
vor. Denn die Bestimmung, dass unter Erwählten
geloost werde, ist zwar nach beiden Seiten un-
parteiisch ; dagegen dass flir die Wohlhabenderen
ein Zwang besteht in den Versammlungen zu
erscheinen und die Beamten mitzuwählen oder
an sonst einer öffentlichen Handlung theilzuneh-
men, während die Uebrigen von einem solchen
Zwange befreit sind — das ist oligarchisch, so
wie auch das Streben, dass die Mehrzahl der
Beamten aus den Reichen und für die höchsten
Aemter aus den höchsten Vermögensklassen ge-
nommen seien. Auch die Wahl des Raths setzt
er in oligarchischer Weise fest. Bei dem ersten
Wählen nämlich findet Zwang zum Wählen für
Alle Statt, jedoch müssen die Gewählten hier
zur ersten Klasse gehören ; dann wird unter glei-
chen Bestimmungen aus der zweiten Klasse ge-
wählt; dann aus der dritten, hier jedoch soll Itir
82 II, 7.
die Mitglieder der vierten Klasse kein Zwang
zum Wählen stattfinden; und bei der Wahl aus
der vierten Klasse findet nur für die Mitglieder
der ersten und zweiten Zwang zum Wählen statt.
Dann, sagt er, sollen aus den so Gewählten eine
gleiche Zahl aus jeder Klasse ernannt werden.
Die Mitglieder der höchsten Vermögensklassen
werden also bei de^ Wahlen durch ihre grössere
Anzahl und Tüchtigkeit den Ausschlag geben,
da manche von den gemeinen Leuten, weil flir
sie kein Zwang besteht, nicht mitwählen. — Dass
man also eine solche beste Verfassung nicht aus
Demokratie und Monarchie zusammensetzen dürfe,
ergiebt sich aus dem Gesagten und aus dem,
was noch späterhin gesagt werden soll, wenn
wir zur Untersuchung über eine solche beste
waiiTen.^ Vcrfassung gelangen. — Hinsichtlich der Beam-
tenwahl ist auch noch zu bemerken, dass in dem
indirecten Wahlverfahren, wonach aus einer
grösseren Zahl in der Vorwahl Gewählter die
eigentliche Wahl stattfindet, eine Gefahr liegt.
Will nämlich eine Anzahl Leute, die gar nicht
* gross zu sein braucht, fest zusammenhalten, so
werden die Wahlen immer nach ihrem Willen
ausfallen. — Mit der in den 'Gesetzen' aufge-
stellten Staatsverfassung hat es also diese J5e-
wandniss.
Es liegen nun auch noch andere Verfassungs- 7
entwürfe vor, theils von Privatleuten, theils von
11,7. 83
philosophisclien Staatsmännern, welche jedoch
alle näher als diese beiden platonischen sich den
geschichtlich gewordenen und jetzt geltenden
Verfassungen anschliessen. Denn Niemand ausser
Piaton ist auf Kinder- und Frauengemeinschaft
verfallen, noch auch auf Tischgenossenschaften
der Frauen, sondern sie gehen Alle mehr von
dem Nothwendigen aus. Es glauben nämlich
Manche, der Hauptpunkt sei eine zweckmässige
Ordnung der Vermögensverhältnisse, da, wie sie
sagen, immer aus diesem Anlass die Revolutio-
nen entstehen ; deshalb hat auch Phaleas der r>er Staat
des
Chalkedonier zuerst dahin zielende Vorschläge p*»»^*^»«
gemacht. Er sagt nämlich, der Besitz der Bür-
ger müsse gleich sein. Für Staaten, die eben
erst gegründet werden, lasse sich das, meinte er,
unschwer bewerkstelligen; die schon bestehen-
den Staaten auf eine solche Gleichmässigkeit zu-
rückzuführen mache zwar etwas mehr Mühe, es
werde aber am leichtesten dadurch erreicht, dass
die Reichen Mitgift geben aber nicht bekommen,'
die Armen bekommen aber nicht geben. Piaton
hingegen, als er die 'Gesetze' schrieb, war der
Ansicht, bis zu einer gewissen Grenze müsse man
Freiheit lassen, mehr jedoch als das Fünffache
des niedrigsten Vermögensmaasses dürfe keinem
Bürger zu besitzen gestattet sein, wie schon s. oben s.79.
früher gesagt. Die Entwerfer solcher Gesetze
dürfen sich jedoch nicht verhehlen, was ihnen
84 II, 7.
jetzt allerdings verhohlen ist, dass wer eine be-
stimmte Vermögensmenge festsetzt, auch gehalten
ist, eine bestimmte Kindermenge festzusetzen;
sonst muss, wenn die Zahl der Kinder die Menge
des Vermögens übersteigt, das Gesetz unwirksam
werden; und auch abgesehen von dem Uebel-
* stand, der an sich schon in dem Vorhandensein
eines unwirksamen Gesetzes liegt, ist es arg,
wenn Viele, die reich gewesen, arm werden;
denn es ist ein Wunder, wenn solche Menschen
Gleichheit nicht ncuerungsstichtig sind. Dass nun Gleich-
Sitzes, mässigkeit des Vermögens von einer gewissen
Bedeutung für die staatliche Gemeinschaft ist,
haben, wie man deutlich sieht, auch einige unter
den Alten klar erkannt; in der solonischen Ge-
setzgebung z. B. und auch anderswo ist es ge-
setzlich verboten, seinen Grundbesitz beliebig zu
vergrössern. Gleicherweise verbieten in manchen
Staaten die Gesett^e den Verkauf des Eigenthums;
in Lokri z. B. ist der Verkauf gesetzlich unter-
sagt, wenn man nicht den Eintritt eines augen-
scheinlichen Missgeschicks nachweisen kann.
Auch noch für die Forterhaltung der alten Land-
hufen giebt es gesetzliche Bestimmungen, und
die Aufhebung derselben in Leukas machte die
dortige Verfassung allzu sehr demokratisch ; denn
nun wollte es nicht mehr gehen, dass nur Leute
mit dem festgesetzten Census in die Aemter
kämen. — Jedoch auch wenn Gleichheit des
n, 7. 85
Vermögens vorhanden ist, so kann dasselbe doch
immer noch entweder so gar gross sein, dass
Ueppigkeit entsteht, oder* so gar klein, dass man
kümmerlich lebt. Offenbar also genügt es nicht,
dass der Gesetzgeber das Vermögen gleich mache,
sondern er muss auch das richtige Mittelmaass
zu treffen suchen. Ja, selbst wenn Jemand das
ilir Alle richtige Maass festgesetzt hätte, so ist
auch damit noch nichts genützt. Denn mehr als
das Vermögen ist es erforderlich die Begierden
auszugleichen, und diess kann nicht geschehen,
wenn nicht die Bürger mittelst der Gesetze
zweckmässig erzogen werden. Aber, möchte
vielleicht Phaleas sagen, gerade diess behaupte
auch er. Er meint nämlich, in diesen zwei Stücken
müsse Gleichheit herrschen, in Besitz und Er-
ziehung. Aber welcherlei Erziehung es sein solle,
muss angegeben werden; damit dass sie eine
und dieselbe ist, wird nichts genützt. Denn sie
kann eine und dieselbe und dabei noch immer
so beschaflfen sein, dass sie die Menschen zu
Habsucht oder zu Ehrsucht oder zu beiden
geneigt werden lässt. Ferner ist es nicht
richtig, dass nur Ungleichheit des Besitzes die
Revolutionen veranlasst, sondern auch Ungleich-
heit der Würden. Und zwar verhalten sich diese
zwei Fälle in entgegengesetzter Weise. Die
Masse macht Revolutionen wegen Ungleichheit
in den Besitzverhältnissen, die feinen Leute we-
86 II, 7.
«
gen der Würden, wenn diese gleich sind, worauf
auch der Vers zurückgeht [Ilicts 9, 319] : ' Wird
doch gleichviel Ehre dem Wichte zu Theil wie
dem Edlen \ Auch werden die Menschen zu Ver-
brechern nicht bloss wegen der nothwendigen
Bedürfnisse, wogegen Phäleas in der Vermögens-
gleichheit ein Mittel zu finden glaubt, so dass
nun nicht mehr Frost oder Hunger zu Raub ver-
leite, sondern sie begehen auch Verbrechen, um
Angenehmes zu haben und nicht fortwährend
begehren zu müssen. Denn wenn sie Begierde
nach mehr als dem Nothwendigen haben, so wer-
den sie Verbrechen begehen, um dieselbe zu
stillen, ja nicht bloss um der Stillung dieser Be-
gierde willen, sondern auch um lauter Lust ohne
irgend ein Unangenehmes zu geniessen. Welches
Heil giebt es nun für diese drei Klassen? T'ür
die erste ein kleines Capital und Arbeit, ftir die
zweite Mässigung, und was den dritten Fall an-
geht, so dürfen die, welche sich aus sich selber
vergnügen wollen, bei nichts als bei der Philo-
sophie ihr Heil suchen. Denn alle andere Lust
bedarf Menschen. — In der That geschehen die
grössten Verbrechen um des Ueberfltissigen, kei-
neswegs um des Nothwendigen willen, z. B. Ty-
rann wird man nicht, um nicht zu frieren; da-
her sind auch so grosse Ehrenbezeugungen üb-
lich für den welcher, nicht einen Dieb, sondern
einen Tyrannen tödtet. Also ist nur gegen die
II, 7. 87
kleinen Verbrechen eine Abhülfe in der Staats-
form des Phaleas gewährt. — Ferner sieht er
bei seinen meisten Einrichtungen nur darauf,
dass durch sie die inneren Beziehungen der Bür-
ger zu einander in gute Ordnung gebracht wer-
den; jedoch die Beziehungen zu den benachbar- ^^^J*^J^^
ten und allen frejpiden Staaten müssen es nicht ^®°'
minder sein ; es ist demnach unumgänglich, dass
die Verfassung mit Rücksicht auf Kriegstüchtig-
keit eingerichtet sei, und hierüber hat er nichts
gesagt. Dasselbe gilt hinsichtlich des Besit:&es.
Dieser nämlich muss nicht bloss in hinreichen-
dem Mäasse für die inneren Staatsbedürfnisse
vorhanden sein, sondern auch für Gefahren von
aussen her. Also darf er einerseits nicht in so
grosser Menge vorhanden sein, dass dadurch die
Begierde übermächtiger Nebenstaaten erregt wird
und die Besitzer dann ausser Stande sind, den
Angriflf abzuwehren; und andererseits darf er nicht
so unbedeutend sein, dass auch ein Krieg mit
Staaten gleichen Ranges nicht bestritten werden
kann. Phaleas nun hat hierftir gar keinen maass-
gebenden Gesichtspunkt aufgestellt. Behält man
es jedoch gebührend im Auge, dass Fülle des
Besitzes bis zu einem gewissen Grade dem Staats-
wohl förderlich ist, so darf man vielleicht diess
ttir die zweckmässigste Begrenzung erklären, dass
die mächtigeren Nebenstaaten ihre Rechnung
nicht dabei finden dürfen, bloss wegen des über-
88 n, 7.
massigen Reichthums Krieg anzufangen, sondern
diess gethan hätten, auch wenn die Angegriffenen
nicht so reich gewesen wären. Ungefähr wie
Eiibuios. Eubulos, als Autophradates sich anschickte, die
Festung Atarneus zu belagern, diesen aufforderte,
zu tiberschlagen, wie lange Zeit zur Eroberung
des Platzes nötbig sein werde, und ftir diese
Zeit die Kriegskosten zu berechnen ; er, Eubulos,
sei nämlich bereit, nach Empfang auch einer
geringeren Summe, gleich jetzt Atarneus zu räu-
men. Durch diese Worte brachte er es dahin,
dass Autophradates sich die Sache überlegte und
von der Belagerung abstand. — Etwas freilich
trägt nun wohl Gleichheit des Vermögens unter
den Bürgern dazu bei, inneren Zwist zu verhü-
ten, aber ein grosses Gewicht ist darauf kaum
nach irgend einer Seite zu legen. Denn erstlich
können nun leicht die feineren Leute erbittert
werden, weil sie sich zu etwas anderem als bloss
zu gleichem Theil berechtigt halten, wie ja auch
die Erfahrung lehrt, dass sie oft aus diesem
Grunde Verschwörungen und Aufstände machen.
Und ferner ist die menschliche Schlechtigkeit
unersättlich; anfänglich gentigt schon ein Zwei-
obolensttick, der ursprüngliche Betrag des jedem
Athener aus der Staatskasse gezahlten TJieater-
geldes; ist diess einmal herkömmlich geworden,
so verlangt man immer mehr, bis man sich ins
Grenzenlose verliert. Denn in der That ist ja
n, 7. 89
die Begierde, ihrem Wesen nach, grenzenlos, und
das Leben der meisten Menschen ist nur auf Be-
friedigung der Begierden gerichtet. Für diese
Dinge nun liegen die Heilmittel nicht sowohl im
Gleichmachen des Vermögens, sondern darin, dass
man die edleren Naturen dahin bringt, nichts
voraus haben zu wollen, die niedrigen aber,
nichts voraus haben zu können; welches letztere
nur dann durchzuführen ist, wenn sie die Schwä-
cheren sind und ihnen kein Unrecht geschieht.
Aber auch hiervon abgesehen, ist was Phaleas
über Gleichheit des Vermögens vorbringt, nicht
einmal an sich betrachtet richtig. Denn er be-
rücksichtigt bei seinem Gleichmachen nur den
Grundbesitz, während doch auch der Reichthum
an Sclaven, Viehstand, Münze und die vielfältigen
Gegenstände der mobiliaren Einrichtung in An-
schlag kommen. Entweder also muss man auf
Gleichheit oder einen massig bestimmten höch-
sten Ansatz in allen diesen Stücken ausgehen,
oder aber völlige Freiheit lassen. — Offenbar Industrie in
den Händen
bringt er ferner bei einer Gesetzgebung, wie er ^^^ ®****^-
sie vorschlägt, nur einen winzigen Staat zu Wege,
wofern nämlich alle Gewerksieute Staatssclaven
^ sein und also zur Ausfüllung der Zahl der Staats-
mitglieder nichts beitragen sollen. Vielmehr,
wenn überhaupt von diesem Vorschlag Gebrauch
zu machen ist, so dürften Staatssclaven nur zu
Arbeiten mit staatlichem Zweck verwendet und
90 II, 8.
die Einrichtung mttsste so getroffen werden, wie
sie in Epidamnos besteht und Diophantos es in
Athen einmal einzuttihren versuchte. — Aus dem
Gesagten wird man hinlänglich ersehen, was
Phaleas in seinem Verfassungsentwurf Richtiges
oder nicht Richtiges vorgebracht hat.
Der Erste aber unter den nicht praktischen 8
Staatsmännern, welcher Etwas über die beste
uer Staat Staatsform aufzustellen unternommen hat, war
des Hippo-
damos. Hippodamos, des Euryphon Sohn aus Milet, der-
selbe, welcher den Städtebau mit getheilten Quar-
tieren aufgebracht und im Piräeus die sich durch-
schneidenden Strassen angelegt hat, und der übri-
gens auch in seinem ganzen Auftreten aus Sucht
sich auszuzeichnen so sehr in das Klügeln ge-
rieth, dass er Manchen einen geckenhaften Ein-
druck machte mit seiner Haarttllle und den kost-
baren Schmucksachen bei einer zwar einfachen
aber nicht bloss im Winter sondern auch zur
Sommerzeit warmen Kleidung, wie er denn auch
ein die ganze Natur umfassender Gelehrter sein
wollte. Seinen Staat nun wollte er, was die Be-
völkerung angeht, aus zehntausend Männern bil-
den, und zwar sollte sie in drei Klassen getheilt
sein ; eine Klasse nämlich Hess er aus Gewerks-
ieuten bestehen, eine andere aus Bauern, und
die dritte aus dem Wehrstand, welcher auch
allein Waffen ftihrt. Nicht minder wollte er den
Grund und Boden in drei Theile theilen, in
II, 8. 91
heiliges, öffentliches und Privatland; heiliges,
wovon der übliche Götterdienst bestritten wer-
den soll, staatliches, wovon die Wehrleute ihren
Unterhalt beziehen sollen; und das der Bauern
soll Privatland sein. Auch von Gesetzen, meinte
er, gebe es nur drei Gattungen. Denn die Ge-
genstände aller Prozesse seien nur drei an der
Zahl, nämlich folgende: Verletzung der Ehre,
Verletzung des Eigenthums, und Todtschlag. Auch
wollte er einen obersten Gerichtshof eingeführt
wissen, an welchen alle vermeintlich unrichtig
entschiedenen Sachen gebracht werden sollten;
und besetzen wollte er ihn mit einer Anzahl
durch Wahl bestimmter Greise. Die richterlichen
Urtheile, meinte er ferner,' dürfen nicht mittelst
Kugelung abgegeben werden, sondern jeder Rich-
ter solle ein Täfelchen einreichen, worauf er zu
schreiben habe, wenn er einfach verurtheile;
spreche er einfach frei, so bleibe es leer; wolle
er aber beides nur theil weise thun, so habe er
dieses näher anzugeben. Die jetzt hierüber gel-
tenden Anordnungen seien, meinte Hippodamos,
nicht zu billigen. Denn da die Richter nur mit
Ja oder Nein entscheiden dürfen, so nöthige man
sie ihren Eid zu verletzen. Auch wollte er ein
Gesetz geben, dass denen, welche eine dem Staat
nützliche Erfindung machten, Auszeichnungen zu
Theil würden, und auch dass die Kinder der im
Kriege Gefallenen Erziehung auf öflFentliche Ko-
92 II, 8.
sten erhielten ; als wenn diess bisher nirgends
sonst eingeführt wäre, während doch sowohl in
Athen wie in anderen griechischen Staaten dieses
Gesetz in Wirksamkeit ist. — Die Beamten ferner
sollen alle von der Gemeinde gewählt werden
— die Gemeinde wiederum soll aus allen drei
Klassen des Staates bestehen — und die Ge-
wählten sollen die. öffentlichen, Fremden- und
Waisen -Angelegenheiten unter ihre Obhut neh-
men. — Hiermit sind die meisten und bemer-
kenswerthesten Punkte der Verfassungsform des
Hippodamos angegeben.
Kritik des Zuvördcrst dürfte man nun Anstoss nehmen
Staats des
Hippoda- an der Klasseneintheilung der gesammten Btir-
germenge. Die Gewerksieute nämlich, die Bauern
und die Waffenführenden, sie Alle sollen Staats-
bürger sein, die Bauern, während sie doch keine
Waffen, die Gewerksieute, während sie doch we-
der Grundbesitz noch Waffen haben, so dass sie
fast zu Sclaven der Waffenflihrenden werden
müssen. Dass diesen zwei letzteren Klassen
nun alle Ehrenämter zugänglich seien, erweist
sich als unaustührbar. Denn nothwendig müssen
es Leute aus der waffenftihrenden Klasse sein,
welche zu Feldherren, Bürgervögten und, möchte
man sagen, gerade zu den einflussreichsten Aem-
tern bestellt werden. Sind nun diese Aemter,
mithin das Staatsbürgerrecht, den übrigen Klassen
verschlossen, wie ist es dann denkbar, dass die-
mos.
11,8. 93
selben dem Staate ergeben seien? Jedoch, wird
man einwenden, mögen sie ergehen sein oder nicht,
jedenfalls muss doch die eine Klasse, da sie ja
allein Waffen führt, den beiden anderen Klassen
zusammengenommen tiberlegen sein. Aber, ent-
gegne ich, diess ist nicht so leicht, wenn die
waiFenillhrehde Klasse nicht zahlreich ist; ist sie
es aber, weshalb dann die übrigen für Voll-
bürger erklären und die Bestellung der Beamten
in ihre Hand legen ? Ferner, wozu/ nützen die
Bauern in diesem Staat ? Gewerksieute sind aller-
dings nothwendig; denn jeder Staat bedarf der
Gewerksieute, und diese können sich auch in
diesem Staat, wo sie keinen Grundbesitz haben
sollen, so gut wie in den anderen Staaten mit
dem Ertrage ihres Handwerks durchbringen. Aber
die Bauern? sollten sie bloss der waflfenflihren-
den Klasse ihren Unterhalt schaffen, so würden
sie mit gutem Grunde eine Bürgerklasse bilden,
jetzt aber besitzen sie eigenes Land und beibauen
es für eigene Rechnung. — Ferner, bezüglich des
Gemeinlandes, von welchem der Wehrstand sei-
nen Unterhalt beziehen soll, entstehen folgende
Bedenken: sollen es die Waflfenflihrenden selbst
bebauen, so ist die Scheidung zwischen Krieger-
und Bauernstand nicht vorhanden, welche durch-
züttlhren doch die Absicht des Gesetzgebers ist.
Sollen hingegen die Besteller des Gemeinlandes
verschieden sein von den Bauern mit eigenem
94 II, 8.
Landbesitz und von den Kriegern, so entstände
daraus ein vierter Bestandtheil des Staates, der
gar keinen Staatsvortheil genösse und also der
Verfassung abhold sein müsste. Endlich, wollte
man die Bestimmung treffen, dass ein und die-
selben Leute ihr eigenes und das Gemeiriland
bestellen, so lässt sich erstlich von der Feldarbeit
je Eines Ackermanns schwerlich eine solche
Fruchtemenge erzielen als ftlr den Bedarf- je
zweier Hausstände nöthig ist, und zweitens wa-
rum sollen denn diese Landbesteller nicht gleich,
ohne dass überhaupt eine Scheidung zmschen Pri- "
vat' und Gemeinland stattfindet, von denselben
Hufen sich ihren eigenen Unterhalt nehmen und
den Kriegern den ihrigen liefern? Alles dieses
Form des leidet also an grosser Verwirrung. — Ebensowenig
Richter-
spnichs. igt das Gesetz in Betreff der Richtersprtiche zu
billigen, dass er nämlich, während doch die Klage
einfach lautet, einen theilweisen Urtheilsspruch,
foi:dert, und sonach den Richter zum Schieds-
mann werden lässt. Bei Schiedsgerichten lässt .
sich diess allerdings, auch wenn der Schieds-
männer mehrere sind, wohl durchführen, weil man
da sich unter einander über das Urtheil bespricht,
in den Geschworenengerichten jedoch geht es
nicht an, viehnehr treffen die meisten Gesetzge-
ber gerade dafiir Vorkehrungen, dass die Rich-
ter sich nicht unter einander besprechen. Fer-
ner, wie soll Verwirrung beim Urtheil in dem
II, 8. 95
Falle vermieden werden, wenn der Richter zwar
glaubt, dass eine Schuld vorliege, aber nicht in
dem vom Kläger angegebenen Betrage? Z. B. der
Kläger fordert zwanzig Minen, einer der Richter
meint es gebühren ihm nur zehn Minen ( — oder
welclie grössere Summe man für den Kläger und
welche kleinere man für den Richter wählen
will — ) ein anderer Richter meint ftinf, wieder
ein anderer vier ( — denn natürlich werden sich
die Meinungen in solcher Weise nach Bruchthei-
len spalten — ) ausserdem erkennen einige Rich-
ter dem Kläger seine ganze Forderung und einige
erkennen ihm gar nichts zu. Wie soll nun in
solchem Falle die Auszählung der Stimmen vor-
genommen werden ? — Endlich liegt in dem ein-
fachen Ab- oder Zuerkennen gar keine Nöthigung
7.ur Eidesverletzung, wofern auch die Klage in
der richtigen Form einfach gestellt ist. Denn
der Aberkennende urtheilt nun nicht, dass gar
keine, sondern dass keine Schuld in diesem Be-
trage von zwanzig Minen vorliege, und erst der-
jenige verletzt, seinen Eid, welcher, ohne an eine
Schuld in diesem Betrage von zwanzig Minen
zu glauben, ein zuerkennendes Urtheil abgiebt. —
üass aber den Männern, welche etwas dem Staat
Nützliches erfinden, eine Ehrenbezeugung gewährt
werde — hierüber ein Gesetz aufzustellen ist
nicht gefahrlos, und bloss wenn man es so hört,
hat es einen guten Schein. Denn es zieht Schi-
96 n, 8.
kaue und, nach Umständen, auch Umwälzungen
der Verfassung nach sich. Jedoch berührt sich
dieser Punkt mit einem anderen Problem und
einer eigens anzustellenden Untersuchung, mit
der Frage nämlich, welche von Manchen aufge-
worfen wird, ob Aendern an den väterlichen
Satzungen, auch wenn sich etwas Besseres dafür
darbietet, den Staaten schädlich, oder ob es för-
derlich sei; hiernach dürfte man also schwerlich
dem Vorschlag des Hippodamos so ohne Wei-
teres zustimmen, falls das Aendern an sich nicht
förderlich sein sollte, da es' ja leicht kommen
kann, dass Jemand Aufhebung von alten Satzun-
gen oder gar der Verfassung als eine öffentliche
Wohlthat in Antrag bringt.
Da wir nun aber einmaUauf diesen Punkt
geführt worden, so wird es zweckmässig sein,
ihn noch ein wenig zu erörtern. Denn, wie ge-
sagt, die Sache hat ihre zwei Seiten, und wohl
Gründe für könutc man glauben, das Aendern sei gut. We-
die Neue- ° ' °
riingen. nigstcus iu dcu übrigen Wissenschaften hat es
sich förderlich erwiesen, z. B. die über das vä-
terliche Herkommen hinausgehenden Aenderun-
gen in der Heilkunde, auch in der Gymnastik
und überhaupt in allen Künsten und Fertigkeiten;
und da in Eine Klasse mit diesen doch auch die
Staatskunst zu setzen ist, so sollte man meinen,
dass auch in ihr das Gleiche gelten muss. Die
geschichtlichen Thatsachen selbst, könnte man
n, 8. 97
sogen, weisen daraufhin, da ja die alten Satzun-
gen gar einfältig und barbarisch seien; stets
trugen die Hellenen das Messer am Gürtel, und
die Frauen kaufte Einer vom Anderen; und was
sich irgendwo noch von alten Bräuchen erhalten
hat, ist durchaus thöricht ; z. B. in Kyme besteht
für Blutgerichte die Satzung, dass wenn der den
Mord Einklagende eine Anzahl Zeugen aus seiner
eigenen Vetterschaft beibringt, der Angeklagte als
des Mordes schuldig angesehen wird. Ueber-
haupt komme es ja allen Leuten nicht auf das
väterliche Herkommen sondern auf das an, was
das Beste ist. Und ferner sind doch wohl die
ersten Menschen, sei es dass sie Erdentwachsene
waren oder aus irgend welchem allgemeinen
Untergang entrannen, nur wenige und von gewöhn-
lichem Schlage und — was den Erdentwachsenen
ja auch die Sage ausdrücklich beilegt — unver-
ständig gewesen, so dass es doch seltsam wäre,
an dem festhalten zu wollen, was solchen Men-
schen gut dünkte. Ueberdiess sei Unabänderlich-
keit nicht einmal bei den aufgeschriebenen Ge-
setzen rathsam. Denn so wie bei den übrigen
Künsten sei es auch bei staatlichen Ordnungen un-
möglich, Alles in schriftlicher Aufzeichnung zu er-
schöpfen, da ja die schriftliche Fassung noth wendig
eine allgemeine ist, während die Anwendung
es mit dem Besonderen der Einzelfälle zu thun
hat. Hiernach also wäre es erwiesen, dass zu
7
98 II, 8.
gewissen Zeiten Aenderung gewisser Gesetze ge-
boten ist. — Von einer anderen Seite betrachtet,
Gründe scheint ledoch die Sache grosse Vorsicht zu ver-
gegen die «' *-'
rangln, langen. Ist nämlich die Verbesserung nur gering,
und liegt hingegen in der Gewöhnung, leichthin
die Gesetze aufzuheben, etwas Schlimmes, so ist
es klar, dass man gegen manche Missgriflfe sowohl
der Gesetzgeber als der Behörden nicht ein-
schreiten darf; denn der Vortheil der Neuerung
würde den Schaden nicht aufwiegen, der daraus
entsprijigt, dass man sich an Unbotmässigkeit
gegen das Bestehende gewöhnt. — Das von den
Künsten hergenommene Beispiel ist ebenfalls
trügerisch. Denn Aenderung in einer Kunst und
Aenderung im Gesetz stehen sich nicht gleich.
Die ganze Kraft des Gesetzes, sich Gehorsam zu
verschaffen, beruht allein auf der Gewohnheit,
und diese bildet sich nur im Lauf der Zeit aus.
Also ist das leichte Uebergehen von den be-
stehenden Gesetzen zu anderen neuen Gesetzen
eine Schwächung des innersten Wesens des Ge-
setzes. — Endlich, angenommen dass Aenderung
von Gesetzen überhaupt rathsam sei, ist sie
es bei allen Gesetzen und in jeder Verfassungs-
form, oder nicht? soll die Aenderung von jeder
beliebigen oder von bestimmten, dazu befugten
Personen ausgehen? Diese Unterschiede sind von
grosser Bedeutung. Wir wollen also lieber diese
Untersuchung fallen lassen; denn sie erfordert
mehr Zeit, als wir jetzt haben.
II, 9. 99
9 Bei der Verfassung der Lakedämonier und Die spar-
tsnlsche
der kretischen und wohl auch bei allen anderen Verfassung.
Verfassungen sind zwei Punkte zu untersuchen:
erstlich, ob die gesetzlichen Bestimmungen der
besten staatlichen Ordnung entsprechen, oder
nicht entsprechen; zweitens, ob etwas in ihnen
dem Grundgedanken und der Eigenthümlichkeit
derjenigen Verfassung widerstrebt, welche die
Gesetzgeber selbst sich zum Ziel gesteckt haben.
Dass nun, wenn ein edles Staatsleben bestehen
soll, die Bürger der niederen Nothdurftsarbeit
enthoben sein müssen, wird allgemein zugestanden.
In welcher Weise jedoch diese Enthebung be-
werkstelligt werden muss, ist anzugeben nicht
leicht. Leibeigene, die für die Bürger arbeiten,
werden oft gefährlich. Hat sich doch die thessa-
lische Penestenschaft häufig gegen die Thessaler
erhoben, und nicht minder die Heloten gegen Heloten.
die Lakonen; in der That lauern sie gleichsam
im Hinterhalt stets auf Unglücksfälle des lakoni-
schen Staats. Bei den Kretern allerdings ist
bis jetzt dergleichen noch nicht vorgekommen;
der Grund liegt vielleicht darin, dass dort von
den benachbarten Städten, obgleich sie sich
gegenseitig bekriegen, doch keine sich mit den
aufständischen Hintersassen verbündet, weil diess
gegen ihr eigenes Interesse wäre, da sie ebenfalls
Hintersassen haben; die Lakedämonier hingegen
hatten lauter Erbfeinde zu Nacbbaren, Argeier
100 n, 9.
und Messenier und Arkader, die vor einem Bund-
niss mit den Heloten sich nicht scheuten ; wie ja
auch die anfanglichen Empörungen bei den
Thessalern nur stattfanden, weil diese noch immer
Grenzkriege zu führen hatten mit Achäern und
Perrhäbern und Magneten, welche ebenfalls sich
mit den Penesten einliessen. Und auch von allem
Anderen abgesehen, so macht doch jedenfalls
die Beaufsichtigung der Leibeigenen viel zu
schaffen; auf welche Art soll man sie behandeln?
Hält man sie in loser Zucht, so werden sie tiber-
müthig und wollen ihren Herren gleichstehen;
wird ihnen das Leben sauer gemacht, so gehen
sie mit bösen Anschlägen um und hegen Hass.
Die Lakedämonier also, welchen mit ihrer Helo-
tenschaft das Letztere begegnet, sind gewiss nicht
die Erfinder der besten Art, Leibeigene zu be-
handeln. — Die schlaffe Zucht ferner in Betreff
Die Frauen dcr Fraucu thut Eintrag sowohl dem Hauptzweck
in Sparta.
ihrer Verfassung als auch der Staatswohlfahrt
an sich. Wie nämlich das Haus in Mann und
Weib getheilt ist, so muss man auch den Staat
fast ganz so ansehen, als bestehe er aus einer *
Zweitheilung in männliche und weibliche Be-
völkerung; mithin darf man sagen, dass in allen
Verfassungen, wo es mit den Frauen schlecht
bestellt ist, der halbe Staat ohne Gesetzgebung
sei. Und diess ist dort in der That eingetreten.
Denn während der Gesetzgeber den ganzen
11,9. 101
Staat sittenstrcDg haben will, so fuhrt er diese
Absicht zwar unverkennbar durch rticksichtli<5li
der Männer, bei den Frauen aber hat er es nicht
genau genommen. Wirklich leben diese aus-
schweifend in jedem Sinne des Worts und tippig.
Unter einer solchen Verfassung muss dann auch
Reichthum viel gelten, besonders wenn Weiber-
regiment herrscht, wie das meistens bei den die
Soldtruppen liefernden und überhaupt bei den
kriegerischen Stämmen der Fall ist, die Kelten
ausgenommen und wo etwa noch sonst man sich
offen der Knabenliebe ergiebt. Wohl nicht ohne
Grund, scheint es, hat wer zuerst diesen Mythos
ersann, den Ares mit der Aphrodite gepaart.
Denn, wie die Erfahrung lehrt, sind alle der-
gleichen Leute entweder von der Leidenschaft
zu Männerumgang oder zu dem mit Frauen be-
sessen. Daher war es auch bei den Lakonen so,
und zur Zeit als sie die erste griechische Macht
waren ging Vieles durch die Hände der Frauen.
Und worin besteht denn nun der Unterschied,
ob Frauen Beamte sind oder die Beamten sich
von den Frauen beherrschen lassen? Das Ergeb-
niss ist beidemal dasselbe. Während nun ferner
Keckheit bei keinem der alltäglichen weiblichen
Geschäfte, sondern höchstens im Kriege von
Nutzen ist, so waren die Frauen der Lakonen
auch nach dieser Seite im höchsten Grade schäd-
lieh. Bei dem Einfall der Thebaner haben sie
102 11,9.
(las deutlich bewiesen. Brauchbar waren sie zu
nichts, wie es in anderen Städten doch die Frauen
sind, Lärm aber machten sie noch mehr als der
Feind. Ursprünglich nun scheint bei den La-
konen aus begreiflichen Gründen diese schlaffe
Zucht der Frauen entstanden zu sein. Denn,
draussen zu Felde liegend,, entfremdeten sie sich
der Heimath, als sie lange Zeit Krieg führten
erst gegen die Argeier und dann gegen die Ar-
kader und Messenier. Und als nun ruhige Zeiten
kamen, fügten sich allerdings die Männer dem
Gesetzgeber, da diese im Soldatenleben, das ja
nach vielen Seiten sittliche Tüchtigkeit ausbildet,
eine Vorschule durchgemacht hatten ; die Frauen
jedoch soll Lykurgos zwar, wie es heisst, zu
seinen Gesetzen hinzuflihren versucht haben, als
sie sich aber sperrten, wieder davon abgestanden
sein. Auf solche Anlässe also können die that-
sächlichen Verhältnisse und mithin allerdings
auch dieser auf die Frauen bezügliche Verfassungs-
fehler zurückgefllhrt werden. Aber wir unter-
suchen hier nicht, was verzeihlich und was nicht
verzeihlich, sondeni was richtig und was nicht
richtig ist.
Wie nun schon vorhin gesagt, wirft der Miss-
stand mit den Frauen nicht bloss an sich einen
Flecken auf die Verfassung, sondern befördert
auch die Geldsucht. Diess führt uns auf den
Punkt, welcher nach dem bisher Besprochenen
II, 9. 103
zunächst dem Tadel ausgesetzt ist: die Ungleich- Beeitzver-
mässigkeit des Besitzes. Es ist nämlich bei ihnen ^p*^-
dahin gekommen, dass Einige ein gar grosses,
Andere ein überaus kleines Vermögen haben;
weshalb dann auch der ganze Grundbesitz in
die Hände weniger Personen tibergegangen ist.
Hierüber sind auch die gesetzlichen Bestimmun-
gen fehlerhaft. Kauf oder Verkauf des Familien-
guts hat nämlich der Gesetzgeber mit einem
Makel belegt, und daran hat er Recht gethan;
es jedoch zu verschenl^en oder zu vermachen hat
er nach Belieben freigestellt. Gleichwohl sind
die Folgen nothwendig dieselben in diesem wie
in jenem Fall, Auch gehören fast zwei Fünftel
des ganzen Bodens den Frauen, weil ^ie Zahl
der Erbtöchter beträchtlich ist und weil man
grosse Mitgiften giebt. Gleichwohl wäre doch
besser festgesetzt, dass gar keine oder eine kleine
oder doch wenigstens nur eine massige Mitgift
gegeben werde. Jetzt hingegen steht es dem
Vater frei, grosse Mitgift zu geben und auch die
den Grundbesitz erbende Tochter an wen es ihm
beliebt zu verheirathen; und stirbt er ohne letz-
willige Verfügung, so kann sie der hinterblei-
bende Erbe seines übrigen Vermögens verheirathen
an wen er will. So kam es denn auch dass,
obgleich das Land im Stande ist ftinfzehnhundert -*
Reiter und dreissigtausend Schwerbewaffnete zu
ernähren, die Zahl der Spartiaten nicht einmal
104 II, 9.
tausend betrug. Dass diese Verhältnisse bei
ihnen schlecht geordnet sind, ist auch durch die
*
einfachen geschichtlichen Thatsachen erwiesen
worden. Eine einzige Niederlage konnte der
Staat nicht tiberdauern, sondern ging zu Grunde
an Menschenmangel. Unter den früheren Königen
nun habe man, wird erzählt, das Bürgerrecht an
Nichtbürger ertheilt und deshalb sei, obgleich
anhaltend Krieg geführt wurde, damals doch kein
Menschenmangel eingetreten; ja einstmals sollen
die Spartiaten sogar sich auf zehntausend be-
laufen haben. Mag diess nun wahr sein oder
nichl^ jedenfalls wird zweckmässiger als durch
Ausdehnung des Bürgerrechts die reichliche Be-
völkerung des Staats durch gleichmässige Ver-
theilung des Besitzes erstrebt. Auch das Gesetz
über das Kinderzeugen ist der Verbesserung
dieses Misstandes hinderlich/ Weil nämlich der
Gesetzgeber die Zahl der Spartiaten so gross
als möglich sehen will, treibt er die Bürger an,
möglichst viele Kinder zu zeugen; so haben sie
denn ein Gesetz, dass wer drei Söhne gezeugt
hat, von der 'Kriegswacht', wer vier, von jeder
Leistung entbunden ist. Gleichwohl springt es
doch in die Augen, dass wenn die Bevölkerung
wächst, während der Boden in solcher Weise
vertheilt ist, nothwendig auch die Zahl der
Armen steigen muss. — Nicht minder sind die
Bestimmungeil über das Ephorenamt fehlerhaft.
II, 9. 105
Dieser Behörde als solcher steht die Entschei- Ephoren.
düng über die wichtigsten Angelegenheiten Spar-
ta's zu; es kommen jedoch nur Leute aus dem
Demos hinein, so dass oft gar arme Menschen
in . das CoUegium gerathen, und solche waren
dann aus Noth käuflich. Zu wiederholten Malen
hat sich diess in fiilheren Zeiten herausgestellt
und auch jetzt wieder bei der Andrischen Sache.
Einige Ephoren nämlieh, die mit Geld bestochen
waren, richteten, so weit an ihnen war, den
ganzen Staat zu Grunde. Und ferner sahen sich,
weil diese Behörde so gar mächtig und unum-
schränkt wie ein Tyrann gebietend ist, die Könige
gezwungen, den Ephoren den Hof zu machen,
so dass auch diess mit zum Verderb der Ver-
fassung beitrug. Demokratie nämlich ward nun
was Aristokratie gewesen war. Ein die Ver-
fassung zusammenhaltendes Band ist dieses CoUe-
gium allerdings. Denn nun bleibt der Demos
ruhig, weil ihm das wichtigste Amt zugänglich
ist; und jedenfalls also, mag dieses Ergebniss
von dem Gesetzgeber beabsichtigt, oder zufällig
sein, ist die Einrichtung politisch vortheilhaft.
Denn wenn eine Verfassung sich behaupten soll,
so müssen alle Klassen des Staats das Bestehen
und unveränderte Fortdauern derselben wtinschens-
werth finden. Diese Anhänglichkeit an die Ver-
fassung ist in Sparta bei den Königen vorhan-
den in Folge ihrer eigenen Ehrenstellung, bei
106 II, 9.
^
den gebildeten Ständen, in Folge der Geinisia;
denn dieses Amt ist ein Preis, der durch Tüch-
tigkeit errungen wird; bei dem Demos aber ist
jene Anhänglichkeit vorhanden in Folge des Epho-
renamts; denn zu demselben sind Alle ohne Aus-
nahme wählbar. Demnach wäre es zwar richtig,
dass zu diesem Amt Wählbarkeit für Alle ohne
Ausnahme bestände, nur dürfte das Wählen nicht
in der jetzigen Weise geschehen. Denn diese ist
gar kindisch. — Wichtige Kechtsurtheile ferner
haben die Ephoren zu fällen, während sie doch
Leute beliebigen Schlages sind; es wäre also
besser, dass sie nicht, wie jetzt geschieht, nach
persönlichem Ermessen urtheilten, sondern nach
dem Buchstaben des Gesetzes. — Auch dsCs täg-
liche Leben der Ephoren stimmt nicht zu der
sonstigen Richtung des Staates; es ist nämlich
ein gar lockeres, während ftlr die übrigen Bürger
in diesem Punkt die Uebertreibung eher nach
der Seite ^ der Härte stattfindet, so dass sie es
nicht aushalten können, sondern verstohlen, gleich-
sam als Ausreisser vor dem Gesetz, die sinnlichen
Freuden gemessen. — Auch mit der Behörde
Geronten. der Gcroutcn ist es dort nicht fehlerfrei bestellt.
Wären die Mitglieder ordentliche und genügend
zu allen Eigenschaften eines braven Mannes heran-
gebildete Leute, so könnte man vielleicht sagen,
die Einrichtung sei dem Staat vortheilhaft, ob-
gleich auch dann noch der Punkt, dass sie
II, 9. 107
lebenslänglich wichtige Rechtsentscheidungen fäl-
len, sein Bedenken hätte; denn es giebt ein
Altern der Geisteskraft, so gut wie des Körpers.
Da sie nun aber dergestalt gebildet sind, dass
der Gesetzgeber selbst ihnen als nicht braven
Männern misstraut, so liegt hierin eine Gefahr.
In der That ist es erwiesen, dass die Mitglieder
dieser Behörde sich bestechen lassen und die
öffentlichen Angelegenheiten vielfach persönlicher
Gunst opfern. Daher wären auch diese Geron-
ten besser nicht unverantwortlich, wie sie es
jetzt sind. Man könnte freilich einwenden, dass
ja alle Behörden der Ephorenbehörde verant-
wortlich sind. Aber erstlich wird damit wieder-
um der Ephorie ein gar grosses Machtgeschenk
verliehen, und dann meinen wir auch nicht, dass
die Verantwortlichkeit der Geronten in solcher
allgemeinen Weise stattfinden soll. — Die Art
ferner, wie sie dort die Wahl der Geronten vor-
nehmen, ist erstlich, was den entscheidenden
Wahlact betriflft, kindisch, und auch dass wer
Itir das Amt würdig befunden werden soll, selbst
darum bitten muss, ist nicht richtig. Denn der
des Amts Würdige soll Beamte sein, möge er
wollen oder nicht. Jetzt aber tritt auch hierin
der Gedanke hervor, welcher den Gesetzgeber
bei den übrigen Theilen der Verfassung geleitet
hat. Er legt es nämlich darauf an, die Bürger
ehrsüchtig zu machen, und Leute von diesem
108 II, 9.
Charakter hat er also auch für die Gerontenwahl
ins Auge gefässt; denn Niemand als ein Ehr-
süchtiger wird darum bitten, Beamte zu werden.
Gleichwohl entspringen die meisten absichtlichen
Rechtsverletzungen, welche in der Welt vorkom-
men, fast nur aus Ehrsucht und Geldsucht. —
Die Könige. Was die Königswürde anlangt, so soll die Frage,
ob ihr Nichtbestehen für die griechischen Staa-
ten besser sei oder ihr Bestehen, anderswo be-
sprochen werden. Jedenfalls jedoch wäre es
besser dass, anders als es jetzt geschieht, bei
jedem Könige nur auf das gesehen würde was
er persönlich ist und thut. Dass nun aber in
Lakedämon nicht einmal der Gesetzgeber selbst
es für möglich hält, die Könige zu edlen und
braven Männern auszubilden, ist deutlich. Wenig-
stens bezeigt er ihnen Misstrauen, als seien sie
nicht hinlänglich brave Männer. Deshalb schickte
man auch, wenn sie sich ausser Landes begaben,
als Beigeordnete ihre Feinde mit, und sah in
der Zwietracht der Könige eine Bürgschaft für
den Staat. — Unrichtig sind auch die gesetz-
phiditia. liehen Bestimmungen über die Tischgenossen-
schaften, die sogenannten Phiditia, von dem fest-
gestellt, der sie zuerst eingeführt hat. Es müssten
nämlich diese Zusammenkünfte lieber auf öffent-
liche Kosten stattfinden, wie in Kreta. Bei den
Lakonen hingegen muss jeder Einzelne beitragen,
obgleich manche sehr arm sind und diese Aus-
(
II, 9. ' 109
gäbe nicht zu bestreiten vermögen; das Ergeb-
niss ist also ein der Absicht des Gesetzgebers
geradezu widersprechendes. Es soll nämlich die
Anstalt der Tischgenossenschaften eine demokra-
tische sein; in dieser Form jedoch wird sie Alles
eher als demokratisch. Denn ftlr die gar Armen
ist es nicht leicht, sich daran zu betheiligen,
während die herkömmliche Grenze des Bürger-
rechts bei ihnen diese ist, dass wer jene Bei-
steuer nicht zu entrichten vermag, kein Bürger-
recht ausüben kann. — Das Gesetz über die
Admiralswürde haben schon Andere getadelt, und
ihr Tadel ist richtig; denn es ist eine Quelle der
Zwietracht. Neben den Königen nämlich, die
unabsetzbare Generale sind, steht nun die Admi-
ralswürde fast wie ein zweites Königthum. —
Gegen den Grundgedanken des Gesetzgebers aber
lässt sich auch noch folgender Tadel aussprechen,
wie ihn Piaton in den 'Gesetzen^ wirklich ausge-
sprochen hat. Das ganze System der Gesetze
ist nämlich auf Eine Seite der Tugend berechnet,
auf kriegerische Tugend, weil diese zur Herr-
schaft verhilft. So ging es ihnen denn auch
gut, so lange sie Krieg fahrten; zu Grunde aber
gingen sie, als sie die erste griechische Macht
geworden waren, weil sie nicht verstanden in
Müsse zu leben, und keine andere Ausbildung
von höherem Gewicht als die kriegerische sich
angeeignet hatten. — ■ Von nicht minderer Be-
110 11,10.
deutung ist folgender Irrthum : sie sind der An-
sicht, dass die Güter, fllr welche die Menschen
Alles aufs Spiel zu setzen pflegen, eher durch
Tugenden als Untugenden zu erlangen sind;
und hierin haben sie gewiss Recht; dass sie nun
aber jene Güter fllr vorzüglicher achten als die
Tugend, darin haben sie nicht Recht. — Auch
Finanzen, mit dcu Staatsfinanzcu ist es bei den Spartiaten
übet bestellt. Vorräthig haben sie im öffentlichen
Schatz nichts fllr den Nothfall eines grossen Krie-
.ges, und die ausserordentlichen Steuern entrich-
ten sie schlecht; weil nämlich der Grundbesitz
meistens in den Händen von Spartiaten ist, mag
ein Spartiate des Anderen Steuern nicht contro-
liren. Und so hat denn der Gesetzgeber die
gerade Umkehrung des richtigen Verhältnisses
herbeigeftthrt. Den Staat nämlich hat er geld-
arm, und die Einzelnen geldsüchtig gemacht. —
So viel mag über die Verfassung der Lakedä-
monier genügen; denn hiermit sind die Punkte
berührt, gegen welche sich vorzüglich Einwen-
dungen machen lassen.
Die kreti- Die krctischc Verfassung ist nun zwar das lo
sehe Ver-
fassung. Seitenstück der lakedämonischen; jedoch, mögen
auch einige geringe Bestandtheile derselben nicht
schlechter sein, so ist doch das Meiste weniger
abgerundet. Spricht ja Wahrscheinlichkeit wie
Ueberlieferung daflir, dass die Verfassung der
Lakonen in den meisten Stücken die kretische
II, 10. 111
zum Vorbild gehabt hat, und das Alte ist
ja gewöhnlich weniger scharf ausgeprägt als
das Neuere. Lykurgos nämlich soll, als er
nach Niederlegung der Vormundschaft über den
Charillos auf Reisen ging, die längste Z^eit in
Kreta verweilt haben, wozu ihn die Stammver-
wandtschaft veranlasste. Denn die Lyktier waren
von denLakonen ausgesandte Ansiedler, und als
sie zur Ansiedlung auf die Insel kamen, trafen
sie das fragliche System von Gesetzen schon in
Geltung unter den damaligen Einwohnern. Des-
halb leben auch jetzt noch die Hintersassen, die
Ueberreste der alten Bevölkerung, in unveränderter
Weise nach diesen Gesetzen, weil die erste Fest-
stellung des gesammten Systems derselben auf
Minos zurückgeht. Es scheint nun die Insel
für die Herrschaft über Hellas von der Natur
bestimmt und trefflich gelegen zu ^ein. Denn
sie beherrscht durch ihre Lage das ganze Mittel-
meer, und die Hellenen haben ja fast Alle ihre
Sitze um das Mittelmeer herum. Auf der einen
Seite ist die Entfernung vomPeloponnes nur ge-
ring, auf der anderen ist der nächste Punkt
Asiens schon die Gegend um Triopion und Rho-
dos. Daher hat auch Minos sich der Herrschaft
über das Mittelmeer bemächtigt und die Inseln
theils sich unterworfen theils mit Ansiedelungen
besetzt und schliesslich sich gegen Sicilien ge-
wandt, wo er bei Kamikos den Tod fand. —
112 n,io.
Die Aehnlichkeit nun zwischen dem kretischen
System und dem lakonischen bestellt in Folgen-
dem. Für die Spartiaten bauen die Heloten das
Feld, flir die Kreter die Hintersassen; und auch
Tischgenossenschaften sind bei Beiden, ja vor
Alters führten sie sogar bei den Lakonen nicht
den Namen Phiditia sondern Andria, wie bei
den Kretern — ein deutliches Zeichen dass sie
von dorther stammen. Ferner ist das Verfassungs-
system ähnlich. Denn die Ephoren haben die-
selbe Stellung wie die in Kreta sogenannten
Kosmoi, nur dass die Zahl der Ephoren itinf,
die der Kosmoi zehn ist. Die spartanischen 6e-
ronten stehen den Aeltesten gleich, welche bei den
Kretern Rath heissen. Das Königthum bestand
wenigstens früher in Kreta so gut wie in Sparta;
dann haben es die Kreter abgeschafft, und der
Oberbefehl im Kriege steht jetzt den Kosmoi zu.
An der Volksversammlung haben Alle Theil, je-
doch besitzt sfe keine andere Befugniss als die
Beschlüsse der Kosmoi und der Aeltesten durch
ihre Abstimmung mitzubestätigen. — Die Tisch-
genossenschaften sind bei den Kretern besser
eingerichtet als bei den Lakonen. In Lakedämon
nämlich muss Jeder kopfweise den festgesetzten
Beitrag einliefern, wonicht, so ist ihm, wie schon
s. oben s. 109. früher erwähnt, gesetzlich die Ausübung des
Bürgerrechts untersagt. In Kreta dagegen ist
es mehr Staatssache. Von -allem Früchte- und
11,10. 113^
Heerdenertrag nämlich, ferner von den Domä-
nen und den Abgaben, welche die Hintersassen
entrichten, ist ein Theil ausgesetzt zum Behuf
des Götterdienstes und der laufenden staatlichen
Ausgaben, und ein anderer Theil für die Tisch-
genossenschaften, so dass Alle auf öflfentliche
Kosten unterhalten werden, Weiber, Kinder und
Männer. Auch damit man wenig esse, welches
er für heilsam hält, hat der Gesetzgeber vielerlei
ersonnen, so wie auch um die Frauen von den
Männern entfernt zu halten, damit sie nicht viele
Kinder bekommen; zu solchem Zwecke hat er
den Umgang der Männer untereinander einge-
führt. Ob dieser vom Uebel oder nicht vom Uebel
sei, wird zu untersuchen sich eine andere Gele-
genheit bieten. Dass jedoch die Einrichtung der
Tischgenossenschaften bei den Kretern besser ist
als bei den Lakonen, leuchtet ein. Dagegen ist
es mit den Kosmoi noch schlechter bestellt als Koamoi.
mit den Ephoren. Denn der Uebelstand, an dem
' > -^' das EphorencoUegium leidet, ist auch in dem
'f -' "- der Kosmoi vorhanden; es kommen nämlich Leute
' .a ' -' beliebigen Schlages hinein. Das Gute hingegen,
n V'- ' welches in Sparta für die Verfassung daraus ent-
n. h ^ ' springt, findet sich hier nicht. Weil dort nämlich
U'^'^' . alle Bürger dazu wählbar sind, wünscht der De-
;7,flj. ^' mos, dem ja nun das höchste Amt oflfen steht, den
t[j>L':3^ Bestand der Verfassung. Hier aber wählt man die
s iif:T^ Kosmoi nicht aus allen Bürgern, sondern aus ge-
8
•••• .^
^ti, '.'r '
/ ri.''
JU 11,10.
wissen Geschlechtern, und die Aeltesten wählt man
aus den gewesenen Kosmoi. Auf diese Aeltesten
wiederum findet dasselbe Anwendung, was über
die entsprechende Gerontenbehörde in Lakedämon
bemerkt wurde. Mit der Unverantwortlichkeit
nämlich und Lebenslänglichkeit wird ihnen eine
über Gebühr hohe Stellung eingeräumt, und dass
sie ihre Verwaltung nicht nach niedergeschrie-
benem Gesetz, sondern nach persönlichem Er-
messen ttihren, ist gefährlich. Dass aber der De-
mos, obgleich ihm jene Aemter verschlossen sind,
dennoch ruhig bleibt, zeugt keineswegs tlir die
Richtigkeit der Bestimmung an sich. Auch Geld
nehmen die Kosmoi nicht, wie es doch die Epho-
ren thun, jedoch liegt hierin ebenfalls kein Be-
weis ftir die gute Einrichtung dieser Behörde,
denn es geschieht bloss deshalb nicht, weil sie
auf einer Insel fern von denen wohnen, welche
sie bestechen könnten. Die Art aber, wie sie
jenen Verfassungsfehler ins Gleiche bringen, ist
ungereimt, und hat nichts von Bürgerthum, son-
dern nur von Adelswirthschaft an sich. Oft näm-
lich verbinden sich gegen die Kosmoi Einige
ihrer eigenen Amtsbrüder oder Privatleute und
jagen sie aus dem Amt; auch ist es den Kosmoi
gestattet, vor abgelaufener Zeit ihr Amt nieder-
zulegen. Alles dieses nun geschähe besser nach
einem objectiven Gesetz und nicht nach subjec-
tivem Belieben ; denn das ist keine sichere Rieht-
n, 10. 115
schnür. Das AUerschlimmste aber ist die Sus-
pension der Kosmenbehörde, die oft von Mäch-
tigen herbeigefUhrt wird, welche sich einer Ver-
urtheilung entziehen wollen; und hierin zeigt es
sich deutlich, dass diese Staatsform zwar etwas
vom Bürgerthum hat, aber nicht Bürgerthum ist •
sondern vielmehr Adelswirthschaft. Sie pflegen
nämlich, indem sie sich aus ihrem Anhang un-
ter dem Demos und aus ihren vornehmen Freun-
den Parteien bilden, alle Beamten abzusetzen
und Aufruhr zu machen und sich unter einander
zu bekriegen. Dergleichen aber heisst doch wahr-
lich nichts anderes, als dass ein solcher Staat
tlir eine Weile gar kein Staat mehr ist, sondern
der staatliche Verband sich auflöst. 'Auch von
aussen^ bedroht ist ein Staat, wo es so hergeht,
da die, welche ihn angreifen wollen, diess nun
auch leicht können. Jedoch, wie gesagt, er hält
sich durch seine örtliche Lage; die insularische
Abgelegenheit nämlich bewirkt in Kreta von vorn
herein, was die Spartaner durch Fremdenvertrei-
bungen erreichen. Das ist auch der Grund wes-
halb bei den Kretern die Hintersassenschaft ruhig
bleibt, während die Heloten oft abfallen. Die s.obens.99.
Kreter nämlich sind nicht wie die Spartaner In-
haber eines auswärtigen Reichs, und Fremden-
krieg hat erst vor Kurzem den Weg übers Meer
auf die Insel gefunden, wobei denn auch die
Schwäche der. dortigen Gesetze alsbald zu Tage
116 11,11.
getreten ist. ~ Soviel sei also über diese Ver-
fassung gesagt.
i>/cka^,Jia- Auch die Karchedonier gelten dafür, dass sie 11
glsche Ver- *^ '
fassting. ^jj^g g^^g ^jjj jjj vielen Punkten vor den übri-
gen Staaten ausgezeichnete Verfassung haben
und manches darin besonders der lakonischen
ähnlich sei. Diese drei Verfassungen nämlich
stehen sich wohl untereinander eben so nahe als
sie insgesammt von den übrigen weit abweichen :
erstlich die kretische, zweitens die lakonische,
und die dritte in der Reihe ist die der Karche-
donier. In der That sind viele Einrichtungen
bei den Karchedoniern lobenswerth. Ein Zeichen
wohlgeordneter Verfassung liegt schon darin, dass
der Demos gutwillig bei der Verfassungsforra be-
harrt und weder nennenswerther Aufruhr noch
ein Tyrann dort vorgekommen ist. Aehnlichkei-
ten mit der lakonischen Verfassung hat sie, in-
sofern die Tischgenossenschaften der 'Vereine^
den lakonischen Phiditia entsprechen, die Be-
hörde der Hundertviermänner den lakonischen
Ephoren; — nur wird, was keineswegs ein Nach-
theil ist, diese karchcdonische Behörde mit Rück-
sicht auf persönliche Tüchtigkeit gewählt, wäh-
rend die Ephoren aus Leuten beliebigen Schlages
genommen sind — ; endlich entsprechen die kar-
chedonischen Könige und der Aeltestenrath d«n
lakonischen Königen und Greronten; und zwar ist
dieses bei den Karchedoniern besser, dass die Kö-
11,11. 117
nige weder aus einem und demselben Geschlecht
stammen müssen, noch aus jedem beliebigen stam-
men dürfen, und dass der Aeltestenrath nicht nach
blosser Rücksicht auf das Alter, sondern durch
Wahl aus den Reichen besetzt wird. Denn da
den Aeltesten grosse Befugniss zusteht, so kön-
nen sie, wenn es geringe Leute sind, grossen
Schaden stiften und haben ihn thatsächlich im
lakedämonischen Staat gestiftet.
Die meisten Ausstellungen nun, welche mit Be-
zug auf die Abweichungen von der besten Staats-
form zu machen wären, treffen alle drei genannten
Verfassungen gemeinschaftlich; hinsichtlich der
Widersprüche gegen den Grundgedanken der
einmal gewählten Verfassung, welcher eine Aristo-
kratie und Politeia erstrebt, ist von der karche-
donischen zu sagen, dass in ihr Einiges vielmehr
nach Demokratie, Anderes nach Oligarchie hin-
tiberneigt. Allerdings, was und was nicht an die
Volksversammlung zu bringen sei, hängt von den
Königen unter Zuziehung der Aeltesten ab, wenn
alle Stimmen einhellig sind; wo nicht, so hat
auch darüber die Volksversammlung zu entschei-
den. Bringen nun aber die Könige etwas an die
Versammlung, so ist derselben damit nicht eine
blosse Keuntnissnahme von den Beschlüssen der
Behörden gewährt, sondern die Mitglieder der
Versammlung sind zum Urtheilen befugt, und
wer will, darf gegen die eingebrachten Vorschläge
118 11,11.
sprechen, was in den zwei anderen Verfassungen,
s. oben s. 112. der kretischen und lakedämonischen, nicht so ist.
Hierin liegt demnach ein Hinneigen istir Demo-
Jcratie. Dass dagegen die Ftinferkammern, welche
viele wichtige Befugnisse hahen, siöh cooptiren,
dass diese Ftinferkammern die Hundertmänner,
d. h. die höchste Behörde, wählen, dass ferner
die Mitglieder dieser Kammern länger als die
Mitglieder anderer Behörden Beamte sind —
denn sie sind Beamte nach ihrem Austritt und
vor ihrem Eintritt — das ist oligarchisch; dass
hinwieder die Beamten ohne Gehalt und nicht
erloost sind, und was von ähnlichen Bestimmungen
sich etwa sonst noch findet, ist flir aristokratisch
anzusehen ; auch dieses, dass, wie in Lakedämon,
s. unten s. 133. allc Rcchtssachcn von den festen Behörden, nicht
von wechselnden Geschworenen , abgeurtheilt
werden.
Am meisten jedoch schlägt die Staatsfonn der
Karchedonier aus der Aristokratie zur Oligarchie
über in Folge einer Ansicht, welche den Beii'all
der öflFentlichen Meinung findet. Man glaubt näni-
Beichthiim der lich, dic Bcamtcn müssten nicht bloss mit Rtick-
Beamten.
sieht auf Trefflichkeit, sondern auch auf Kcich-
thum gewählt werden; denn dass ein Dürftiger,
der sich seinen Lebensunterhalt durch Arbeit ver-
dienen muss, hinlängliche freie Zeit habe um sein
Amt löblich zu verwalten, sei unmöglich. Ist
demnach die Wahl mit Rücksicht auf Reichtbum
11,11. 119
oligarchisch, die Wahl mitRticksiclit auf Trefflich-
keit aristokratisch, so wäre diese, ReirMlmm und
TrefftichJceit verbindende Form als eine dritte
zu rechnen, nach welcher denn auch die Karche-
donier ihre Verfassung eingerichtet hätten. Denn
sie sehen bei ihren Wahlen auf diese beiden
Punkte und vorzüglich bei der Wahl der höchsten
Aemter, der Könige und Feldherren. In dieser
Abweichung von der Aristokratie hat man nun
aber vielmehr einen Fehler der Gesetzgebung zu
erkennen. Denn es gehört mit zum Wesentlichsten,
gleich von vorn herein datiir zu sorgen, dass
die Besten im Stande seien, von Arbeit zu feiern
und doch nichts Unschönes zu begehen, nicht
bloss wenn sie Beamte, sondern auch nicht ein-
mal wenn sie Privatleute sind. Aber zugegeben,
dass man auch auf Wohlhabenheit der Beamten
sehen müsse, damit sie freie Zeit haben, so ist
es doch schlimm, dass die höchsten Aemter käuf-
lich sind, das Königsamt wie das Feldherrenamt.
Denn dieses Gesetz bewirkt, dass Reichthum
höher als Trefflichkeit geschätzt und der ganze
Staat geldsüchtig wird, da, wenn die leitenden
Stände etwas flir schätzenswerth ansehen, ihrem
Vorgang dann nothwendig die Meinung auch der
übrigen Bürger nachfolgt. Wo aber Trefflichkeit
nicht über Alles geschätzt wird, da kann die Ver-
fassung keine wahrhaft aristokratische sein. Fer-
ner liegt es in der Natur der Sache, dass wenn
Aemter-
kaiif.
120 11,11.
der Eintritt in das Amt Kosten verursacht, die
Aemterkäufer sich nun auch gewöhnen, etwas
bei dem Amt zu verdienen. Denn während jeder
Arme, mag er noch so brav sein, zu verdienen
wünscht, so wäre es doch seltsam, wenn Leute von
minder gutem Charakter, dergleichen jene Aemter-
häufer sind, diess da nicht wünschen sollten, wo
sie Kosten gehabt haben. Also, man muss den Satz
aufstellen: Beamte sollen sein die, welche die
besten Beamten sein können; und wenn die kar-
chedonische Gesetzgebung auch im Uebrigen sich
um die Armuth der braven Männer nicht küm-
mern wollte, so wäre es doch besser gewesen,
wenigstens während sie Beamte sind, dafür zu
sorgen, dass sie freie Zeit haben. — Für tadel-
haft darf es auch gelten, dass Einer mehrere
cumuiation Acmtcr vcrwaltet, was bei den Karchedoniern
der Aemter. ^
ein beliebtes Verfahren ist. Denn Ein Geschäft
wird von Einem besonders dazu bestimmten am
besten besorgt ; und darauf, dass diese möglichst
gute Besorgung der Geschäfte stattfinde, muss
die Gesetzgebung sehen und nicht vorschreiben,
dass ein und derselbe Mensch als Flötenspieler
und Schuhmacher fungire. Also, in einem nicht
allzu kleinen Staat ist die Theilnahme einer grös-
seren Anzahl an den Aemtern ein bürgerthüm-
licheres, und, weil minder ausschliesslich, auch
ein volksthUmlicheres Verfahren; und, wie ge-
sagt, es wird so jedes einzelne Geschäft treff-
II, 12. 121
lieber und schneller besorgt. Man kann das im
Kriegs- und Seewesen wabrnebmen; denn auf
diesen beiden Gebieten verzweigt sich das Be-
fehlen wie das Gehorchen durch fast alle Bethei-
ligten. — Obgleich nun aber die Verfassung der
Karchedonier oligarchisch ist, so wissen sie doch
auf sehr gute Art sich vor Aufruhr seitens des
Demos zu schützen, nämlich durch Bereicherung
dessellben, indem sie immer einen anderen Theil
des Demos in die unterworfenen Städte zur An-
Siedlung aussenden. Hierdurch nämlich heilen
sie die Schäden ihrer Verfassung und geben ihr
Dauer. Aber gerade dieses ist vom blossen Glück
abhängig, während doch Aufruhr durch die Ge-
setzgebung verhütet sein soll. Wie es jetzt ist,
so würden, wenn einmal ein Unglück eintreten
und die Mehrzahl der unterthänigen Gebiete ab-
fallen sollte, die Gesetze kein Mittel darbieten,
die Ruhe zu erhalten. — Um die Verfassung
der Lakedämonier und die kretische und die der
Karchedonier, welche mit Recht in Ansehen ste-
hen, ist es demnach so bestellt.
12 Unter denjenigen, welche Meinungen über Ver- Notizen-
gammlung
fassungswesen geäussert haben, sind einige in gei^gg'e^r'
gar keinen Staatsgeschäften gewesen, sondeni
ihr ganzes Leben hindurch Privatleute geblieben.
Was über diese etwa zu sagen ist, wurde wohl
122 11,12.
ohne Ausnahme schon im Vorhergehenden erledigt.
Andere sind theils für ihre eigenen theils auch
fitr einige auswärtige Staaten Gesetzgeber ge-
worden, und haben selbst Staatsgeschäite ver-
waltet; und von diesen wiederum haben die Ei-
nen nur Gesetze geliefert, die Anderen auch Ver-
fassungen, z.B. Lykurgos und Solon ; denn diese
haben sowohl Gesetze als Verfassungen einge-
führt. Ueber die Verfassung der Lakedämonier
ist schon gesprochen; was Solon angeht, so mei-
nen Einige, er sei ein trefflicher Gesetzgeber ge-
wesen; denn er habe die Oligarchie aufgehoben,
die allzu ungemildert gewesen, habe der Knecht-
schaft des Demos ein Ende gemacht und die an-
gestammte Demokratie unter richtiger Mischung
der Verfassungselemente festgestellt; denn der
Kath im Areopag sei eine oligarchische Einrich-
tung, Besetzung der Aemter durch Wahl sei eine
aristokratische, und die Geschworenengerichte
eine demokratische. Es scheint jedoch, dass Solon
jene zwei Einrichtungen, den Rath und die Be-
Setzung der Aemter durch Wahl, schon vorge-
funden und nur nicht abgeschaflft, die Stellung
des Demos dagegen neu geschaffen hat, dadurch
dass er die Geschworenengerichte aus allen Bür-
gern besetzte. Deshalb tadeln ihn auch Manche;
denn er habe, sagen sie, die andere nichtdemo-
Jcratische Seite der Verfassung unwirksam ge-
macht, indem er die oberste Befugniss über Alles
II, 12. 123
dem Geschworenengericht einräumte, das doch
erloost sei. Nachdem nämlich dieses Geschwore-
nengericht erstarkte, habe man in Liebedienerei
gegen den Demos wie gegen einen Tyrannen,
die Verfassung auf die jetzige Form der Demo-
kratie gebracht; dem Kath im Areopag habe Ephi-
altes die Gewalt gekürzt im Verein mit Perikles ;
die Geschworenenrichter zu Söldlingen gemacht
habe Perikles; und in dieser Weise habe jeder
Demagoge es immer weiter getrieben bis auf die
jetzige Form der Demokratie. Oflfenbar jedoch
ist dieses nicht nach Solons Absicht eingetreten,
sondern mehr durch Fügung der Ereignisse;
weil nämlich die in den medischen Zeiten erwor-
bene Seeherrschaft dem Demos verdankt wurde,
so begann er sich zu fühlen, und als die Vor-
nehmen eine Gegenpartei bildeten, nahm er sich
schlechte Führer. Solon selbst jedoch hat dem
Demos wohl nur den allemothwendigsten Ein-
fluss eingeräumt, nämlich die Behörden zu wäh-
len und ihnen Rechenschaft abzufordern; denn
wenn der Demos auch nicht einmal diese Befug-
niss hätte, so wäre er geknechtet und der Ver-
fassung feindlich gesinnt. Dagegen hat Solon
alle Aemter ohne Ausnahme mit Vornehmen und
Wohlhabenden besetzt aus den Fünfhundertscheff-
lern, den Zeugiten und einer dritten Klasse, der
sogenannten Ritterschaft. Die vierte Klasse wird
von Tagelöhnern gebildet, und diese hatten zu
124 11,12.
keinem Amte Antritt. — Gesetzgeber waren auch
Zaleukos für die epizcphyrischen Lokrer und
Charondas aus Katana liir seine Mitbürger und
die übrigen chalkidischen Städte in Italien und
Sicilien. — Einige versuchen auch eine unui^ter-
brochene Reihenfolge von Gesetzgebern nachzu-
weisen, so nämlich, dass Onomakritos der erste
gewesen, welcher das Gesetzgeben tüchtig ver-
standen; geübt habe sich aber dieser, obgleich
er ein Lokrer war, in Kreta, wo er auf An-
lass seiner Weissagekunst Verweilte. Dieses Ono-
makritos Freund sei nun Thaies gewesen, Schü-
ler des Thaies aber seien Lykurgos und Zaleu-
kos, und wiederum 'des Zaleukos Schüler sei
Charondas gewesen. Jedoch bei diesen Aufstel-
lungen sind die chronologischen Verhältnisse nicht
genau erwogen. — Noch war auch Philolaos aus
Korinth Gesetzgeber bei den Thebanern. Dieser
Philolaos war aus dem Geschlecht der Bakchia-
den; er bekam ein Liebesverhältniss mit Dio-
kles, dem Sieger in Olympia, und als dieser
seine Vatei*stadt Korinth verliess aus Abscheu
gegen die verbrecherische Liebe seiner Mutter
Halkyone, ging er mit ihm fort nach Theben,
und dort beschlossen beide ihr Leben. Noch jetzt
zeigt man ihre Gräber, die sich sonst von Einem
Standpunkt aus gemeinsam überblicken' lassen,
nimmt man aber die Richtung nach dem korin-
thischen Gebiet, so erblickt man nur 4as eine,
11,12. 125
das andere nicht. Dabei erzählt die Sage, sie
hätten ihr Grab in dieser Weise angelegt, weil
Diokles, ira Ingrimm über das ihm widerfahrene
Unheil, gewollt habe, dass das korinthische Land
von seinem Grabhügel aus nicht zu sehen, Phi-
lolaos dagegen, dass es zu sehen sei. Auf sol-
chen Anlass also siedelten sie sich bei den The-
banern an, und Philolaos gab denselben Gesetze
über manche andere Dinge und auch über das
Kinderzeugen, die dort sogenannte Adoptionsord-
nung, und diess ist eine ihm eigenthümliche Ge-
setzesbestimmung, damit nämlich die Zahl der Hu-
fen unverändert bleibe. — Charondas hat nichts Ei-
genthtimliches, ausser den Klagen wegen falschen
Zeugnisses; denn das sogenannte Umstossver-
fahren hat er zuerst aufgebracht. In scharfer
und runder Fassung der Gesetze jedoch thut er
es sogar den heutigen Gesetzgebern ^uvor. — Dem
Phaleas eigenthümlich ist die Gleichmachung des
Vermögens; dem Piaton ist die Gemeinschaft der
Frauen, der Kinder, des Vermögens eigenthüm-
lich, auch noch die Tischgenossenschaften der
Frauen, ferner das Trinkgesetz, dass nämlich
die Nüchternen den Vorsitz beim Gelage ilihren,
und das Gesetz über die kriegerischen Uebungen,
dass man sich gewöhne auf beiden Händen rechts
zu sein; denn es gebühre sich, dass von den zwei
Händen nicht bloss die eine brauchbar und die
andere unbrauchbar sei. — Von Drakon giebt es
126 ' 11,12.
zwar auch Gesetze, aber er hat nur flir eine schon
vorhandene Verfassung die entsprechenden Ge-
setze festgestellt. Eigenthiimlich ist in diesen
Gesetzen nichts, das Erwähnung verdiente, ausser
der in dem hohen Strafansatz sich zeigenden
Härte. — Auch Pittakos hat nur Gesetze gelie-
fert und keine Verfassung. Eigenthiimlich ist
ihm die Bestimmung, dass Trunkene lUr Verge-
hen einer höheren Strafe unterliegen als Nüch-
terne. Weil nämlich Uebermuth häufiger bei
Trunkenen als bei Nüchternen vorkommt, so hat
er nicht die grössere Nachsicht, die man den
Trunkenen schenken dürfte, ins Auge gefasst,
sondern das öffentliche Wohl. — Auch Andro-
damas von Rhegion war noch Gesetzgeber tUr
die Chalkider auf dem thrakischen Vorlande;
es giebt von ihm Bestimmungen über den Blut-
bann und die Erbtöchter. Etwas Eigenthüm-
liches jedoch lässt sich wohl von ihm nicht an-
führen.
Hiermit seien denn die Betrachtungen über die
Verfassungen beschlossen, sowohl über die prak-
tisch geltenden, wie über die von einigen Schrift-
stellern vorgeschlagenen.
Drittes Buch.
1 Bei der Untersuchung über Wesen und Eigen-
schaften der einzelnen Staatsverfassungen hat
man wohl zuerst den Begriff ^Staat' zu betrachten
und zu sehen, was doch eigentlich den Staat
ausmache. Bisher nämlich giebt es hierüber ge-
theilte Meinungen, indem von einem Staatsact
die Einen behaupten, er sei vom Staat, die An-
deren, nicht vom Staat sondern von der Oligarchie
oder von dem Tyrannen sei er ausgegangen.
Die Feststellung dieses Begriffs ist für unseren
Zweck unumgänglich, weil ja offenbar diegesammte
Thätigkeit sowohl des Staatsmannes als des Ge-
setzgebers sich auf das bezieht was Staat ist und
die Staatsverfassung in einer die Bewohner des
Staats umschliessenden Ordnung besteht. Da
nun aber der Staat in die Reihe der zusammen-
gesetzten Dinge gehört, so gut wie irgend eines
der übrigen Dinge, welche zwar Ganze aber aus
vielen Gliedern zusammengefügt sind, so erhellt,
dass zuvörderst der Begriff des Bürgers erörtert
werden muss, weil ja eine Anzahl Bürger den
Staat bilden. Wir hätten also zu untersuchen,
9
130 IIL 1.
7
Begriff des wem dcr Name Bürger zukommt und was der
Bürgers.
Begriff des Bürgers ist. Denn auch darüber,
wer Bürger sei, sind die Meinungen vielfach ge-
theilt. Nicht Alle erkennen einstimmig denselben
als Bürger an. Mancher, der in Demokratien
Bürger ist, ist in Oligarchien oft nicht Bürger.
— Von vorn herein nun sind bei dieser Unter-
suchung diejenigen zu beseitigen, welche auf
irgend einem aussergewöhnlichen Wege die Be-
nennung Bürger erlangt haben, z. B. die Ehren-
bürger. Was nun aber den wahren Bürger an-
geht, so kann erstlich das Wohnen an einem be-
stimmten Ort ihn nicht zum Bürger machen.
Denn diese Gemeinschaft des Wohnens umfasst
auch Insassen und Sclaven. Ebensowenig kön-
nen die, welche zum Rechtsverband in so fern
gehören, dass sie gegenseitig zu Recht stehen
und prozessiren, dadurch allein schon zu Bür-
gern werden. Denn dieses findet sich auch bei
Angehörigen verschiedener Staaten, zwischen de-
nen Handelsverträge bestehen, da auch jener Ge-
richtszwang für die durch solche Verträge Ver-
bundenen statt findet. Die Insassen jedoch ha-
ben vieler Orten nicht einmal an dieser Gerecht-
same vollständigen Antheil, sondern müssen sich
einen gerichtlichen Vertreter bestellen, so dass
sie also nur in unvollständiger Weise an solcher
Rechtsgemeinschaft Theil haben. Jedoch atif alle
diese Unterschiede haben wir hier nicht eirnsu-
III, 1. 131
gehen; es ist damit wie mit Knaben, die ihrer
Jugend wegen noch nicht in die Btirgerliste ein-
getragen, oder mit Greisen, die ihrer Bürger-
pflichten enthoben sind; auch von diesen muss
map in gewissem Sinne sagen, sie seien Bürger,
jedoch nicht so ganz schlechthin, sondern man
muss hinzufügen, dass die Einen unreife, die
Anderen tiberlebte Bürger sind, oder welchen ähn-
lichen Ausdruck man sonst will; denn darauf
kommt nichts an. Was wir meinen ist deutlich.
Es ist uns zu thun um den Bürger schlechthin,
gegen den sich kein, eine Einschränkung ver-
langender, Einwand erheben lässt; wollte man
auf jene Fragen über die Insassen eingehen, so
Hessen sich ebensolche auch in Betreff der f\ir
ehrlos Erklärten und der Verbannten sowohl auf-
werfen als lösen. Der Begriff des Bürgers
schlechthin wird nun aber durch nichts anderes
wesentlicher bestimmt als dadurch, dass er mit-
entscheidende Stimme und amtliche Gewalt hat.
Ein Theil der.Aemter freilich erleidet zeitliche
Unterbrechung, so dass manche von derselben
Person überhaupt nicht zweimal oder erst nach
Verlauf festgesetzter Fristen verwaltet werden
dürfen; es giebt aber auch einen unaufhörlichen
Beamten, nämlich den Geschworenen und den
Stimmberechtigten in der Volksversammlung.
Nun möchte vielleicht Jemand sagen, die eben
Genannten seien gar keine Beamten, und das
132 III, 1.
was sie sind, gebe ihnen noch keinen Antheil an der
Gewalt. Obschon es lächerlich ist, denen, welche
den entscheidendsten Einfluss haben, die Gewalt
abzusprechen. Jedoch es soll darauf nicht ankom-
men; denn es handelt sich hierbei nur um Worte. Es
giebt nämlich für das dem Geschworenen und dem
in der Volksversammlung Stimmberechtigten Ge-
meinsame kein gebräuchliches Wort, mit welchem
man beide zusammenfassend benennen könnte.
Der Deutlichkeit wegen sei daflir der Ausdruck
'unaufhörliche Amtsgewalt^ gestattet. Für Bürger
demnach gelten uns diejenigen, welche in solcher
Weise an der Amtsgewalt Theil haben. — Aller-
dings passt nun die gegebene Definition von
Bürger wohl am besten auf Alle, die gewöhnlich
Bürger heissen. Man darf jedoch nicht über-
sehen,, dass überall, wo die unter Einen Begriff
fallenden Dinge der Art nach verschieden sind und
das eine begrifflich das erste, ein anderes das
zweite, ein anderes das folgende ist, es für diese
Dinge als solche, entweder durchaus kein, oder
doch nur in dürftiger Weise etwas Gemeinsames
giebt. Nun sind aber die Verfassungen offenbar der
Art nach von einander verschieden und die einen
sind begrifflich später, die anderen früher; die ver-
fehlten nämlich und die ausgeschrittenen müssen
ja nothwendig später sein als die fehlerlosen— was
s. miton H. 153. wir uutcr ausgeschrittenen meinen, wird weiterhin
deutlich werden — ; also muss auch der Bürger in
111,1. • 133
jeder einzelnen Verfassung ein Anderer sein. Die
gegebene Definition von Bürger trifft demnach am
meisten ftir die Demokratie zu, ftlr die übrigen Ver-
fassungen kann sie wohl zutreffen, muss es aber
nicht. In manchen nämlich giebt es keine Ge-
meinde und sind keine regelmässigen Volksver-
sammlungen üblich, sondern nur ausserordentlich
berufene; auch ist die Gerichtsbarkeit unter be-
stimmte Behörden vertheilt, wie z. B. in Lake-
dämon die verschiedenen Civilklagen von ver-
schiedenen Ephoren, die Klagen wegen Todt-
schlag von den Geronten und wohl auch andere
Klagen von irgend einer anderen Behörde ent-
schieden werden. Ebenso ist es auch in Kar- s. obens. ii8.
chedon. Alle Prozesse nämlich werden dort von
bestimmten Behörden abgeurtheilt. Jedoch man
braucht deshalb die obige Definition von Bürger
noch nicht aufzugeben, da sich ihr nachhelfen
lässt. In den nicht demokratischen Verfassun-
gen nämlich ist der in der Versammlung Stimm-
berechtigte und der Richter nicht ein unauf-
hörlicher Beamte, sondern ein in seiner Amts-
gewalt zeitlich begrenzter, da dort solchen be-
grenzten Beamten, sei es allen oder einigen, die
Befugniss zuertheilt ist, zu rathen und zu richten,
sei es über alle oder über einige Angelegen-
heiten. Der Begriff des Bürgers also ist hier-
aus deutlich. Wem nämlich der Eintritt in ein
berathendes oder entscheidendes Amt freisteht,
134 III, 2.
von dem dürfen wir dann sagen, er sei Bürger
des bezüglichen Staats, und Staat nennpn wir,
schlechthin gesprochen, eine zu unabhängigem
Leben hinreichende Anzahl solcher Bürger. —
Für die Praxis pflegt man wohl den Bürger zu 2
definiren, als einen, der nach beiden Seiten Bürger
zu Eltern hat, nicht bloss nach Einer Seite, Vater
oder Mutter. Manche steigen auch hierbei noch
weiter hinauf, z. B. bis zu zwei oder drei oder
noch mehr Ahnen. Da man nun so geschätls-
mässig und aus dem Groben zu definiren pflegt,
finden Einige jenen dritten oder vierten Ahnen
schwierig, auf welchen Grund der nun Bürger
GorgiuB. sein solle. Gorgias der Leontiner, der sich in
Larisa aufhielfy sagte einmal, theils weil er diese
Schwierigkeit vielleicht wirklich nicht lösen
konnte, theils weil er spotten wollte : sowie Mörser
diejenigen seien, die von Mörsermachermeistern
gemacht worden, so seien Bürger von Larisa
diejenigen, die von den Bürgermeistern dazu ge-
macht worden; denn es gebe in Larisa Bürger-
meister, die man Larisermacher nennen könne.
Die Sache ist jedoch einfach. Haben nämlich
jener dritte und vierte Ahn gemäss der oben von
uns aufgestellten Definition das Bürgerrecht be-
sessen, so waren sie wirklich Bürger. Kann ja
doch auch die Forderung, dass man von Bürger
oder Bürgerin abstamme, unmöglich auf die
ersten Bewohner des Staats oder Gründer einer
r
III, 3. 135
Colonie Anwendung finden. — Grössere Schwie-
rigkeit machen vielleicht alle, welche in Folge
von Umwälzung der Verfassung das Bürgerrecht
erlangt haben, wie es z. B. in Athen nach Ver-
treibung der Tyrannen durch Kleisthenes ge-
schehen ist. Denn dieser hat viele Insassen und
Freigelassene in die Phylen eingeschrieben. Hier
jedoch betrifft die Meinungsverschiedenheit nicht
die Frage, wer Bürger, sondern ob er es un-
rechtmässig oder rechtmässig sei. Obschon man
dann auch noch weiter diesen Zweifel aufwerfen
könnte, ob nicht, wenn unrechtmässig, er gar
kein Bürger sei, indem unrechtmässig und fälsch-
lich gleich gelte. Jedoch, da offenbar es unrecht-
mässige Beamte giebt, von denen wir dennoch
sagen werden, sie seien allerdings Beamte ob
zwar nicht rechtmässig, der Begriff des Bürgers
aber durch Amtsgewalt bestimmt wird — denn,
wie wir sagten, Bürger ist wer an der so und
so beschaffenen Amtsgewalt Theil hat — : so er-
hellt, dass man auch von jenen Neubürgern sagen
muss, Bürger seien sie allerdings; ob sie es je-
doch rechtmässig oder unrechtmässig seien, diese
Frage steht in Berührung mit der vorhin ei'wähn- s. oben s. it.k
3 ten Controverse. Es finden nämlich Manche
schwierig zu bestimmen, wann etwas der Staat
und wann es nicht der Staat gethan hat, z. B.
in dem Falle, dass eine Umwälzung von Oli-
garchie oder Tyrannis zu Demokratie stattfindet.
136 ' 111,3.
In solchem Falle wollen Einige weder die Con-
tracte einhalten, unter dem Vorgeben, die Leistung
sei nicht dem Staat, sondern dem Tyrannen zu
Gute gekommen, noch viele andere derartige
VerpflicKtungen, da, wie man sagt, manche Staats-
formen nur durch Uebermacht, nicht aber zum
gemeinen Besten bestehen. Hiernach dürfte man
dann auch, wenn irgendwo in dieser bloss auf
. Uebermacht fussenden Weise demokratisch regiert
wird, die unter solcher demokratischen Staatsförm
vorkommenden Handlungen ebenso wenig für
Handlungen des bezüglichen Staates gelten lassen,
wie die aus der Oligarchie oder Tyrannis §ich
herschreibenden. — Dieser Gegenstand nun er-
scheint verwandt mit folgender Schwierigkeit:
auf welchen Grund man unter gewissen Verhält-
ideutität nissen ein städtisches Gemeinwesen flir ein
des Staats.
und dasselbe ansprechen dürfe oder nicht für
dasselbe, sondern für ein anderes. Die am
meisten auf der Hand liegende Formulirung dieser
Schwierigkeit betrifft das Gebiet und die Ein-
wohner. Denn es kann vorkommen, dass das
Gebiet und die Einwohner örtlich getrennt sind
und die Einen dieses, die Anderen jenes Gebiet
bewohnen. Dieses nun kann man freilich als
eine ziemlich gelinde Schwierigkeit ansehen.
Denn da das griechische Wort für 'Stadt' in
mehr als Einer Bedeutung gebraucht wird und
sowoM Staat wie Stadt bedetdet, so lässt sich dieser
III, 3. 137
Punkt mit Bequemlichkeit erledigen. — Ebenso
entsteht nun auch bei Bewohnern eines unge-
trennten Gebiets die Frage, wann man ein
städtisches Gemeinwesen llir ein einziges halten
soll. Der Mauerring kann doch keinesfalls die
Einheit ausmachen. Denn man könnte ja auch
um den unter so viele verschiedene Staaten ver-
theilten Peloponnes eine einzige Mauer ziehen;
und von solcher Grösse ist vielleicht wirklich
Babylon, oder welche Stadt sonst noch den Um-
kreis eher einer Völkerschaft als eines städtischen
Gemeinwesens einnimmt. In Babylon wenigstens
soll, als es erobert worden, ein ansehnlicher
Theil der Stadt am dritten Tage noch pichts
davon gemerkt haben. Jedoch die Untersuchung
dieser Schwierigkeit wird mit Nutzen bei anderer
Gelegenheit angestellt. Denn was die Grösse
eines städtischen Gemeinwesens betrifft, so muss
der Staatsmann sich allerdings eine Meinung
darüber bilden, sowohl welche Zahl von Ein-
wohnern als auch ob gleiche oder verschiedene
Abstammung derselben zweckmässig sei. Jetzt
jedoch wollen wir nur auf die Frage eingehen
ob, wenn dieselben Bewohner dasselbe unge-
trennte Gebiet inne haben, man ohne RücJcsicht
auf die Verfassung so lange der Stamm der Be-
wohner derselbe bleibt, auch sagen müsse, der
Staat sei derselbe, obschon fortwährend ein Theil
dahingerafft und Andere geboren werden, so wie
138 111,3.
wir auch Flüsse dieselben zu nennen pflegen
und Quellen dieselben, obschon fortwährend
neues Nass . herzufliesst und anderes abläuft;
oder ob man allerdings von den Menschen aus
diesem Grunde sagen müsse sie seien dieselben,
von dem Staat aber, er sei ein anderer, sobald
die Verfassung geändert ist. Denn da der Staat
eine Gemeinschaft und zwar eine Gemeinschaft
von Staatsbürgern ist, so sollte es scheinen, dass
wenn die Staatsverfassung eine der Form nach
andere wird und mithin die Staatsverfassung
ihre Identität verliert, nothwendig auch der Staat
nicht derselbe bleibe, wie wir ja auch von einem
Chor, wenn er bald in einer Komödie, bald in
einer Tragödie auftritt, sagen, er sei ein anderer,
obschon es oftmals dieselben Personen sind, und
eben so auch jede sonstige Gemeinschaft und
Zusammensetzung eine andere nennen, sobald
die Art der Zusammensetzung eine andere wird,
wie wir z. B. die aus denselben Tönen be-
stehende Harmonie eine andere nennen, wenn
sie bald die dorische, bald die phrygische ist.
Verhält es sich hiermit nun solcherweise, so ist
es klar, dass man die Identität des Staats vor-
züglich im Hinblick auf die Verfassung zu be-
stimmen hat. Was den blossen Namen dagegen
anlangt, so steht es frei, einen anderen zu ge-
ben, auch wenn die Bewohner dieselben bleiben,
oder den alten zu lassen, auch wenn die Bewob-
111,4. 139
ner durchaus andere sind. Ob nun abei* die Ge-
rechtigkeit verlange, die Contracte einzuhalten
oder nicht einzuhalten, wenn der Staat zu einer
anderen Verfassung übergeht, ist eine andere
Frage.
4 An das eben Besprochene schliesst sich die Bürger-
tugend nnd
Untersuchung, ob man die Tugend des braven ^^^^^l'
Mannes und des wackeren Bürgers Itir dieselbe
anzusehen habe, oder nicht fllr dieselbe. Soll
jedoch dieser Punkt seine Erörterung finden, so
müssen wir zuvörderst die Tugend des Bürgers,
wenn auch nur in weiterem Umrisse, bestimmen.
— Der Seemann ist eines von mehreren Mitglie-
dern der bezüglichen Gemeinschaft, und ebenso,
sagen wir, ist es auch der Bürger. Obschon nun
die Seeleute eine ungleiche Stellung haben, —
denn der Eine ist Ruderer, ein Anderer ist Ca-
pitän, ein Anderer ist Steuermann, ein Anderer
flihrt einen anderen derartigen Namen — so ist
es doch klar, dass zwar die ganz scharfe Defi-
nition der Tugend eines jeden Einzelnen nur für
diesen allein wird gelten können, aber ebenso-
wohl auch eine gemeinschaftliche für Alle pas-
sen wird. Denn das Wohl der Fahrt ist ihrer
Aller Aufgabe, da ja dieses jeder einzelne See-
mann anstrebt. Ebenso ist nun auch die Auf-
gabe der Bürger, wie ungleich sie übrigens sein
mögen, das Wohl ihrer Gemeinschaft; ihre Ge-
meinschaft aber ist die Staatsverfassung. Mithin
140 III, 4.
muss die Tugend des Bürgers von der Verfas-
sung bedingt sein. Da es nun aber mehrere Ar-
ten von Verfassung giebt, so kann offenbar des
wackeren Bürgers Tugend nicht eine einzige, die
vollkommene, sein, während wenn wir Jemanden
einen braven Mann nennen, wir allerdings voll-
kommene Tugend meinen. Sonach ist es klar,
dass wohl Jemand ein wackerer Bürger sein kann,
ohne diejenige Tugend zu besitzen, welche den
wackeren Mann macht. — Man kann jedoch auch
noch auf andere Weise diese Frage untersuchen,
indem man bei der Erörterung von der besten
Verfassung ausgeht. Angenommen nämlich, dass
es einen Staat geben kann, der aus lauter wa-
ckeren Bürgern besteht, so muss doch jeder von
diesen die ihm zufallende Aufgabe richtig erflil-
len, was ja nur in Folge einer Tugend gesche-
hen kann, und da es nun wiederum unmöglich
ist, dass alle Bürger von gleicher menschlicher
Beschaffenheit seien, so folgt wohl, dass die Tu-
gend des Bürgers und des braven Mannes nicht
eine einzige sei. Denn die Tugend des wacke-
ren Bürgers müssen alle Bürger jenes Staates be-
sitzen, da ja nothwendig nur in diesem Falle der
Staat der beste sein kann, die Tugend des bra-
ven Mannes können sie unmöglich Alle besitzen,
wenn, wie vorausgesetzt ward, es nicht nöthig ist,
dass alle Bürger in dem musterhaften Staat von
gleicher menschlicher Beschaffenheit seien. —
in,4. 141
Ferner lässt sich der Beweis auch noch so führen:
Da die Bestandtheile des Staats ungleich sind,
ähnlich wie das animalische Geschöpf zunächst
aus Seele und Leib, die menschliche Seele aus
Vernunft und Begierde, der Hausstand aus Mann
und Weib, aus Herrn und Sclaven zusammenge-
setzt ist — da ebenso auch der Staat aus allen
diesen und ausserdem noch aus anderen ungleich-
artigen Elementen biesteht, so folgt nothwendig,
dass die Tugend aller Bürger nicht eine einzige
sein kann, so wie ja auch unter den Choristen
die des Chorflihrers und seines Nebenmannes es
nicht ist. Dass also jene beiden Arten von Tu-
gend nicht schlechthin zusammenfallen, ist hier-
aus klar. Aber sollte nicht unter gewissen Um-
ständen die Tugend des wackeren Bürgers und
des wackeren Mannes dieselbe sein? Da spre-
chen wir nun den Satz aus, dass wer als Gebie-
tender für wacker gelten soll, zugleich brav und
einsichtig sein, der Bürger jedoch nicht noth-
wendig einsichtig zu sein brauche. Behaupten
doch Manche, dass gleich die Erziehung fttr den
Gebietenden eine andere sein müsse, wie man
ja auch wirklich sieht, dass die Königssöhne in
der Reit- und Kriegskunst unterrichtet werden
und wie Euripides im Aeolos von der Ersiehung
junger Fürsten sagt: * Nicht wünsch' ich mir in
feinen Dingen sie gewandt. Vielmehr in Allem,
was der Staat verlangt ; er setzt also voraus, es
142 m, 4.
gebe flir den Gebietenden eine besondere Erzie-
hung. Wenn nun hiernach die Tugend des bra-
ven Gebietenden und des braven Mannes dieselbe,
Bürger aber auch der Gehorchende ist, so wäre
zwar nicht schlechthin Bürger- und Mannestugend
dieselbe, abef wohl für eine gewisse Art von
Bürger. Denn allerdings ist die Tugend des Ge-
bietenden und die des gewöhnlichen Bürgers
nicht dieselbe, und dieses veranlasste vielleicht
auch den Jason zu sagen, er habe nichts zu
essen, wenn er nicht Tyrann sei, d. h. er ver-
stand nicht als Privatmann zu leben. Aber, lässt
sich einwenden, die Fähigkeit sowohl zu gehor-
chen als zu gebieten gilt doch allgemein für
eine schätzenswerthe, und die Tugend eines tüch-
tigen Bürgers findet man darin, dass er im Stande
sei, auf die rechte Art sowohl zu gehorchen als
zu gebieten; wenn wir also die Tugend des bra-
ven Mannes nur mit dem Gebieten verknüpfen,
die des Bürgers aber in Beidem, sowohl im Ge-
horchen als im Gebieten, bestehen lassen, so wäre
dieses beides, das Gebieten und das Gehorchen,
nicht gleich schätzenswerth, was doch gegen die
allgemeine Ansicht streitet. Da nun also die ge-
wöhnliche Meinung das eine Mal dahin geht.
Beide müssten Verschiedenes und der Gebietende
nicht dasselbe lernen wie der Gehorchende, und
wiederum, der Bürger müsse Beides, das Gebie-
ten wie das Gehorchen, verstehen und Beides
/
III, 4. 143
durchmachen, so übersieht man wohl den wei-
teren Verlauf der Untersuchung. Es giebt näm-
lich eine über Sclaven auszuübende Herrenge-
w^alt. Darunter verstehen wir die auf die nie-
deren Arbeiten bezügliche, bei denen es nicht
nöthig ist, dass der Gebietende sie zu verrichten,
sondern vielmehr nur zu gebrauchen wisse. Das
Gegentheil ist sogar eines Freien unwürdig, ich
meine, wenn man im Stande ist, die Bedienten-
leistungen auch zu versehen. Unter dem Begriff
Sclave befassen wir nun aber mehrere Arten, da
es ja auch mehr als Eine Art von niederen Ge-
schäften giebt. Eine (Gattung derselben haben
die Handarbeiter inne, das sind solche Arbeiter,
die, wie auch schon das Wort andeutet, nur von
ihren Händen leben, und in diese Klasse gehö-
ren auch die groben Gewerke; deshalb hatten
auch in einigen Staaten die Handwerker in der
alten Zeit, bevor die äusserste Demokratie ein-
geführt worden, keinen Zutritt zu den Aemtern.
Die Arbeiten derjenigen Leute also, welche in
dieser Weise sich befehlen lassen müssen, soll
Niemand, der zu den Besseren zählt, also auch
der gute Staatsmann so wenig wie der gute
Bürger lernen, ausser etwa für seinen persönli-
chen Bedarf, weil in diesem Falle das Herrn-
und Sclavenverhältniss nicht mehr stattfindet. — [
Aber nun giebt es auch noch eine Gewalt, kratt
welcher man über seinesgleichen und Freie ge-
144 in, 4.
bietet; solcher Art nämlich, sagen wir, ist die
Gewalt des Staatsamts, und die Austtbung dieser
Gewalt muss allerdings der Gebietende durch
Gehorchen erlernen, z. B. Cavalleriegeneral zu
sein dadurch dass man unter einem Cavallerie-
general dient, Infanteriegeneral zu sein dadurch
dass man sowohl als Obrister wie als Haupt-
mann unter einem Infanteriegeneral dient. In
diesem Sinne ist denn auch jener andere gang-
bare Spruch richtig, dass wer nicht gehorcht
habe, nicht ordentlich gebieten könne. Nun ist
freilich fllr jede dieser Stellungen des Gehorchens
und Gebietens eine andere Tugend nöthig, der
gute Bürger aber muss Beides, Gehorchen sowohl
wie Gebieten, kennen und können, und Bürger-
tugend ist eben dieses, mit der Gewalt über
Freie nach beiden Seiten des Gebietens und Ge-
horchens vertraut zu sein. Und allerdings ist
Beides, das Gehorchen und das Gebieten, mit
dem Wesen des braven Mannes verträglich, ob-
schon das Gebieten eine andere Art von Massig-
keit und Gerechtigkeit erfordert, als das Gehor-
chen. Offenbar nämlich kann der brave Mann,
wann er gebietet und wann er als Freier ge-
horcht, eine Tugend, z. B. Gerechtigkeit, nicht
als eine unterschiedlose besitzen, sondern als
eine in Arten zerfallende, nach denen er sein
Gebieten und Gehorchen bemessen wird, so wie
ja auch für Mann und Weib die Massigkeit und
m, 5. 145
Tapferkeit eine verschiedene ist. Denn einen
Mann würde man wahrlich für feig halten, wenn
er nur so tapfer wäre wie ein tapferes Weib,
und ein Werb für keck, wenn sie nur so be-
scheiden wäre wie ein anständiger Mann. Ist ja
doch auch die Theilnahme an der häuslichen
Wirthschaft für Mann und Weib eine verschie-
dene ; des Mannes Aufgabe ist, zu erwerben, die
des Weibes, zu erhalten. — Von allen im Ver-
lauf dieser Auseinandersetzung erwähnten vier
Cardinaltugenden ist nun die Einsicht die ein-
zige, welche nur dem Gebietenden eigenthtim-
lich ist; die übrigen, scheint es, sind noth wen-
diges Gemeingut sowohl der Gehorchenden als
der Gebietenden. Einsicht jedoch ist nicht die
von dem Gehorchenden zu verlangende Tugend,
sondern nur richtige Vorstellung; denn der Ge-
horchende ist gleichsam der Flötenmacher, der
Gebietende dagegen der Flötenspieler, der das In-
strument benutzt. — Ob also die Tugend des braven
Mannes und des wackeren Bürgers dieselbe ist,
oder eine verschiedene, und in wie fern sie die-
selbe, in wie fern wiederum eine verschiedene,
ist hieraus klar.
Von den Schwierigkeiten in Betreff des
Bürgers ist jedoch noch eine unerledigt. Ver-
hält es sich nämlich wirklich so, dass nur der-
jenige Bürger ist, welchem Antheil an Amtsge-
walt zusteht, oder muss man auch die niederen
10
146 in, 5.
Stellung Handwerker fllr Bürger gelten lassen? Falls
der niede- ^ ^
^'"weS^f" ^^^ ^^^ ^^^^ diese, welche doch nicht in die
Aemter eintreten, Itir Bürger gelten lassen mass,
so kann die Tugend wie sie eben als eine mit
dem abwechselnden Gebieten und Gehorchen ver-
knüpfte bestimmt wurde, unmöglich llir jeden
Bürger passen. Denn hier hätten wir Einen der
nie gebietet und doch Bürger ist. Soll aber wie-
derum keiner dieser vom Gebieten ausgeschlossenen
Leute Bürger sein, so entsteht tiir jeden Ein-
zelnen von ihnen die Frage, zu welcher Klasse
man ihn rechnen soll. Denn Insasse ist er doch
eben so wenig, und Fremder auch nicht. Oder
sollen wir sagen, dass hierin noch gar nichts
absonderliches liege, da ja auch die Sclaven zu
keiner der genannten Klassen gehören, und eben
so wenig die Freigelassenen? In der That darf
man nicht Alle, die ttir den Staat unentbehrlich
sind, gleich tlir Bürger erklären; sind ja auch
die Knaben nicht in demselben Sinne Bürger wie
die Männer, sondern die Männer sind es schlecht-
hin, die Knaben nur voraussetzungsweise ; Bürger
nämlich sind sie wohl, aber noch nicht reif ge-
wordene. In alter Zeit nun bildete an einigen
Orten die Sclaven- und Fremdenbevölkerung den
niederen Handwerkerstand, weshalb auch noch
heutzutage er meistens aus solchen Leuten be-
stellt. Freilich giebt es auch Orte, z. B. Athen,
tvo die niederen Handwerker Bürget' sind, der
III, 5. 147
beste Staat jedoch wird keinen niederen Hand-
werker zum Bürger machen. Wenn aber auch
ein Solcher Bürger ist, so muss man doch sagen,
dass die Bürgertugend, von welcher oben die
-Rede war, nicht flir Jedermann sei, auch nicht
flir die bloss Freigeborenen, sondern nur flir die-
jenigen, welche der niederen Arbeiten tiberh()ben
sind; die übrigen sind, wenn sie für Eine Per-
son solche niedere Dienste verrichten, Sclaven,
wenn tiir das gesammte Publicum, niedere Hand-
werker und Tagelöhner. Wie es mit diesen aber
stehe, wird bei geringem Nachdenken aus Fol-
gendem klar; denn die schon früher vorgetragene s. oben s. 132.
Bemerkung macht gleich auf den ersten Blick
alles deutlich. Da es nämlich mehrere Ver-
fassungsformen giebt, so muss es auch mehrere
Arten von Bürgern, zumal von gehorchenden Bür-
gern, geben; und sonach ist es in einer gewissen
Verfassung, nämlich in der zu Athen bestehenden
äassersten Demokratie, unvermeidlich, dass der
niedere Handwerker und der Tagelöhner Bürger
seien, in gewissen anderen ist es dagegen un-
möglich, z. B. wenn irgendwo die Verfassung
des sogenannten Edelstaats besteht, in welcher
die Ehrenstellen nur nach Tugend und Würdig-
keit verliehen werden; denn sich ganz den An-
forderungen der Tugend hinzugeben, ist nicht
im Stande wer ein niederes Handwerker- oder
Tagelöhner - Leben ttlhrt. In den Oligarchien
148 lU, 6.
aber ist es zwar undenkbar, dass der Tage-
löhner Bürger sei — denn der Eintritt in die
Aemter ist dort von hohen Vermögensansätzen
abhängig — dass dagegen der niedere Hand-
werker Bürger sei, ist wohl denkbar; denn 6e-
werksleute werden sogar meistens reich. In
Theben freilich bestand ein Gesetz, dass wer
nicht seit zehn Jahren den Marktgeschäften fern
geblieben, kein Amt bekleiden dürfe. In vielen
Verfassungen dagegen zieht das Gesetz sogar
ein Fremdenelement in die Bürgerschaft hinein;
es hat nämlich in manchen Demokratien Jeder
das Bürgerrecht, der eine Bürgerin zur Mutter
hat; und gleicherweise wird es an vielen Orten
mit den Bastarden gehalten. Jedoch, weil man
bloss aus Mangel an echten Bürgern Personen
wie die Genannten zu Bürgern macht, so werden
jene gesetzlichen Bestimmungen nur so lange
ausgeführt als die Bevölkerung knapp ist; so-
bald sie aber, wieder reichlich geworden, besei-
tigt man bei Kleinem zuerst die, welche einen
Sclaven zum Vater oder eine Sclavin zur Mutter
haben, dann die welche bloss von mütterlicher
Seite Bürger sind, und endlich werden ausschliess-
lich die nach beiden Seiten von Altbürgern Ab-
stammenden für Bürger erklärt. — Dass es also
mehrere Arten von Bürgern giebt, ist hieraus klar,
und auch dass im vollsten Sinne nur derjenige
Bürger heisst, welcher Theil an den Ehrenämtern
III, 6. 149
hat, wie es auch Homeros [Ilias, 9, 648] andeutet,
da wo er Achilleus sagen lässt, Agamemnon be-
handle ihn wie einen ^ehrenentbehrenden Sied-
ler\ Denn wer keinen Theil an den Ehren-
ämtern hat, der ist, sdhst wenn er Bürger heisst,
gleichsam ein Insasse. Es giebt jedoch Orte,
£f. B, Athen, wo dieses Verhältniss vertuscht wird,
um denjenigen, mit denen man nun einmal zu-
sammenwohnt, etwas vorzuspiegeln.
In Betreff der Frage also, ob die Tugend
welche den braven.Mann, und die welche den
wackeren Bürger macht ftir eine und dieselbe
oder für verschieden zu halten sei, hat sich aus
dem Gesagten ergeben, dass in manchem Staat
beide Charaktere ungetrennt, in manchem ande-
ren Staat getrennt sind, und auch in jenem
ersten Staat die Ungetrenntheit sich nicht findet
bei jedem, sondern nur bei dem politisch thätigen
Bürger, der auf die Besorgung der öffentlichen
Angelegenheiten Einfluss hat oder doch Einfluss
haben kann, sei es fttr sich allein oder zugleich
mit Anderen.
6 Nachdem nun dieses auseinandergesetzt wor-
den, ist zunächst zu untersuchen ob man Eine
oder mehrere Verfassungsformen annehmen soll,
und wenn mehrere, von welcher Art und Zahl
sie sind und worin ihre Unterschiede bestehen.
Verfassung nun ist Ordnung des Staates hin-
sichtlich der Gewalten überhaupt, und vorzüglich
150 111, 6.
der souveränen Gewalt. Souverän des Staates
nämlich ist überall die regierende Klasse und
die regierende Klasse bestimmt sich nach der
Regierungsform; ich meine, wie z. B. in Demo-
kratien der Demos souverän ist und umgekehrt
in den Oligarchien die Vornehmen. In diesen
beiden Fällen erkennt nun schon die gewöhn-
liche Auffassung den Unterschied der Verfassungs-
form an; und mit derselben Rücksicht auf die
souveräne Gewalt dürfen wir also auch die
Unterschiede der übrigen Formen bestimmen.
Zuvörderst aber muss vorausgeschickt werden,
zu welchem Zweck der Staat besteht, und in wie
viele Arten die auf den Menschen im gesell-
schaftlichen Leben gerichtete Gewalt zerfällt.
Zweck des Bcrcits iu den ersten Vorträgen, bei den Aus-
Staat«. ^ '
einandersetzungen über Hauswirthschaft und
Herrengewalt ward gesagt, dass allerdings schon
8. oben s. 7. vou Natur der Mensch ein staatliches Geschöpf
ist, weshalb auch Menschen, die gar keiner gegen-
seitigen Unterstützung bedürfen, nicht minder
sich nach dem Zusammenleben sehnen. Jedoch
auch das gemeinschaftliche Beste fuhrt sie zu-
sammen, und dieses vertheilt sich auf die Ein-
zelnen je nach dem Maasse, in welchem die ver-
schiedenen Menschenklassen für schönes Leben
empfänglich sind. Dieses schöne Leben ist nun
freilich im höchsten Sinne Zweck, für die ver-
einigte Gesammtheit wie flir jeden Einzelnen,
III, 6. 151
Aber die Menschen thun sich auch zusammen
lediglich um des nackten Lebens willen — viel-
leicht liegt auch wirklich ein Element des Schönen
darin — und eben so bleibt die Fortdauer der
staatlichen Gemeinschaft mit blosser Bücksicht
auf das nackte Leben möglich, so lange die Müh-
seligkeiten des Daseins nicht gar zu übermässig
werden. Liegt es ja zu Tage, dass die meisten
Menschen viel Drangsal auf sich nehmen aus
Hang zum blossen Leben ; es ist als ob darin an
sich schon eine Art von Glück und natürlicher
Süssigkeit liege. — Was nun aber die zweite
eben aufgestellte Frage angeht^ so ist es auch Artender
xierrscuftiu-
nicht schwer, die in Betracht kommendeh Weisen
der Herrschaft begrifflich auseinanderzuhalten;
auch in den nicht streng philosophischen Ge-
sprächen geben wir ja vielfache Auseinander-
setzungen darüber. Die Herrengewalt nämlich
sieht, obschon in Wahrheit das Wohl des natür-
lichen Sclaven und natürlichen Herrn unzertrenn-
lich ist, doch trotzdem wesentlich auf das Wohl
des Herrn; auf das Wohl des Sclaven nur accesso-
risch, weil, wenn der Sclave umkommt, die Herren-
gewalt aufhören muss. Dagegen die Gewalt über
Kinder, Weib und das gesammte Haus, welche
man hausväterliche Gewalt nennt, besteht ent-
weder zum Frommen der Untergebenen allein,
oder wegen eines beiden Theilen gemeinsamen
Nutzens; an sich nur zum Frommen der Unter-
152 111,6.
gebenen, wie wir es ja auch bei sonstigen Fertig-
keiten, z. B. der Arznei- und Turnkunde, sehen ;
accessorisch jedoch können sie auch wohl den
Gebietenden zum Frommen gereichen. Steht ja
nichts im Wege, dass der Turnlehrer manchmal
selbst einer der Turnenden sei, so gut wie der
Schiflfscapitän stets einer der Schiflfsleute ist. Der
Schiflfscapitän oder Turnlehrer nun hat das Beste
seiner Untergebenen im Auge; wenn er jedoch
selbst sich in derselben Lage wie sie befindet,
nimmt er accessorisch an der Förderung Theil;
jener nämlich ist auf dem Schiffe, und dieser
wird, obgleich er Turnlehrer ist, flir den Augen-
blick einer der Turner. Ebenso besteht nun auch
die Gewalt des staatlichen Amtes wesentlich zum
Besten der ihr Untergebenen; wo daher die Ein-
richtung des Staates auf Gleichheit der bürger-
lichen Rechte und Pflichten gegründet ist, da
tritt der Anspruch auf, dass man die staatlichen
Aemter abwechselnd verwalte; dieser Anspruch
ging ursprünglich nach der naturgemässen Auf-
fassung des Verhältnisses dahin, dass man ver-
langte, es solle die öffentliche Dienstleistung in
der Reihe herumgehen, und Jeder wollte, dass
nun auch einmal für sein Bestes ein Anderer
sorge, so gut wie er selbst früher, zur Zeit als
er Beamte war, flir das Beste des Anderen ge-
sorgt habe. Jetzt aber wünscht man wegen der
Emolumente aus den öffentlichen Geldern und
III, 7. ^ 153
aus der Amtsgewalt ununterbrochen Beamte zu
sein, ganz so wie wenn es der Fall wäre, dass
die Beamten, selbst wenn sie von kränklicher
Constitution sind, während ihres Amtes immer
sich wohl befänden; denn auch alsdann würde
man wohl nach Aemtern jagen. Es ist also klar,
dass nur diejenigen Verfassungen, welche auf
das Gemeinwohl abzielen, nach den allgemein-
gültigen Bechtsgrundsätzen sich als rechte Staats-
verfassungen herausstellen, die dagegen bloss auf
das eigene Wohl der Gebietenden abzielen, alle
als verkehrte und als Ausschreitungen der rech-
ten Staatsverfassungen; denn es herrscht in ihnen
dasselbe Verhältniss wie zwischen Herren und
Sclaven; der Staat aber ist eine Gemeinschaft
von Freien.
7 Nachdem nun dieses auseinandergesetzt wor-
den, hat sich die Untersuchung zunächst auf die
Verfassungen zu richten, wie viele und welcher- zahi der
Verfassun-
lei es seien, und zwar zuerst auf die rechten ge°-
unter ihnen; denn wenn diese begrifflich be-
stimmt sind, werden die Ausschreitungen von
selbst deutlich sein. Da nun Verfassungsform
und herrschende Klasse auf dasselbe hinaus-
kommt, die herrschende Klasse aber der Souve-
rän der Staaten ist, und der Souverän wieder-
um nur entweder Einer oder Wenige oder die
Mehrzahl sein kann, so folgt nothwendig, dass
wenn der Eine oder die Wenigen oder die Mehr-
154 III, 7.
zahl mit Rücksicht auf das Gemeinwohl herrschen,
die Verfassungen alsdann rechte, diejenigen Ver-
fassungen dagegen, welche nur auf das eigene
Wohl des Einen oder der Wenigen oder der
Mehrzahl gerichtet sind, Ausschreitungen seien;
denn entweder mtisste man jenen Mitgliedern
des Staates, für deren Wohl nicht gesorgt wird,
das Bürgerthum absprechen, oder ihr Wohl muss
mitbefbrdert werden. Von den monarchischen
Ötaatsformen nun pflegen wir die auf das Ge-
meinwohl absehende, Königthum zu nennen; da
wo zwar die Minderzahl aber doch eine über die
monarchische Einzahl hinausgehende Minderzahl
in jener das Gemeinwohl fördernden Weise
herrscht, nennen wir es Edelstaat, sei es weil
die Gewalt bei den Edelsten ist, oder weil sie
dieselbe zum edelsten Besten des Staates und
seiner Mitglieder gebrauchen; wenn aber die
Menge die Staatsgeschäfte zum Gemeinwohl ver-
waltet, nennt man diese Art mit dem Gesammt-
namen der Gattung: Verfassungsstaat (Politeia).
Bei diesem Verfassungsstaat tritt nun naturge-
mäss folgendes Verhältniss hervor. Dass Einer
oder Wenige an Tugend vor allen Anderen her-
vorragen, ist denkbar; bei Vielen wird es als-
bald schwierig, dass sie nach allen Seiten zur
Tugend vollkommen entwickelt seien; am ehe-
sten jedoch ist es ttir die kriegerische Tugend
denkbar, weil diese sich in derMß-sse ausbildet,
ni, 8. 155
Und deshalb ist nun in diesem Verfassungsstaat
der Heerbann der höchste Souverän, und Voll-
bürger sind in demselben alle WafFenfiihrenden.
— Ausschreitungen der genannten Verfassungen
sind aber folgende: die Tyrannis ist Ausschrei-
tung des Königthums, die Oligarchie Ausschrei-
tung des Edelstaats, die Demokratie Ausschrei-
tung des Verfassungsstaats. Denn die Tyrannis
ist eine nur das Wohl des Monarchen wollende
Monarchie; die Oligarchie will nur das Wohl
der Bemittelten, die Demokratie nur das Wohl
der Unbemittelten; aber das dem Gemeinwohl
Förderliche will keine von ihhen.
Es muss jedoch das Wesen jeder dieser Ver-
fassungen noch etwas auslUhrlicher besprochen
werden; denn in der That liegen hier einige
»Schwierigkeiten vor, und der wissenschaftlichen,
nicht bloss die Praxis ins Auge fassenden Be-
handiong jeder Disciplin liegt es ob, nichts zu
übersehen und nichts zu übergehen, sondern über
Jeden Punkt die Wahrheit zu Tage zu legen.
Tyrannis nun ist, wie gesagt, eine das Verhält-
niss von Herren und Sclaven auf die staatliche
Gemeinschaft tibertragende Monarchie; Oligarchie
ist, wo den Inhabern grossen Vermögens, und
umgekehrt Demokratie, wo denen, welche nicht
im Besitz ansehnlichen Vermögens sondern un-
bemittelt sind, die Souveränität zusteht. Die
erste Schwierigkeit betrifft nun diese Definitionen,
156 ni, 8.
der^Demo- ÄiigGiiö'^™^!^ üämlich, cinc aus'ßemittelten ge-
ougarÄ bildete Mehrzahl besitzt irgendwo die Souveräni-
tät, und gemäss der herrschenden Ansicht ist doch
Demokratie, wo die Menge souverän ist; — ebenso
nach der anderen Seite: angenommen es träfe
sich irgendwo, dass die Unbemittelten zwar von
geringerer Zahl als die Bemittelten, aber weil
sie mächtiger wären, dennoch über den Staat
souverän verfügten, und wo die Minderzahl sou-
verän ist, soll doch Oligarchie sein: so tritt
wohl in diesen Fällen hervor, dass die Ver-
fassungsformen nicht genügend definirt worden.
Und wollte man nun auch mit der Bemitteltheit
die Minderheit und mit der Unbemitteltheit die
Menge verknüpfen und die Verfassungen folgen-
dermaassen benennen: Oligarchie ist, wo die eine
Minderzahl ausmachenden Bemittelten, Demo-
kratie, wo die eine Mehrzahl ausmachenden Un-
bemittelten die Verwaltung inne haben, so stösst
man auf eine andere Schwierigkeit. Wie sollen
wir nämlich alsdann die eben erwähnten Staats-
formen benennen ? jene, in welcher die Mehrzahl
aus Bemittelten, und die andere, in welcher die
Minderzahl aus Unbemittelten besteht und beide
die souveräne Staatsgewalt inne haben; eine
andere Staatsform ausser den oben genannten
giebt es ja nicht. Aus dieser Betrachtung scheint
es sich also zu ergeben, dass Minderheit, oder
Mehrheit der souveränen Klasse nur als etwas
III, 9. 157
accessorisches, jene in den Oligarchien, - diese
in den Demokratien sich findet, weil es eben
überall wenige Bemittelte und viele Unbemittelte
giebt; es kommen daher auch die vorhin er-
wähnten Fälle von Staaten mit souveräner be-
inittelter Mehrzahl und unbemittelter Minderzahl
in der geschichtlichen Wirklichkeit nicht vor,
und sie können daher keine besonders zu be-
nennenden Verfassungsformen veranlassen. Was
den gegenseitigen Unterschied von Demokratie
und Oligarchie ausmacht, ist vielmehr nur Ar-
muth und Reichthum, und woReichthum Gewalt
giebt, sei es der Minder- oder der Mehrzahl, da
ist nothwendig Oligarchie, Demokratie dagegen,
wo die Unbemittelten die Gewalt haben. Jedoch,
wie gesagt, es trifft sich, dass es dort Wenige,
hier Viele sind ; denn bemittelt sind Wenige, im
Besitz der Freiheit sind dagegen alle Bürger,
und Reichthum und Freiheit sind ja nun auch
die Gründe, auf welche die beiden Parteien der
Oligarchen und Demokraten ihren Anspruch an
die Staatsgewalt zu stützen pflegen.
9 Hieran schliesst sich passend die Untersuchung
über Grundsätze und Ansprüche der politischen
Parteien. Dabei muss zuvörderst festgestellt wer-
den, welche Definitionen sie von Oligarchie und
Demokratie geben und was der oligarchische
und demokratische Rechtsboden ist. Alle näm-
lich greifen ein gewisses Recht auf, sie verfolgen
158 III, 9.
Rechts- es jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt, und
gründe der
^Parteien" ^^ ^^^ geltend Hiachen, ist nicht das volle,
eigentliche Recht. Nämlich, Recht scheint Gleich-
heit zu sein, und ist es auch, jedoch nicht für
Alle, sondern nur i'ür die Gleichen. Auch Un-
gleichheit scheint Recht zu, sein, und ist es auch,
jedoch nicht für Alle, sondern nur itir die Un-
gleichen. Nun fassen aber die Leute diese per-
sönliche Frage, das 'Für wen', in abstrakter Un-
vollständigkeit und urtheilen darüber falsch ; was
daher kommt, dass das Urtheil sie selbst be-
trifft, und in eigener Sache sind ja die meisten
Menschen tible Richter. Während also das Recht
relativ für die Personen und, wie früher in den
ethischen Vorträgen gesagt ward, eine sowohl
in den Sachen wie für die Personen gleichmässige
Vertheilung ist, so stimmen die Parteien über die
sachliche Gleichheit überein, über die persön-
liche aber entzweien sie sich, zumeist aus dem
so eben angeführten Grunde, weil man seine
eigenen Angelegenheiten falsch beurtheilt, dann
aber auch, weil beide Parteien in dem was sie
vorbringen,- bis auf einen gewissen Grad Recht
haben, glauben sie schlechthin Recht zu haben.
Die Oligarchen nämlich meinen, wenn sie in
Einem Punkt, d. h. im Geld, ungleich sind, durch-
aus Ungleiche zu sein, die Demokraten dagegen,
wenn sie in Einem Punkt, d. h. in der freien
Geburt, gleich sind, durchaus Gleiche zu sein;
III, 9. 159
die eigentliche Hauptsache aber bringen sie nicht
zur Sprache. Wäre man nämlich bloss der Be-
sitzthümer wegen in Gemeinschaft getreten und
zusammengekommen, so wäre eines Jeden Antheil
am Staat nach dem Maasse seines Besitzes be-
stimmt, und was die Oligarchen sagen, dürfte fiir
triftig gelten, dass es nämlich nicht Recht sei,
wenn an dem Gesellschaftscapital von hundert
Minen derjenige, welcher nur eine Mine beige-
steuei-t, gleichen Antheil habe wie der, welcher
die ganze übrige Summe gegeben, mögen es nun
die ersten Begründer der Gesellschaft oder deren
Rechtsnachfolger sein. Gan0 anders stellt sich
jedoch die Sache, wenn wir die richtige Ansicht
vom Staat fassen, wonach man in die staatliche
Gemeinschaft getreten ist nicht des blossen Le-
bens wegen, sondern vielmehr eines guten Lebens
wegen; denn sonst würde es auch einen aus
Sclaven und Thieren bestehenden Staat geben;
jetzt jedoch giebt es einen solchen nicht, weil
Sclaven und Thiere von der Glückseligkeit und
einem durch den sittlichen Willen geleiteten Da-
sein, d, h, dem Ziel und der Bedingung des
Staates^ ausgeschlossen sind. — Ebensowenig be-
steht der Staat des Kriegsbeistandes wegen, da-
mit man von Niemandem Unrecht zu leiden
brauche, noch auch zum Zweck des Handels und
gegenseitigen Verkehrs; denn alsdann müssten
Tyrrhener und Karchedonier und alle durch
160 m,9.
Handelsverträge verbundene Völker sieb wie
Bürger eines einzigen Staates zu einander ver-
halten. Nun bestehen allerdings zwischen ihnen
bindende Festsetzungen in Betreff der Einfuhr-
artikel und Abkommen sich nicht gegenseitig zu
schaden und geschriebene Urkunden über Kriegs-
beistand. Jedoch giebt es zur Handhabung dieser
Bestimmungen keine allen Paciscirenden ge-
meinsame Behörden, sondern in jedem Stallt be-
stehen andere; auch kümmern die Einen sich
nicht darum wie die Charaktere der Anderen
beschaffen sein müssten, nicht darum dass kein
unter die Tractate Befasster ein ungerechter
Mensch oder sonst mit einer Schlechtigkeit be-
haftet sei, sondern nur darum dass sie sich unterein-
sittiiches ander kein Unrecht thun. Dagegen beschäftigen
iji6i des
Staats, gicii allerdings mit bürgerlicher Tugend oder
Untugend diejenigen sehr sorgfältig, welchen es
um gute staatliche Ordnung für einen einzigen
Staat Äu thun ist. Und auf diesem Wege tritt
es also auch klar hervor, dass auf Tugend der
Bürger derjenige Staat seine Sorgfalt zu richten
hat, welcher in Wahrheit und nicht bloss dem
Namen nach Staat heissen will. Wo nämlich
diese Sorge für die Tugend fehlt, da wird die
staatliche Gemeinschaft zu einer blossen Allianz,
die sich von den anderen nach der Ferne hin
geschlossenen Allianzen nur in örtlicher Hinsicht
^ unterscheidet. Auch das Gesetz ist nur ein
111,9. 161
Vertrag, und wie der Sophist Lykophron sagte,
ein Bürge daflir dass der Eine dem Anderen
gerecht werde, aber gute und gerechte Menschen
aus den Bürgern zu machen vermag es nicht.
Dass nun dieses wirklich sich so verhalte und
allein die Sorge für die sittliche Bildung der
Bü/rger das wahre Wesen des Staates ausmache^
liegt klar zu Tage. Denn wollte man auch die
verschiedenen Oertlichkeiten zu einer einzigen
verbinden, so dass z. B. die Stadt der Megarer
und die der Korinthier mit ihren Mauern zusam-
menstiessen, so würde es darum doch noch nicht
ein einziger Staat sein. Auch nicht einmal dann,
wenn sie sich gegenseitig das Recht des Zwi-
schenheirathens einräumten, obschon dieses aller-
dings eine für den Staat charakteristische Art
der Gemeinschaft ist. Ebenso, wenn Menschen
zwar getrennt, jedoch nicht so sehr fern von
einander wohnten, dass keine Gemeinschaft mög-
lich wäre, sie vielmehr Gesetze hätten zur Ver-
hinderung gegenseitigen Unrechts im Austausch
ihrer Erzeugnisse, z. B. der Eine wäre ein Zim-
mermann, der Andere ein Ackersmann, der Dritte
ein Schuhmacher, der Vierte etwas Anderes der
Art, und ihre Zahl betrüge zehntausend, ihre Ge-
meinschaft erstreckte sich jedoch auf gar nichts
Anderes als auf solche Dinge wie Tausch und
gegenseitigen Beistand, so wäre es immer noch
kein Staat. Worin liegt wohl der Grund? Un-
11
162 in, 9.
möglich in der mangelnden örtlichen Nähe der
Gemeinschaft, denn wenn die in solcher Gemein-
schaft Stehenden auch zusammenzögen, jeder
Einzelne jedoch in seinem besonderen Hause wie in
einem besonderen Staate für sich lebte und mit ein-
ander sie so verkehrten, als bestände gleichsam ein
blosses Schutzbündniss, indem sie sich nämlich nur
gegen ungerechte Angriffe Beistand leisteten, so
würde die begrififlich strenge Betrachtung auch dar-
in noch immer keinen Staat erkennen können, da
sie ja jetzt, nachdem sie zusammengezogen, ganz
so mit einander umgehen würden, wie vorhin als
sie getrennt wohnten. Es ergiebt sich also, dass
der Staat nicht ist eine örtliche und zur Ver-
hinderung gegenseitigen Unrechts und um des
Austausches der Erzeugnisse willen bestehende
Gemeinschaft; sondern diese Dinge müssen frei-
lich vorhanden sein, wofern ein Staat da sein
soll, jedoch wenn sie allesammt auch vorhanden
sind, so ist noch nicht gleich ein Staat da, son-
dern Staat ist erst die gleichsehr Familien und
Stämme umschliessende Gemeinschaft guten Le-
bens zum Zweck eines vollen und unabhängigen
Daseins. Eine solche Gemeinschaft wird jedoch
nur stattfinden können bei solchen, die eine und
dieselbe Oertlichkeit bewohnen und unter ein-
ander heirathen ; deshalb bildeten sich denn auch
Vetterschaften in den Staaten und Sippschaften
und gemeinschaftliche Opfer und Belustigungen
in, 10. 163
zur Beförderung des Zusammenlebens. Derglei-
chen ist jedoch kein wesenhaft staatliches sondern
ein Freundschaftsverhältniss ; denjj der Vorsatz
zusammenzuleben ist ja nichts anderes als Freund-
schaft. Zweck des Staates ist also das gute Le-
ben, und jene Dinge dienen nur zum Zweck.
Staat selbst aber ist die von Stämmen und Ort-
schaften gebildete Gemeinschaft zu einem vollen
und unabhängigen Dasein, dieses aber heisst, wie
wir meinen, mit anderen Worten: glücklich und
sittlich schön leben. Mithin muss man festsetzen,
dass wegen der sittlich schönen Handlungen die
staatliche Gemeinschaft besfehe, nicht des blossen
Zusammenlebens wegen. Und daraus folgt nun
auch, dass diejenigen, welche nach dieser Seite
hin den grössten Beitrag zu der Gemeinschaft
geben, mehr Anrecht am Staat haben als die-
jenigen, welche ihnen zwar an freier oder adeli-
cher Geburt gleich oder voran, in der staatlichen
Tugend aber nicht gleich stehen, oder als diejeni-
gen, welche sie* zwar an Reichthum tibertreffen,
an Tugend aber von ihnen tibertroffen werden.
— Dass also alle politischen Parteien sich nur
auf ein theilweises Recht berufen, ist aus dem
Gesagten klar. '
10 Schwierigkeit macht es nun aber, wer der Inhaber der
Sonverä-
Souverän des Staates sein soll. Sein muss es »**»!.
entweder die Mehrzahl, oder die Reichen, oder
die anständigen Leute, oder ein einziger Treff-
164 III, 10.
liebster, oder ein Tyrann. Aber in allen diesen
Fällen kommt man offenbar ins Gedränge. Denn
wie ? wenn nun, um gleich den ersten Fall 0u
nehmen^ dciss die Mehrheit der Souverän sei, die
Armen, weil sie die Mebrzahl bilden, das Ver-
mögen der Reichen unter sich vertheilen, soll
das nicht Unrecht sein? Deshalb nicht, weil
es doch nrni einmal kraft Beschlusses des Sou-
veräns, also rechtmässig, geschehen ist? Wenn
dieses nicht das ärgste Unrecht ist, was soll man
denn so nennen? Und wenn nun, nachdem den
Reichen Alles genommen worden, immer die un-
hemittelte Mehrzahl fortfährt, den Besitz der nicht
ganz unbemittelten Minderzahl zu vertheilen, so
liegt es doch auf der Hand, dass man so den
Staat zerstört. Nun zerstört ja aber die Tugend
nie das sie Besitzende, und auch das Recht ist
nicht staatenzerstörend. Mithin ist es klar, dass
auch jenes Gesetz unmöglich ein gerechtes
sein kann. Ausserdem wttrde noch, wenn man
es für gerecht gelten lässtj nothwendig folgen,
dass auch alle Handlungen, die der Tyrann je
vertlbte, gerecht wären; er zwingt ja als der
Stärkere, ganz so wie die Mehrzahl die Reichen
zwingt. — Aber ist es etwa Recht, dass die
Minderzahl und die Reichen die Gewalt ha-
ben ? Wenn nun auch diese eben dasselbe thun
und rauben und der Mehrzahl ihr Eigenthum weg-
nehmen, ist das Recht ? Dann wäre es auch im
111,11. 165
obigen Falle Recht. Dass alles dieses also schlimm
und nicht gerecht ist, liegt auf der Hand. —
Aber sollen etwa die anständigen Leute die
Aemter besetzen und die oberste Gewalt über
Alles haben? Nun, dann ist die noth wendige^
Folge, dass die übrigen Alle ehrlos sind, da sie
nicht durch die Staatsämter geehrt werden; wir
fassen ja die Aemter als Ehrenstellen auf; wenn
nun also immer dieselben Leute Beamte sind,
so sind die übrigen nothwendigerweise der Ehren
verlustig. — Aber ist es etwa besser, dass Einer,
der Bravste, die Amtsgewalt allein habe? Nun,
das ist ja noch oligarchischer; denn dann ist
eine noch grössere Anzahl der Ehren verlustig.
— Aber vielleicht möchte Mancher sagen, dass
überhaupt ein Mensch und nicht vielmehr das
Gesetz Souverän sei, ist schlimm, da jener doch
mit den Leidenschaften, wie sie in der Seele
sich ausbilden, behaftet ist. Jedoch wenn man
nun auch das Gesetz für souverän erklärte, es
aber ein oligarchisches oder ein demokratisches
Gesetz wäre, was wäre dann hinsichtlich der
aufgeworfenen Schwierigkeiten gewonnen ? Alles
vorhin Angeflihrte würde ganz ebenso eintreten.
11 Die übrigen Punkte nun sollen anderswo
weiter besprochen werden. Dieser Punkt jedoch,
dass lieber die Mehrzahl der Souverän sein solle
• als Wenige, wenn es auch die Besten, sind, scheint
sich befriedigend zu erledigen und eine gewisse
166 in, 11.
Annehmbarkeit, vielleicht sogar eine gewisse
Wahrheit zu haben. Denn es ist wohl denkbar,
^Menge.^^ dass die Vielen, von denen jeder Einzelne kein
sittlich vollkommener Mann ist, dennoch wenn
sie zusammentreten, besser als jene wenigen Be-
sten seien, nicht zwar jeder flir sich, aber wohl
insgesammt genommen; es ist ein ähnliches Ver-
hältniss wie z. B. zwischen Picknicks und den
auf Kosten eines Einzigen bestrittenen Mahlzeiten.
Denn da es Viele sind, kann möglicherweise
Jeder Etwas von Tugend und Einsicht haben,
und wenn sie nun zusammentreten, so findet, wie
die Menge gleichsam ein einziger vielflissiger, viel-
bändiger und mit vielen Sinneswerkzeugen aus-
gestatteter Mensch wird, dasselbe auch hinsicht-
lich der Charaktere und der Geisteskraft Statt.
Deshalb urtheilt auch die Menge besser über
die Leistungen sowohl der Tonkunst als der
Dichter; denn der Eine beurtheilt diese, der An-
devB jene Seite, sonach Alle Alles. Der Unter-
schied jedoch zwischen Männern von sittlicher
Vollkommenheit und jedem Einzelnen aus der
Menge ))esteht, ähnlich wie man sagt, dass schöne
Menschen sich von nicht schönen und die künst-
lerischen Gemälde von den wirklichen Dingen un-
terscheiden, darin dass dort zur Einheit vereinigt
erscheint, was hier auf vielen Punkten zerstreut
ist; getrennt betrachtet könnte von dem einen wirk-
lichen Menschen das Auge, von einem anderen
111,11. 167
ein anderes Glied schöner sein als das im Gemälde.
— Ob es nun denkbar ist, dass jeder Demos
und jede Menge sich in dieser Weise zu den
wenigen sittlich Vollkommenen verhalte, bleibt
dunkel; oder vielleicht ist es nur zu klar, dass
es jedenfalls bei Manchen unmöglich ist Denn
sonst würde ja dieselbe Betrachtung auch auf
die Thiere und deren vereinzelte gute Eigenschaften
angewandt werden können. Und in der That
was haben manche Menschen, so zu sagen, vor
den Thieren voraus? Aber allerdings für diese
oder jene Menge steht nichts der Richtigkeit
de^ angegebenen Verhältnisses im Wege. Dem-
nach kann man auf diese Weise sowohl die vor-
hin erwähnte Frage, oh die MehreaM der Sou-
verän sein solle, erledigen als auch die ihr sich
anschliessende, wozu die bloss Freigeborenen und
die Masse der Bürger befugt sein solle, d. h. alle
diejenigen, welche nicht reich sind und auch kei-
nerlei durch Tugend geachtete Stellung einneh-
men. Einerseits ist es nicht gefahrlos, ihnen den
Eintritt in die höchsten Aemter zu gestatten —
denn aus Mangel an Rechtssinn und an Einsicht
möchten sie sich wohl Vergehen und Versehen
zu Schulden konmien lassen — und wenn man
andererseits ihnen weder rechtlich noch thatsäch-
lich den Zutritt eröffnet, so wird das ein fürch-
terlicher Zustand; denn wo viele der Ehren Ver-
lustige und Arme vorhanden sind, da ist noth-
168 in, 11.
wendig der Staat voll von Feinden. Es bleibt
also nur der Ausweg, dass man sie zum Bera-
then und Urtheilen zulässt. Deshalb hat auch
wirklich Solon und einige andere Gesetzgeber
ihnen einen Platz bei den Wahlen der Behörden
und bei der Rechenschaftsabnahme der Beamten an-
gewiesen, sie aber kein Amt ganz flir sich allein
verwalten lassen. Denn wenn sie alle zusammen-
kommen, haben sie zwar genügendes Verständ-
niss und unter Bessere gemischt haben sie für
die Staaten etwas Gutes, — wie der nicht reine
Nahrungsstoff, unter den reinen gemengt, die
ganze Masse nahrhafter macht als der kleine
reine Theil gewesen wäre — ; jeder Einzelne für
sich hat jedoch nicht die volle Fähigkeit zum
Urtheilen. — Diese solonische Verfassungsform
hat nun aber erstlich folgendes Bedenken: Es
will ja scheinen, als ob z. B. die richtige ärzt-
liche Behandlung nur derjenige beurtheilen könne,
der auch selbst die Arzneikunst auszuüben und
einen Kranken von einer wirklichen Krankheit
gesund zu machen vermag, d. h. der Arzt. Und
ein Gleiches gilt bei den übrigen Fertigkeiten
und Künsten. Wie nun ein Arzt vor Aerzten
Rechenschaft ablegen soll, so auch die anderen
Ausüber einör Kunst vor ihresgleichen. Arzt heisst
aber in Beisug auf UrtheilsfahigheU erstlich der
Praktiker, dann der wissenschaftlich gebildete
und drittens wer dilettantische Kenntniss von
111,11. 169
der ärztlichen Kunst hat; diese letztere Klasse giebt
es ja nun auch fast bei allen Künsten, und Ur-
theil räumen wir den Dilettanten nicht minder
ein als den Fachleuten. Ferner will es scheinen
als sei es mit dem Wählen ebenso. Richtig
zu wählen ist Sache der Fachleute, z. B. der
mathematisch Gebildeten Sache ist es, einen
Mathematiker, der nautisch Gebildeten einen
Schiffscapitän zu wählen. Denn wenngleich flir
manche Verrichtungen und Künste auch gewisse
Klassen von Laien mit eine Stimme bei der
WaM haben, so doch keinesfalls eine gewichti-
gere als die Fachleute. Von dieser Seite be-
trachtet, dürfte man also weder die Behörden-
wahl noch die Rechenschaftsabnahme in die Hand
der Menge legen. — Vielleicht jedoch ist das
nicht Alles richtig, erstlich, weil hier wieder,
wofern nämlich die Menge nicht ganz und gar
ohne Menschenwürde ist, die frühere Bemerkung
eintritt, dass nämlich Jeder ftir sich zwar ein
schlechterer Beurtheiler als die Fachleute sein
wird. Alle vereinigt aber bessere oder wenigstens
eben so gute; und dann, weil über Manches der
Verfertiger weder das alleinige noch das beste
Urtheil hat, überall nämlich, wo das fertige
Werk auch diejenigen kennen lernen, welche
die Kunst nicht verstehen, z. B. die Kenntniss
von einem Hause ist nicht bloss auf den be-
schränkt, der es gebaut hat, vielmehr wird sogar
170 III, IL
besser darüber urtheilen wer es benutzt, d. h.
der Hausherr, und über ein Steuerruder der
Steuermann besser als der SchiflFszimmerer, und
über ein Gastmahl der Gast besser, aber nicht
der Koch. Dieses Bedenken also darf man wohl
hiermit für befriedigend erledigt halten. Aber
es tritt noch ein anderes hieran sich anschlies-
sendes ein. Es scheint nämlich ungereimt, dass
die gemeinen Leute zu Wichtigerem befugt sein
sollen als die anständigen; Kechenschaftsabnahme
aber und Wahl der Behörden sind von der höch-
sten Wichtigkeit und, wie gesagt, in einigen
Verfassungen tiberträgt man sie dem Demos.
Die Volksversammlung nämlich ist fftr alles hier:
auf Bezügliche die entscheidende Behörde. Gleich-
wohl sind Mitglieder der Volksversammlung und
auch des Käthes und der Geschworenengerichte
Leute von kleinem Steuerkapital und von belie-
bigem Alter, während um Schatzmeister und
Kriegsmeister zu werden und die höchsten Aem-
ter zu bekleiden ein grosses Steuerkapital erfor-
dert wird. Auch dieses Bedenken kann man
nun wohl in gleicher Weise erledigen. Vielleicht
ist dieses nämlich ganz richtig so wie es jetzt
ist. Denn Beamter ist nicht der Geschworene und
nicht der Rathmann und nicht der Theilnehmer
an der Volksversammlung, sondern das Schwur-
gericht und der Rath und der Demos; und von
diesen G^sammtheiten ist jeder einzelne der Ge-
III, 11. 171
nannten bloss ein Glied; denn nur als Glied,
das erst durch das Ganjse seine Bedeutung erhält,
fasse ich den Rathmann, den Theilnehmer an
der Volksversammlung, den Geschworenen auf.
Es ist also dem Rechte entsprechend, wenn die
Menge, indem sie in diese Behörden eintritt, zu
wichtigeren Dingen befugt wird, als es die weni^
gen Vornehmen sind. Denn es sind Viele, die
den Demos, den Rath und das Schwurgericht
bilden und alle diese zusammengerechnet haben
auch ein grösseres Steuerkapital als diejenigen,
welche die vorhin genannten hohen mit Einer
Person oder Wenigen besetzten Aemter verwal-
ten. — Hiermit sei denn die Auseinandersetzung
über diese Punkte beschlossen.
Aus der Besprechung der ersten Schwierig-
keit in Betreff der Inhaber der Souveränität er- s. oben s. lea.
giebt sich nun nichts so klar wie dieses, dass
die Souveränität in richtig ^abgefassten Gesetzen
ruhen, die Beamten dagegen, mag die Behörde
mit Einem oder mit Mehreren besetzt sein, nur '
in solchen Dingen Macht haben sollen, über
welche eine scharfe Fassung der Gesetze uner-
reichbar ist,, weil man mit allgemeinen Bestim-
mungen schwer alle einzelnen Fälle erschöpfen
kann. Von welcher Beschaffenheit jedoch diese
richtig abgefassten Gesetze sein sollen, ist noch
gar nicht deutlich, sondern hierüber bleibt die
oben beregte Schwierigkeit unerledigt, dass näm- s. oben s. i65
172 111,12.
lieh zugleich mit den Verfassungen und in glei-
chem Maasse wie diese auch die Gesetze schlimm
oder treffli.ch, gerecht oder ungerecht sein müssen.
So viel jedoch ist jedenfalls klar, dass die Ab-
fassung der Gesetze von der Verfassungsform
bedingt ist. Steht nun aber dieses fest, so folgt
auch nothwendig, dass die den rechten Verfas-
sungen entsprechenden Gesetze gerecht, dagegen
die den ausgeschrittenen Verfassungen entspre-
chenden ungerecht sind.
s. oben s 3. *) Bei allen Wissenschaften und Künsten ist 12
ein Gut der Zweck; das grösste Gut also ist in
höchstem Grade Zweck in der allerobersten d. h.
*) Das zwölfte und dreizehnte Capitel enthalten
einen abgesonderten Eivtwurf zur Erörterung derselben
Fragen, die theils im neunten, zehnten, elften, theils im
sechszehnten und siebzehnten Capitel behandelt sind. Da
er einiges Eigenthümliche , z. B. die Besprechung des
Scherbengerichts (s. S. 182), darbietet, so mochten die
Ordner der aristotelischen Papiere ihn nicht untergehen
lassen, und der ihm jetzt angewiesene Platz schien em-
pfohlen durch die Verwandtschaft des Inhalts mit den
ihm nun benachbarten Capiteln. Wo die so entstandenen
Tautologien gar zu augenfällig wurden, hat man sie
durch Einfügung von Rückverweisungsformeln 'wie früher
gesagt' u. dgl. (S. 176, 177, 202) zu mildern gemeint. Nach
Aristoteles' Absicht sollte sich unmittelbar an das Ende
III, 12. .173
in der Staatskunst. Das staatliche Gut aber ist s. oben s. lo.
das Recht, und dieses wiederum ist das Gemein-
wohl. Nun halten Alle das Recht für eine Art s. obens.iss.
von Gleichheit und bis auf einen gewissen Funkt
stimmen sie dem bei, was die philosophischen
Vorträge, in denen die ethischen Fragen erörtert
wurden, darüber aufgestellt haben. Das Recht
nämlich hat eine sachliche und persönliche Seite,
und so sagen auch die Leute: Gleiche müssen
Gleiches haben. Welche Eigenschaften nun aber
persönliche Gleichheit und welche wiederum Un-
gleichheit begründen, bedarf weiterer Aufklä-
rung; denn hierin liegt eine Schwierigkeit und
ein Anlass zu staatswissenschaftlicher Forschung.
Vielleicht nämlich möchten Manche behaupten,
jedweder Vorzug, durch den man hervorsteche,
des elften Capitels der Anfang des vierzehnten anschlies-
sen. Denn die ersten Sätze des vierzehnten Capitels lau-
ten S. 1 85 : * Vielleicht ist es nun passend, von den angestellten
Besprechungen aus den Uebergang zur Erörterung des
Königthums zu machen ; denn das Königthum ist ja nach
unserer Ansicht eine der rechten Verfassungen.' Dieses
die Zweckmässigkeit des Uebergaugs begründende Sätz-
chen 'denn das Königthum ist ja eine der rechten Ver-
fassungen' findet in den Schlussworten des dreizehnten
Capitels keinen Anknüpfungspunkt, da dort die 'rechten
Verfassungen' gar nicht genannt sind. Wohl aber sind
sie, wie man sieht, hier am Schluss des elften Capitels
zugleich mit ihren Gegensätzen, den ausgeschrittenen
Verfassungen, erwähnt.
174 111,12.
begründe einen Anspruch auf ungleiche Verthei-
lung der Aemter, auch wenn sonst die Personen
in nichts verschieden, sondern in der That
gleichartig sind. Denn jener Eine Vorzug bringe
doch eine Verschiedenheit hervor und ftlr Ver-
schiedene sei auch Recht und Gebühr verschie-
den. Jedoch wenn das wahr wäre, so würde
auch Farbe und Grösse und jeder beliebige Vor-
zug einen Mehrantheil staatlicher Berechtigung
tHr die dadurch Hervorstechenden begründen. Aber
erweist sich dieses nicht schon bei oberflächlicher
Betrachtung als falsch? wie es ja bei den übri-
gen Wissenschaften und Fertigkeiten ' deutlich
hervortritt. Unter künstlerisch gleichstehenden
Flötenspielern hat man doch einen Mehrantheil
an den Flöten nicht denen von besserem Adel
zu geben. Denn sie blasen darum die Flöte
nicht besser, und man soll nur dem in der Lei-
stung Vorzüglichen auch einen vorzüglichen An-
theil an den Werkzeugen geben. Sollte hierdurch
die KSache noch nicht deutlich sein, so wird sie
bei weiterer Verfolgung dieses Beispiels ganz
klar werden. Gesetzt nämlich, es ist Jemand
Anderen voraus im Flötenspiel, steht ihnen aber
an Adel oder Schönheit weit nach, so mag im-
merhin jedes von diesen, ich meine Adel und
Schönheit, ein grösserer Vorzug als Flötenspiel
und verhältnissmässig weit mehr dem Flötenspiel
als Jener i m Flötenspiel voraus sein, man muss Je-
III, 12. 175
nem doch die vortrefflichere Flöte geben. Denn
das Voraussein sowohl an Reichthura als an Adel
miisste, wenn man darauf Bücksicht nehmen soll, von
Einfluss auf die Leistung sein, einen solchen Ein-
fluss haben sie aber keineswegs. — Ferner würde
aus der gegnerischen Behauptung folgen, dass
jeder Vorzug mit jedem Vorzug in Vergleich
gestellt werden könne. Denn wenn z. B. einem
gewissen Maass von Köi-pergrösse im Vergleich
zu Reichthum und freier Geburt irgend etwas
in höherem Grade zukommt, so kann auch wohl
überhaupt Körpergrösse sowohl gegen Reichthum
als gegen freie Geburt in die Wagschale gelegt
werden. Also auch, wenn dieser Mensch durch Kör-
pergrösse mehr hervorsticht als jener andere durch
Tugend, so würde, obschon an sich Tugend vor-
züglicher ist als Körpergrösse, doch ein Gleich-
maass zwischen ihnen möglich sein. Denn wenn
ein gewisses hohes Maass von Körpergrösse mehr
werth ist als ein gewisses geringes Maass von
Tugend, so ist es doch klar, dass es ein anderes
Maass von Körpergrösse geben muss, welches
gleichviel werth ist wie jenes Maass von Tugend.
Da nun aber eine solche Oommensurabilität aller
Arten von Eigenschaften widersinnig ist, so sieht
man, dass es seinen guten Grund hat, wenn auf
politischem Gebiet nicht jede Art von Ungleich-
heit für Ansprüche auf staatliche Aemter geltend
gemacht wird. Denn wenn die Einen langsam,
176 111,13.
die Anderen schnell sind, so dürfen deshalb nicht
diese mehr und jene weniger politisches Recht
bekommen, sondern ein Vorzug solcher Art er-
hält in den gymnastischen Wettkämpfen die ge-
bührende Ehre. Vielmehr die Elemente, aus de-
nen der Staat besteht, diese allein können den
Boden für die streitenden Ansprüche abgeben.
Demnach machen fHiglich auf staatliche Ehre An-
spruch Adeliche und Freigeborene und Reiche.
Freigeborene nämlich und Leute mit einem Steuer-
kapital müssen da sein, weil aus lauter Mittel-
losen so wenig wie aus Sclaven ein Staat zu
Stande kommt. Jedoch wenn einerseits diese
Elemente unentbehrlich sind, so ist es anderer-
seits klär, dass Gerechtigkeit und kriegerische
Tüchtigkeit es ebenfalls sind; denn auch ohne
diese kann man nicht im Staate leben; der Un-
terschied liegt nur darin, dass ohne die ersteren
Elemente die Existenz des Staates, ohne die letz-
teren sein geordneter Zustand unmöglich ist. Mit
Rücksicht auf die Existenz des Staates könnten 13
also die Ansprüche aller oder wenigstens einiger
der genannten Elemente richtig scheinen, mit Rück-
sicht jedoch auf das gute Leben, d. h. den Zweck des
Staats, dürften Bildung und Tugend die am mei-
s. oben s. 163. stcn gerechten Ansprüche haben, wie auch schon
früher gesagt. Da es nun aber sich nicht ge-
bührt, weder dass die nur in Einem Punkt Glei-
chen gleichen Theil von Allem, noch die nur in
III, 13. 177
Einem Punkt Ungleichen ungleichen Theil von Al-
lem haben, so folgt nothwendig, dass alle auf sol-
chen Grundsätzen beruhenden Verfassungen Aus-
schreitungen sind. Nun wurde schon früher ge- s. oben s. iss.
sagt, dass alle streitenden Parteien nach gewisser
Seite, wenn auch nicht schlechthin. Recht haben,
die Reichen, weil ihnen ein grösserer Theil des
Bodens gehört und der Boden gemeinsame Grund-
lage des Staates ist; ausserdem sind sie auch
meistens zuverlässiger in Handel und Wandel.
Die Freigeborenen und Adelichen können sich bei
ihren Ansprüchen auf ihre nahe an einander strei-
fenden Vorzüge stützen. Denn wenn die Frei-
geborenen sich auf ihr Bürgerthum berufen j so
sind die edleren Bürger doch in vollerem Sinne
Bürger als die nicht edlen, und jedes einzelne Volk -
ehrt seinen heimathlichen Adel, warum soll also
nicht auch der Adel überhaupt geehrt werden?
Ferner lässt sich anführen, dass voraussichtlich
die von Besseren Abstammenden auch selbst
besser sind. Denn Adel bedeutet edler Schlag.
In gleicher Weise dürfen wir nun sagen, dass
auch die Tugend begründete Ansprüche erheben
kann. Denn die Gerechtigkeit gilt uns ja für
eine in der Gemeinschaft sich verwirklichende,
(üso dem Staate wesentliche^ Tugend, und wo Ge-
rechtigkeit ist, finden sich nothwendig alle übri-
gen Tugenden ein. Aber auch die Mehrzahl kann
der Minderzahl gegenüber sich auf einen gerech-
12
178 111,13.
s. oben 8. lefi. ten Anspruch stützen; sie ist stärker und reicher
und besser, wenn man alle Bestandtheile der
Mehrzahl zusammengerechnet der Minderzahl ge-
genüberstellt. — - Wie nun aber, wenn alle jene
Klassen in Einern Staat zusammen sind, ich
meine, erstlich die Guten, dann die Reichen und
Adelithen, und ausserdem noch eine sonstige Bür-
germenge, wird dann ein Streit darüber sein,
wer herrschen soll, oder wird kein Streit sein?
s. oben s. IM. lu jcdcr dcr oben genannten Verfassungen freilich
wird die Entscheidung darüber, wer herrschen
soll, unbestritten sein. Denn eben durch die ver-
schiedenen Souveräne unterscheiden sie sich von
einander, in dieser z. B. bilden die Reichen den
Schwerpunkt, in jener die ordentlichen Leute,
und ähnlich bei jeder von den übrigen. Aber
wir fragen uns dennoch, wenn alle jene Elemente
zu gleicher Zeit vorhanden sind, welcherlei Be-
stimmungen soll man da treffen? Gesetzt, die
mit Tugend Ausgestatteten bilden eine überaus
geringe Anzahl, wie soll man die Grenze ange-
ben? Muss man den Begriff der geringen An-
zahl mit Rücksicht auf die vorliegende Aufgabe
fassen und nur darauf sehen, ob sie hinreiche
den Staat zu verwalten, oder muss die Zahl
gross genug sein um einen Staat zu bilden? —
Es lässt sich aber gegen alle um die staatlichen
Ehren streitenden Parteien ein gemeinschaftlicher
Einwurf richten. Es will nämlich scheinen, als
in, 13. 179
brächten diejenigen, welche wegen ihres Reich-
thums auf Herrschaft Anspruch machen, gar
keinen stichhaltigen Kechtsgrund vor, so wenig
wie die auf Geburt sich stützenden. OflFenbar
nämlich, wenn nun wieder ein Einziger reicher
ist als Alle, mUsste ja nach demselben Rechts-
grunde dieser Eine über alle Reichen herrschen,
und ebenso der durch Adel Hervorragende über
Alle, die sich auf freie Geburt berufen. Ganz
dasselbe wird wohl auch in den Edelstaaten
sich bei der Tugend herausstellen. Wenn näm-
lich ein Einziger ein besserer Mann wäre als
alle übrigen Mitglieder der herrschenden Klasse,
die immerhin auch wackere Leute sein mögen,
so mUsste doch nach demselben Rechtsgrund,
welchen die herrschende Klasse für sich anführt^
jener Eine der Souverän sein. So nun auch,
wenn wirklich die Menge Souverän sein soll,
weil sie stärker ist als die Wenigen, müsste,
wenn ein Einziger oder zwar Mehrere als dieser
Eine jedoch Wenigere als die Mehrzahl stärker
"wären, die Souveränität vielmehr bei diesen,
und nicht bei der Menge sein. Aus diesem
Allen ergiebt sich nun wohl deutlich, dass von
allen den Grundsätzen keiner richtig ist, kraft
deren die Leute selbst herrschen und alle Uebri-
gen von sich beherrscht wissen wollen. Könnten
doch sogar gegen diejenigen, welche auf Grund
der Tugend souveräne Regierungsgewalt an-
180 m, 18.
sprechen, und ebenso auch gegen diejenigen,
welche es auf Grund des Reichthums thun, die
Gemeinden, welche die Mehrzahl bilden, eine
gerechte Gegenrede vorbringen, da es ja ganz
wohl geschehen kann, dass zuweilen die Menge
besser ist als die Wenigen und auch reicher,
nicht zwar Jeder tür sich, sondern Alle zusam-
mengerechnet. Sonach kann man auch der
Schwierigkeit, welche von gewisser Seite ge-
funden und vorgebracht wird — man fragt näm-
lich, ob der Gesetzgeber der die richtigsten
Gesetze geben will, die Gesetzgebung tÜr das
Wohl der Besseren oder für das Wohl der Mehr-
zahl zu berechnen habe — - auf diese Weise be-
gegnen, überall wo der erwähnte Fall eintritt,
dass die Menge eusammengerechnet ein grösseres
Maass von Gutem als die Wenigen aufweist.
Das Richtige aber hat man als gleichheitlich
zu fassen, und das gleichheitlich Richtige wie-
derum bestimmt sich nach dem Wohl des ganzen
Staats und dem Gesammtwohl der Bürger. Bürger
aber ist im Allgemeinen, wer am Gebieten wie
am Gehorchen Theil nimmt;, in jeder verschiede-
nen Verfassungsform ist das ein Anderer; tÜr die
beste Verfassungsform ist es derjenige, welcher
befähigt und gewillt ist, im Gehorchen und Ge-
bieten die Anforderungen des tugendhaften Lebens
zu erfllllen. Ist nun aber ein Einziger, oder
Mehrere zwar als Einer, jedoch nicht genug um
m, 13. 181
die Bevölkerung eines Staates abzugeben, so sehr
durch tiberschwängliche Tugend ausgezeichnet,
dass die Tugend aller Uebrigen und auch ihre
staatliche Tüchtigkeit gar nicht in Vergleich
kommen kann mit der Tugend und Tüchtigkeit
Jener, wenn es Mehrere sind, öder ist's ein Ein-
ziger, Jenes; dann kann man diese Art Menschen
gar nicht mehr als Bestandtheil eines Staates
gelten lassen. Denn es geschähe ihnen Unrecht,
wollte man ihnen zumuthen, dass sie mit glei-
chem Antheil zufrieden seien, da sie an Tugend
und staatlicher Tüchtigkeit so sehr ungleich sind.
Denn gleichsam als ein Gott unter Menschen
würde wohl ein so Gearteter erscheinen. Hier-
aus ist nun auch zu ersehen, dass die Gesetz-
gebung sich nothwendig nur auf Menschen von
gleichem Schlage und gleicher Ausbildung richten
kann; für Menschen dagegen von der obigen
überschwänglichen Art giebt es kein Gesetz;
denn feie selbst sind Gesetz. Lächerlich in der
That würde sich machen, wer es unternähme,
sie durch Gesetzgebung zu binden; sie würden
wahrscheinlich dasselbe dazu sagen, was An-
tisthenes die Löwen sagen lässt, als die Haasen
politische Reden hielten und allgemeine Gleich-
heit forderten. — In diesem Verhältniss liegt
auch der Grund weshalb die demokratischen
Staaten das Scherbengericht bei sich einftlhren.
Diese Staaten nämlich streben angeblich vor
182 111,13.
allen Dingen nach Gleichheit; gegen diejenigen
also, welche durch Reichthum oder grossen An-
hang oder sonstiges politisches Gewicht über-
bengericht" i^ächtig ZU scin schienen, pflegte man das Scher-
bengericht anzuwenden und sie Itir bestimmte
Fristen aus dem Staate zu entfernen. Auch in
der Sage heisst es, dass die Argoschiflfer aus
solchem Grunde den Herakles zurtickliessen ; das
ArgoschiflF nämlich habe ihn nicht fahren wollen,
weil er so viel schwerer war, als alle anderen
Mitfahrenden. — Wenn daher der von Perian-
dros dem Thrasybulos gegebene Rath derTyrannis
zum Tadel angerechnet wird, so darf man diess
nicht für einen schlechthin triftigen Vorwurf halten.
Periandros nämlich, wird erzählt, habe zu dem
Herold, der um Rath zu holen an ihn abgesandt
worden, nichts gesprochen, sondeni nur die her-
vorragenden Aehren fortgenommen und so das
Feld auf gleiche Höhe gebracht; daraus habe
dann, als der Herold, ohne die Bedeutung der
Sache zu erkennen, das Vorgefallene meldete,
Thrasybulos verstanden, dass er die hervorragen-
den Männer aus dem Wege schaffen solle. Diess
ist jedoch weder ausschliesslich Tyrannen-Inter-
esse noch ausschliesslich Tyrannen-Verfahren,
vielmehr findet es ebenso in den Demokratien
und Oligarchien statt. Denn das Scherbenge-
richt läuft gewissermaassen auf dasselbe hinaus
wie das tyrannische Kleinmacben der Hervor-
111, 13. 183
ragenden und das Verbannen derselben. Auch
gegen ganze Staaten in Griechenland und gegen
nichtgriechische Völkerschaften wird dasselbe
Verfahren Ton den Grossmächten angewendet,
wie z. B. von den Athenern gegen die Samier
und Chier und Lesbier; denn sobald die Athener
ihre Reichsherrschaft mit starker Hand tUhren
konnten, drückten sie unter Verletzung der Ver-
träge jene hervorragendsten Bundesstaaten zu
Boden. Und der Perserkönig wiederum pflegte
auf die Meder und Babylonier und die anderen
unterworfenen Völkerschaften, die, weil sie ein-
mal an der Herrschaft gewesen, von Selbstgefühl
erfüllt waren, wiederholt loszuschlagen. Das
Problem ist' demnach ein allgemeines, alle Ver-
fassungsformen, auch die rechten, umschliessen-
des. Denn wenn auch in den ausgeschrittenen
Verfassungen das Absehen bei jenem Ver-
fahren auf Sonderinteressen gerichtet ist, so
waltet doch in den das Gemeinwohl be-
zweckenden Verfassungen ganz dasselbe Verhält-
niss ob; mithin braucht dieser Punkt noch nicht
jedem Einvernehmen zwischen den Einzelherr-
schern und den Stadtgemeinden im Wege zu
stehen, wofern nämlich ihre persönliche Herr-
schaft auch für die Stadtgemeinden nützlich ist
und sie nun jenes Verfahren einschlagen. —
Auch sonst .in den Künsten und Wissenschaften
tritt dieses Verhältniss zu Tage. Kein Maler
184 in, 13.
wird in einem Grcmälde den das Ebenmaass tiber-
schreitenden Fuss belassen, wäre er auch noch
so schön, kein SchiflFszimmerer einen derartigen
SchiflFsspiegel oder sonst einen SchiflFstheil. Eben
so wenig wird der Chormeister Jemanden, der
eine lautere und schönere Stimme hat als der
ganze Chor, mitsingen lassen. Wo es sich also
um oflFenbare Uebermässigkeiten handelt, kann
die Vertheidigung des Scherbengerichts sich auf
einen staatlichen Rechtsgrund berufen. Das
Beste allerdings ist, wenn der Gesetzgeber die
Verfassung so einrichtet, dass das Bedttrfniss
nach solchen Heilmitteln gar nicht entstehe, das
Zweitbeste aber, eintretenden Falles mittelst eines
derartigen Correktivs wie dcks Scherbengericht die
Ausgleichung zu versuchen. Auf diese Weise
verflihr man jedoch nicht in den griechischen
Staaten. Man sah bei den Scherbengerichten
nicht auf das, was das Wohl der jedesmaligen
Verfassung verlangte, sondern benutzte dieselben
zu Parteizwecken. — Dass nun das Fortschaffen
der Hervorragenden in den ausgeschrittenen Ver-
fassungen den Sonderinteressen derselben gemäss
und nach dem Princip dieser Verfassungen ge-
recht sei, ist klar; ja vielleicht ist, dass es
schlechthin gerecht sei, ebenfalls klar. Nur bei
der besten Verfassung entsteht eine grosse
Schwierigkeit, nicht zwar bezüglich des Ueber-
maasses an sonstigen Vorzügen z. B. Stärke,
m, 14. 185
Reichthum, Anhang; aber, wenn es nun vorkommt,
dass Einer an Tugend Alle übertriflFt, was soll
man da machen? Niemand wird doch sagen wollen,
man müsse einen Solchen ausstossen oder zeit-
weilig entfernen; ebenso wenig aber, man dürfe
einem Solchen befehlen; das wäre ungefähr so
wie wenn man, gemäss einem reihenweisen
Wechsel der Aemterbekleidung, auch einmal dem
^Zeus befehlen wollte. Es bleibt also nur das s. imten s. 204.
übrig, was auch wohl in der Natur der Sache
liegt, dass nämlich einem Solchen Alle freudig
gehorchen, und mithin Männer solcher Art ewige
Könige in freien Staaten sind.
14 Vielleicht ist es nun passend, von den an- ^^^j^^Jf*«"
gestellten Besprechungen aus den Uebergang zur
Erörterung des Königthums zu machen; denn
das Königthum ist ja nach unserer Ansicht eine
der rechten Verfassungen*). Zu erörtern aber
ist die Frage, ob Königsherrschatt Itir die Wohl-
fahrt sowohl eines städtischen Gemeinwesens
als eines Landes förderlich oder nicht und viel-
mehr eine andere Verfassung forderlicher, oder
aber ob sie in gewissen Fällen förderlich, in
anderen nicht förderlich sei. Zunächst muss nun
bestimmt werden, ob es nur Eine Art von König-
thum giebt, oder ob dasselbe mehrere Verschie-
*) Siehe oben S. 172 Anmerkung.
186 III, 14.
denheiten einschliesst. Da ist dann diess wohl
leicht einzusehen, dass es mehrere Arten um-
i'asst und die Weise der Herrschaft nicht bei
allen Königthümern eine und dieselbe ist. Z. B.
SThe KöS?*- ^^^ Königthum in der lakonischen Verfassung
thum. gjj^ r^^^Y daitir, dass es unter den gesetzlichen
Königthttmern am meisten Königthumist, jedoch
hat es keine allseitige Befugniss, sondern der
König ist nur, wenn er die Landesgrenze über-
schritten hat, Leiter der kriegerischen Ange-
legenheiten, und ausserdem sind noch die Götter-
dienste den Königen tiberwiesen. Diese Art des
Königthums ist also nicht mehr als gleichsam
eine Feldherrnschaft mit selbständiger Macht-
vollkommenheit und auf Lebenszeit. Denn Recht
über Tod und Leben hat ein solcher König
nicht, ausser in gewissen Fällen, wie es während
der Kriegsztige als standrechtliches Verfahren bei
den Alten, ' nach Ausweis des Homeros, war.
Agamemnon nämlich, wenn er in den Versamm-
lungen geschmäht wurde, nahm er es hin, so-
bald man aber zur Schlacht ausgezogen war,
hatte er das Recht sogar zu tödten. Sagt er ja
[Ilias 2, S9i\\ ^Wen ich jedoch abseits von der
*
Schlacht hei den Schiffen betreffe, Nicht wird dem
es gelingen vor Hunden und Vögeln zu fliehen.
Denn ich halte den Tod in der Hand\ Diess
ist also die eine Art von Königthum : Feldherrn-
schaft auf Lebenszeit. Besetzt werden die König-
III, 14. 187
thttmer dieser Art theils aus bestimmten Ge-
schlechtern, theils durch Wahl. — Ausser dieser
giebt es noch eine andere Art der Einzelherr-
schaft : Königthtimer wie sie bei einigen Barba- d»» König-
ren bestehen. Alle diese haben zwar eine der g^rie^^^n*'
tyrannischen ähnliche Gewalt, aber dennoch sind
sie gesetzmässig und angestammt. Weil nämlich
die Barbaren überhaupt von Natur knechtischere
Charaktere als die Hellenen und die asiatischen
Barbaren wiederum knechtischere als die euro-
päischen haben, so ertragen sie die knechtische
Botmässigkeit ohne Murren. Wegen dieser knech-
tischen Botmässigkeit sind demnach jene König-
thtimer zwar tyrannisch, haben aber einen ge-
sicherten Bestand, weil sie gesetzmässig und an-
gestammt sind; wie ja auch aus dieser Ursache
ihre Leibwache eine königliche und keine tyran-
nische ist. Könige nämlich werden von den
Bürgern in WaflFen bewacht, Tyrannen dagegen
von einer fremden Söldnertruppe, weil jene ge-
setzmässig tiber willig Gehorchende, diese über
Widerwillige herrschen, und also jene seitens der
Bürger, diese zum Schutz gegen die Bürger mit
Wachen umgeben sind. — Diess wären demnach
zwei Arten von Einzelherrschaft ; eine andere nie Aesym-
netie.
ist diejenige, welche bei den alten Hellenen be-
stand, die sogenannten Aesymneten. Diese ist,
schlechthin gesagt, eine Wahl-Tyrannis; ihr
Unterschied von der barbarisoben Eiuzelherr-
188 in, 14.
Schaft liegt nicht in mangelnder Gesetzmässig-
keit, sondern bloss darin, dass sie nicht ange-
stammt ist. Manche hatten diese Gewalt lebens-
länglich inne, Andere nur ttir bestimmte Fristen
oder Geschäfte, wie z. B. die Mitylenäer einmal
den Pittakos wählten zur Vcrtheidigung gegen
die Emigranten, an deren Spitze Antimenides
und der Dichter Alkaios standen. Dass man
nämlich den Pittakos wirklich zuna Tyrannen
erwählte, zeigt Alkaios in einem seiner Tafel-
lieder, wo er schilt, dass sie* den 'niedriggebore-
nen Pittakos ttir die mattherzige Stadt, welche
das Schicksal drückt, eingesetzt als Tyrann, laut
ihn im Schwärm rühmend als Wackeren.' Diese
Gewalten also sind und waren einerseits tyran-
nische weil despotisch unumschränkte, anderer-
seits königliche weil erwählte und willig aner-
Das heroi- kanutc. — Eiuc vierte Art könifflicher Einzel-
Bche König- "
thum. herrschaft bilden die, welche im heroischen Zeit-
alter als willig anerkannte und angestammte
gesetzmässig bestanden. Weil nämlich die ersten
Stifter des Königshauses sich durch Erfindung
von Künsten, oder im Kriege oder durch Be-
gründung der staatlichen Vereinigung oder durch
Gebietserwerbung als Wohlthäter des Volks be-
wiesen, wurden sie willig als Könige anerkannt,
und tllr die folgenden Geschlechter ward diess
dann ein angestammtes Verhältniss. Ihre Be-
fugniss erstreckte sich auf die Führerschaft im
III, U. 189
Kriege und die Opfer, soweit es nicht priester-
liche waren, und ausserdem entschieden sie die
Prozesse; letzteres thaten Manche unvereidigt,
Andere vereidigt; die Form des Eides war Er-
hebung des Königsstabes. In den alten Zeiten
nun übten die Könige ihre Gewalt ununter-
brochen in den städtischen Angelegenheiten, im
Weichbilde und im Felde. Später aber, da die
Könige selbst einige Rechte aufgaben, andere
die Massen ihnen wegnahmen, verblieben in dem
einen Theil der griechischen Staaten, z, B, in
Athen, bloss die Opfer den Königen, wo aber
noch von Königthum die Rede sein kann, e. B, in
Sparta, behielten sie nur die Führung der Kriegs-
unternehmungen ausserhalb der Landesgrenze.
Hiermit sind also vier Arten von König-
thum aufgezählt, erstlich das des heroischen
Zeitalters; es war ein willig anerkanntes, er-
streckte sich jedoch nui* auf bestimmte Gebiete;
Feldherr und Richter war der König und zum
Götterdienst befugt ; zweitens das barbarische ;
es ist eine an ein bestimmtes Geschlecht ge-
bundene, gesetzlich begründete despotische (xe-
walt; drittens die sogenannte Aesymnetie; es
ist eine Wahl - Tyrannis ; das vierte in der
Reihe ist das lakonische ; es ist, schlechthin ge-
sagt, eine an ein bestimmtes Geschlecht ge-
knüpfte Feldherrnschaft auf Lebenszeit. Diese
vier unterscheiden sich also von einander in
190 in, 15.
Das abso- solchcr Wcise, und eine fünfte Art von Könie-
luto König- ' ^
thum. thum ist nun die, wo ein Einzelner souveräner
Herr über Alles in derselben Weise ist, wie jede
Völkerschaft und jedes städtische Gemeinwesen
über das öflFentliche Vermögen; diese Art von
Königthum ist ein Gegenstück zur hausväter-
lichen Gewalt. Wie nämlich die hausväterliche
Gewalt gewissermaassen eine königliche Herr-
schaft über den Hausstand, so ist dieses König-
thum eine hausväterliche Verwaltung eines städti-
schen Gemeinwesens und einer oder mehrerer
Völkerschaften. — Nun sind es überhaupt wohl 15
nur zwei Arten von Königthum, auf welche die
Untersuchung sich zu richten hat: das König-
thum dieser letzten Art und das lakonische.
Denn die übrigen liegen meistens zwischen diesen
in der Mitte; ihre Befugniss ist eine geringere
als die der königlichen Allherrschaft und eine
grössere als die des lakonischen Königthums.
Die Untersuchung betriflft demnach wohl folgende
zwei Fragen : erstlich, ist es gut für die Staaten,
dass es einen lebenslänglichen Feldherrn giebt,
und soll dann dieser aus einem bestimmten Ge-
schlecht genommen werden oder eine Reihenfolge
stattfinden, oder aber ist es nicht gut? Zweitens,
ist es gut dass Einer souveräner Herr über Alles
sei, oder ist es nicht gut? Die Erörterung nun
aber über eine so beschaffene Feldherrnschaft
hängt mehr mit den Gesetzen als mit der Ver-
111,15. .191
fassung zusammen; denn in allen Verfassungen
ist eine solche Einrichtung denkbar; wir lassen
sie also fflrs erste bei Seite. Die noch übrige
Weise des Königthums ist dagegen eine wirk-
liche Verfassungsform; diese also müssen wir
betrachten und die darin liegenden Schwierig-
keiten kurz durchnehmen. Auszugehen ist bei
dieser Forschung von der Frage, ob es zweck-
mässiger sei von dem besten Manne oder von
den besten Gesetzen beherrscht zu werden. Die-
jenigen nun, welche es für zweckmässig halten
unter einem König zu stehen, meinen, die Ge-
setze reden bloss von dem Allgemeinen und ver-
ordnen nichts über die einzelnen Vorkommnisse.
Darum sei in jedweder Kunst das Kleben am
Buchstaben der Vorschrift thöricht; — sogar in
Aegypten sei es nach viertägiger Frist den
Aerzten freigestellt von der Vorschrift abzu-
weichen; wer es jedoch früher thut, thut es
auf eigene Gefahr — ; demnach sei es klar
dass aus demselben Grande die auf dem Buch-
staben und den Gesetzen beruhende Verfassung
nicht die beste sein könne. — Hiergegen lässt
sich jedoch erwiedern, dass doch den regieren-
den Personen jene allgemeine Auffassung auch
nicht fehlen dürfe, und dass Etwas, dem Leiden-
schaft gar nicht beiwohnt, besser sei als Etwas,
mit dem sie verwachsen ist. Im Gesetz nun
giebt es keine Leidenschaft, während sie sich
192 lil, 15,
unvermeidlich in jedem menschlichen Gemtith
findet. Hierauf wiederum möchte man vielleicht
entgegnen, dass dafür aber auch der persönliche
Herrscher richtigere Entschlüsse über die einzel-
nen Fälle fasse. — Klar ist nun jedenfalls, dass
der persönliche Herrscher auch Gesetzgeber sein
und Gesetze bestehen müssen, die jedoch da
wo sie am Ziele vorbeischiessen, ausser Kraft
treten; in allen anderen Fällen nämlich müssen
sie in Kraft bleiben. Ueberall nun aber wo das
Gesetz entweder überhaupt nicht oder nicht
richtig zu entscheiden vermag, soll da ein einzi-
ger Bester die Gewalt haben, oder vielmehr
Alle? jetzt ist es ja wirklich so, dass auch wo
es sich nur um Einzelfälle handelt, Alle zu-
sammenkommen um zu richten, zu berathen und
politische Entscheidungen zu treffen; einzeln ge-
nommen wird jeder von ihnen ohne Unterschied
vielleicht minder gut sein als jener einzige Beste.
Aber der Staat besteht ja aus Vielen; ungefähr
s. oben s. 166. wic ciu Pickuick-Schmaus prächtiger ist als ein
gewöhnlicher, von Einem veranstalteter. Aus
diesem Grunde beurtheilt auch eine Masse viele
Dinge besser als ein Einziger, er sei wer er
wolle. Ferner verdirbt das Massenhafte nicht
so leicht. Wie die grössere Wassermasse, so ist
auch bei Menschen die Menge dem Verderbniss
weniger ausgesetzt als die Wenigen. Jener Einzige
kann, wenn er von Zorn oder einer ähnlichen
III, 15. 193
Leidenschaft ergriflfen ist, unmöglich ein unbe-
fangenes Urtheil fällen; dagegen müsste es schon
hochkommen, wenn Alle, welche die Menge bilden,
in Zorn gerathen und deshalb Fehler machen
sollten. Unter der Menge aber seien hier die
Freigeborenen verstanden, und zwar solche, welche
nichts thun ohne das Gesetz zur Seite zu haben,
ausser in den Fällen wo das Gesetz nothwendig
ungenügend ist. Oder wenn diese Bedingung nicht
leicht bei einer Menge zu finden ist, so setze man
einige als Männer und Bürger Wackere voran«, und
frage: Ist jener Einzige als Herrscher oder vielmehr
diese grössere Anzahl von lauter wackeren Männern
weniger von Verderbniss bedroht ? Ist nun nicht
offenbar darauf zu antworten: die grössere Anzahl?
Aber — wird man sagen — diese grössere Anzahl
geräth in Parteikämpfe, während es bei dem
Einzigen keine Parteiunggiebt. Dagegen jedoch
ist vielleicht dieses in Anschlag zu bringen, dass
wocA der Voraussetzung Alle in jener grösseren
Anzahl ebenso sittlich vortrefflich sind wie der
Einzige, mithin sie auch durch die Parteiung sich
nicht 0u Schlechtem hinreissen lassen werden.
Sonach würde, wenn wir die Herrschaft jener
grösseren Anzahl von lauter braven Männern als
Edelherrschaft und die des Einzigen als König-
thum setzen sollen, die Edelherrschaft flir die
Staaten dem Königthum, sowohl dem auf Truppen-
macht gestützten wie dem ohne dieselbe beste-
13
194 m, 15.
henden, vorzuziehen sein, wofern man nämlich
eine grössere Anzahl, die auf gleicher Stufe der
Tugend stehen, zur Verfügung hat. Und bloss
hierin lag wohl der Grund weshalb man in den
älteren Zeiten sich von Königen regieren Hess,
weil nämlich nur selten Leute mit einem hohen
Grade von Tugend zu finden waren, zumal da
man damals in kleinen Städten wohnte. Dieses
ist auch noch daraus zu ersehen, dass man die
s. oben s. 188. Köuigc auf Gruud erwiesener Wohlthaten erkor,
mithin wegen einer den braven Männern eigen-
thtimlichen Leistung; wären also viele brave
Männer vorhanden gewesen, so würde man nicht
Einem Kimige, sondern den Vielen die Herrschaft
übertragen haben. Als es aber dahin kam, dass
Viele zu einer ' gleichen Stufe von Tugend sich
erhoben, Hessen sie sich die Könige nicht länger
gefallen, sondern sahen sich nach einem nicht
monarchischen Gemeinwesen um und richteten
eine bürgerthtimliche Verfassung ein. Darauf,
als die Menschen schlechter wurden und ihre ^
öffentliche Stellung zum Geldmachen benutzten,
entwickelten sich begreiflicher Weise hieraus
auf einem oder deni anderen Wege die Oligar-
chien; man bekleidete nämlich den Reichthum
mit Ansehen. Von den Oligarchien geschah
dann der Uebergang zunächst zu Tyrannenherr-
schaften und dann von den Tyrannenherrschaften
zur Demokratie. Da nämlich die Oligarchen '
m, U. ^ 195
aus niedriger tlabsucht ihre eigene Zahl immer
mehr einschrumpfen Hessen, machten sie dadurch
die ihnen gegenüberstehende Menge allzu stark,
so dass sie sich endlich auflehnte und Demokra-
tien entstanden. Jetzt zumal, nachdem die Städte
zu einer solchen Grösse sich entwickelt haben,
kann wohl nicht leicht noch eine andere Ver-
fassungsform als Demokratie bestehen. — Wenn
nun aber trotzdem Jemand es am Besten für die
Staaten hält, dass sie Könige haben, wie soll es
dann mit den Kindern werden? Soll auch auf
das ganze Geschlecht die Königswürde über-
gehen? Aber wenn darunter sich nun solcher-
lei Persönlichkeiten finden, wie schon manche
vorkamen, so ist das doch verderblich. Aber —
wird man sagen, — in solchem Falle wird der
König, wenn er freie Hand hat, seinen Kindern
die Nachfolge nicht übertragen. Aber — ist zu
erwiedem — hierin kann man ihm schon nicht
so leicht trauen. Denn dergleichen kommt Jedem
hart an und setzt eine über die menschliche
Natur hinausgehende Tugend voraus. — Auch
in Betreff der Truppenmacht entstehen Schwierig-
keiten; soll der zum Königthum Berufene eine
militärische- Kraft zur Vetttigung haben, mit
welcher er die nicht gutwillig Gehorchenden
zwingen kann oder, wenn ihm eine solche Militär-
macht als unverträglich mit der dem Königthum
wesentlichen Freiwilligheit des Gehorsams versagt
196 m, 16.
wirdj wie ist er dann im Stande die Regierung
zu fiihren? Denn auch in dem Fall dass seine
Befugniss an das Gesetz gebunden ist und er
nichts nach eigenem Belieben gegen das Gesetz
thut, muss ihm dennoch eine Macht zu Gebot
stehen, mit der er die Gesetze wahren könne.
Bei einem König solcher gesetzmässigen Art
nun mag sich wohl ohne Mühe eine die Schwie-
rigkeit hebende Begrenzung finden lassen. Aller-
dings nämlich muss er eine militärische Kraft
haben, diese Kraft aber muss so bemessen sein,
dass sie zwar stärker ist als jeder einzelne Bürger
für sich und auch als mehrere zusammen, jedoch
schwächer als die vereinigte Btirgermenge; in
dieser Weise pflegte man auch in alten Zeiten
die Leibwachen zu gewähren, wenii man einmal
für den Staat einen sogenannten Aesymneten
oder Tyrannen bestellte, und noch als Dionysios
Leibwächter verlangte, machte Jemand den Syra-
kusern den Vorschlag, ihm nur so viele zu geben.
Ueber den König aber, der nach eigenem 16
Belieben Alles thut, kommt jetzt die Betrachtung
an die Reihe und haben wir die Untersuchung
anzustellen. Denn der sogenannte gesetzlich be-
s. oben s. 190. schräuktc König bildet, wie gesagt, keine eigen-
thümliche Verfassungsform, da ja in allen Ver-
fassungen, z. B. auch in Demokratie und Aristo-
kratie, eine lebenslängliche Feldherrnschaft denk-
bar ist, und in vielen nicht monarchischen Staaten
in, 16. 197
betraut man auch mit der gesammten bürger-
lichen Administration einen Einzigen. Ein solches
Amt giebt es z. B. in Epidamnos und, mit etwas
beschränkterem Gebiet, auch in Opus. Was nun
aber die sogenannte königliche Allherrschaft an-
geht, d. h. diejenige in welcher der König nach
eigenem Belieben über Alles gebietet, so meinen
Manche, es sei sogar naturwidrig, wenn da wo f|g*^Jbsoiu?
der Staat aus Gleichartigen besteht, ein Einziger -^Siums!^"
Herr über alle Bürger sein solle. Denn für die '
von Natur Gleichartigen müsse naturgemäss das-
selbe Recht und dieselbe Gebühr bestehen. Also,
wenn für Menschen ungleicher BeschaflFenheit
Gleichheit in Nahruug und Kleidung körperlich
schädlich ist, so gilt dasselbe auch hinsichtlich
der bürgerlichen Ehren; und ebenso muss nun
auch die Ungleichheit für Gleiche schädlich sein.
Mithin verlangt das Recht, dass unter Gleichen
Niemand mehr gebiete als gehorche; und so ver-
langt es denn auch, dass Jeder nach einer be-
stimmten Reihenfolge bald gebiete bald gehorche.
Wo aber eine solche Reihenfolge besteht, da ist
schon Gesetz; denn Gesetz ist nichts anderes
als abgemessene Ordnung. Demnach sei es
Wünschenswerther dass das Gesetz herrsche, als
ein Einziger aus der Mitte der Bürger. Nach
derselben Ansicht soll man denn auch, selbst
wenn es sich als zweckmässig herausstellt, dass
bestimmte Personen Gewalt haben, diese nur zu
198 III, 16.
Gesetzeshtitern und für die Gesetze thätigen
Dienern bestellen. Denn allerdings sei es bei
der unvermeidlichen LücJcenhc^tigJceit jeder Gesetz-
gebung nothwendig, dass gewisse Behörden be-
stehen, nur, sagt man, sei es nicht gerecht, dass
es ein Einziger sei, da ja dech Alle gleichartig
sind. Hier wendet vielleicht Jemand ein: gegen
die Lückenhaftigkeit des Gesetzes helfen Beamte
. nicht, denn wo das Gesetz ausser Stande scheint,
etwas Bestimmtes zu verordnen, wird auch wohl
kein Mensch im Stande sein, sich ein festes
Urtheil zu bilden. Darauf ist jedoch zu erwie-
dem, dass das Gesetz es sich eben angelegen
sein lässt, eine solche politische Erziehung zu
geben, dass es nun die Beamten damit betrauen
kann, das Weitere nach gerechtestem Ermessen
zu entscheiden und auszuführen. — Ferner lässt
das Gesetz Raum tur nachträgliche Verbesserungen,
da wo die Erfahrung etwas Zweckmässigeres
als die ursprünglichen Bestimmungen an die
Hand giebt. In der That, wer will dass das
Gesetz herrsche, der will dass allein Gott und
Vernunft herrsche, wer dagegen will, dass ein
Mensch herrsche, der bringt zugleich das Thier
hinein. Denn erstlich ist die Begierde etwas
Thierisches, und auch der Zorn lenkt Herrscher
vom geraden Wege ab, selbst wenn es die besten
Menschen sind. Vernunft ohne Begehren ist also
nur im Gesetz zu finden. — Das von den Künsten
III, 16. 199
entnommene Beispiel aber ist wohl Täuschung, s. oben s. 191.
dass es nämlich misslich sei, sich nach dem .
Buchstaben curiren zu lassen; vielmehr verhält
es sich damit so, dass hier allerdings es vorzu-
ziehen ist, sich kunstverständigen Personen an-
zuvertrauen, jedoch nur deshalb, weil dieAerzte
nicht aus persönlichen Rücksichten Sachwidrig-
keiten zu begehen brauchen, sondern wenn sie
die Kranken gesund gemacht haben, so streichen
sie einfach ihr Honorar ein; in den Staatsämtern
dagegen pflegen die Menschen Vieles Anderen
zum Aerger und zum Dank zu thuii. Wirklich
würde man ja auch, da wo Aerzte verdächtig
sind mit den Feinden des Kranken sich einge-
lassen zu haben und diesen nun um ihres Ge-
winnstes willen zu Grunde zu richten, lieber eine
Behandlung nach dem Buchstaben wünschen.
Auch lassen ja die Aerzte, wenn sie selbst krank
sind, andere Aerzte holen, und die Turnmeister,
wenn sie selbst turnen, andere Turnmeister, offen-
bar weil sie hier nicht im Stande sind, wahr-
heitsgemäss zu entscheiden, da sie in eigener
Sache entscheiden müssten und befangen sind.
Um also zu einem von jeder subjectiven Befangen-
Jieit freien, ohjectiven Recht zu gelangen, wendet
man sich an die Unparteilichkeit des geschrie-
benen Gesetzes. Denn das Gesetz ist ja unpar-
teiisch. Ferner ist zu erwägen, dass die auf
der Sitte beruhenden Gesetze mehr Gewicht haben
200 in, 16.
und gewichtigere Dinge betreffen als die auf
dem geschriebenen Buchstaben beruhenden ; wenn
also auch ein persönlicher Herrscher mehr Sicher-
heit bieten sollte als die geschriebenen Gesetze,
so doch keinenfalls mehr als die auf der Sitte
beruhenden. — Aber ferner ist es auch gar nicht
leicht möglich, dass ein Einziger seine Aufsicht
auf so Vieles richte. Es wird also eine grössere
Anzahl durch ihn eingesetzter Beamten nöthig
werden ; und was ist dann nun der Unterschied,
ob es gleich von Anfang an so besteht, oder
jener Einzige es in solcher Weise einrichtet?
8. oben s. 166. — Femcr, was schon früher angetiihrt ist, wenn
der wackere Mann, weil er besser ist als andere.
Recht auf die Herrschaft hat, so sind doch wahr-
lich zwei Brave besser als der Eine. Hier triflFt
ja der homerische Spruch zu [Uias 10, 225]:
* Gehen wo zwei mit einander, woM denkt dann
dieser für jenen und der Wunsch des Agamem-
non \I.lias 2, 372] : * Ständen mir doch zehn solche
Berather zur Seite\ — Auch sind die Behörden,
z. B. der Geschworene, schon jetzt souverän ent-
scheidend tiberall wo das Gesetz seiner Natur
nach nichts zu bestimmen vermag, da aber wo
das Gesetz es vermag, wird doch wohl all^itig
zugegeben, dass es am besten sei, wenn das Ge-
setz herrsche und entscheide. Nur dieser Um-
stand, dass nun einmal bloss gewisse Dinge sich
unter gesetzliche Fassung bringen lassen, bei
III, 16. 201
anderen aber es unmöglich ist, ruft den Zweifel
und die Frage hervor, ob es Wünschenswerther
sei, dass das beste Gesetz herrsche oder der
beste Mann. Gesetzgebung nämlich über die
einzelnen Dinge, welche den Gegenstand politi-
scher oder richterlicher Berathung bilden, gehört
zu den Unmöglichkeiten. Die Gegner des König-
thums leugnen also durchaus nicht, dass in solchen
Fällen die Entscheidung eine persönliche sein
müsse, nur wollen sie dass es nicht Eine Person
sei, sondern Viele. Man giebt allerdings zu, dass
jeder unter dem Einfluss des Gesetzes gebildete
Beamte gut entscheide, aber man meint, es wäre
doch wohl seltsam wenn Einer, der zum Be-
urtheilen nur zwei Augen und zwei Ohren,
zum Ausführen nur zwei Füsse und zwei
Hände hat, tüchtiger sein sollte als Viele mit
vielen Sinneswerkzeugen und Gliedern. Auch jetzt
ja vervielfältigen die Einzelherrscher ihre Augen,
Ohren, Hände und Füsse. Sie nehmen sich
nämlich die ihrem Regiment und ihrer Person
Befreundeten zu Mitregierenden. Wenn diese
nun keine wahren Freunde sind, so werden sie
nicht im Sinne des Einzelherrschers handeln,
und dann wird seine Regierung unhoMbar. Haben
sie aber wahre Freundschaft für seine Person
wie ttlr sein Regiment — nun, in der Freund-
schaft gilt vollständige Gleichheit. Indem er also
diese Freunde zur Herrschaft befugt glaubt, erkennt
202
111,17.
Vertheidi-
gimg des
absoluten
König-
thums.
er damit zugleich an, dass alle vollständig Gleichen
gleichen Antheil an der Herrschaft haben mtlssen.
— Diese Gründe sind es also ungefähr, welche
die Bestreiter des Königthums geltend machen.
Vielleicht jedoch verhält sich alles dieses 17
nur für gewisse Menschen in solcher Weise, für
gewisse andere aber nicht. Es giebt nämlich
von Natur ein besonderes Rechts- sowohl wie
Nützlichkeits-Princip für Herrenthum, ein anderes
für Königthum und wiederum ein anderes für
den bürgerthümlichen Verfassungsstaat. Für
Tyrannis jedoch giebt es naturgemäss dergleichen
nicht, so wenig wie für alle übrigen Verfassungs-
formen, welche Ausschreitungen sind; denn diese
entstehen auf widernatürlicliem Wege. Soviel nun
ist jedenfalls aus dem Gesagten klar, dass aller-
dings unter vollständig Gleichen es weder mit
der Nützlichkeit noch mit dem Recht verträglich
ist, dass ein Einziger souveräne Macht über Alle
habe, weder wenn keine Gesetze vorhanden sind
und er selbst gleichsam das Gesetz darstellt,
noch wenn Gesetze vorhanden sind, weder wenn
er ein Braver unter Braven, noch wenn er unter,
nicht Braven ein nicht Braver ist, auch nicht
wenn er eine höhere Tugendstufe einnimmt,
letzteres mit Ausnahme eines gewissen Falles.
Dieser Fall ist nun näher anzugeben, obwohl
H. oben s 185. er gewissemläassen schon früher erwähöt worden.
Zuvor jedoch ist es nöthig zu bestimmen, welches
111,17. 203
der Boden für Königthum, welches der für Ari-
stokratie und welches der für bürgerthtimliche
Verfassung ist. Den Boden für Königthum nun
bildet eine so geartete Bevölkerung, dass sie
sich einem durch Tugend zu staatlicher Ober-
leitungberufenen Geschlecht untergebe; den Boden
für Aristokratie bildet eine Bevölkerung, die in
einer den Freigeborenen gemässcn Weise sich
beherrschen lässt von Männern, deren Tugend
sie zur Oberleitung in staatlichem ßegimient be-
ruft ; den Boden für btirgerthümliche Verfassung
bildet eine Bevölkerung, in welcher eine zahl-
reiche kriegerische Klasse naturgemäss auf-
kommt und in welcher sich ein Wechsel des
Gebietens und Gehorchens durchführen lässt auf
Grund eines Gesetzes, welches nach Maassgabe
der Würdigkeit die Aemter unter die Bemittelten
vertheilt. Wenn demnach auf dem eigentlichen
Boden des Königthums ein ganzes Geschlecht
oder unter den übrigen Arten von Bevölkerungen
ein Einziger aufsteht, der so durch Tugend her-
vorragt, dass die seinige vorzüglicher ist als die
aller Anderen, dann ist es Recht, dass jenes Ge-
schlecht ein königliches und allseitig souveränes
und jener Einzige König . sei. Denn, wie schon s. oben s. i63.
vorhin gesagt, es folgt dieses einerseits schon
aus dem Rechtsgrundsatz, welchen die Vertreter
der verschiedenen Verfassungen, sowohl der ari-
stokratischen als der oligarcbisohen als auch
204 III, 18.
wiederum der demokratischen vorzubringen pfle-
gen. Alle nämlich gründen ihre Ansprüche auf
Vorzug, jedoch nicht auf denselben Vorzug, son-
s. oben ö. 158. dem SO wie es vorhin ausgeführt ist. Und
ausserdem ist es ja wahrlich nicht statthaft,
einen solchen Mann hinzurichten oder zu ver-
bannen, oder das Scjierbengericht gegen ihn an-
zuwenden, oder ihm zuzumuthen, dass er an
seinem Theil sich auch befehlen lasse. Denn
des Theiles Natur ist es nicht, vorzüglicher
zu sein als das Ganze, bei dem Manne
aber, der eine solche tiberschwängliche Vor-
trefflichkeit besitzt, ist das allerdings der Fall;
s. oben s. 185. CS bleibt also nichts anderes übrig als dass man
einem solchen Manne gehorche und er nicht bloss
abwechselnd an seinem Theil, sondern schlecht-
hin Souverän sei. — Die Bestimmungen über das
Königthum, welcherlei verschiedene Arten es
umfasst, ob es itlr die Staaten und ttir welche
und unter welchen Bedingungen zuträglich ist
oder nicht, seien also in dieser Weise gegeben.
Da wir nun drei Staatsformen als rechte an- 18.
erkennen und unter diesen nothwendig diejenige
die beste sein muss, welche von den besten
Männern gehandhabt wird, d. h. eine solche, die
in, dem Fall ist, einen Alle insgesammt über-
treffenden Einzigen oder ein ganzes Geschlecht
oder eine zahlreiche Klasse mit hervorragender
Tugend zu besitzen, und wo der eine Theil so
m, 18. 205
zu gehorchen und der andere Theil so zu ge-
bieten versteht, wie es zum wtinschenswerthe-
sten Dasein erforderlich ist, und da nun ferner
in den ersten Vorträgen erwiesen worden, dass a. oben s. 139.
für den besten Staat Bürgertugend und Mannes-
tugend zusammenfallen: so ergiebt sich deutlich,
dass auf dieselbe Weise und mit denselben
Mitteln, die zur Entwicklung eines vollkommönen
Mannes dienen, man auch wohl einen von einer
Edelklasse oder von Königen regierten Staat her-
stellen könnte. Erziehung und Sitten also, welche
den vollkommenen Mann bilden, werden fast
identisch sein mit denen, welche den Bürger im
Verfassungsstaat und im Königthum bilden. Nach
dieser Auseinandersetzung müssen wir nunmehr
den Versuch machen über die beste Verfassung '
zu reden und darzulegen, was die ihr eigen-
thümliche Weise der Entwicklung und Form der
Einrichtung sei.
Verzeichniss
der Abweichungen von dem Text der zweiten kleinen
Bekker'schen Ausgabe (Berolini, typis et impensis Ge-
orgii Reimeri a. 1855. 8.), welche, zum TJieil nach dem
Vorgang anderer Bearbeiter, in der vorstehenden
Uebertragung befolgt sind :
1,1, p. 1, 6 Bekker: Die Worte 37 xaXovf.ihVTj noku; xai,
welche sich auf die doppelte Bedeutung der
griechischen nvhg als 'Stadt' und *^Staat' be-
ziehen und daher im Deutschen nicht nach-
gebildet werden können, sind fortgelassen,
p. 1, 15 : xara fitQog xai ä^/o/nEvog fj, noXmxov. (Vgl.
p. 92, 30 und für das nachdrücklich tempo-
rale oxav 19, 26).
I, 2,p. 2, 10: noislv oQyof^iavov, (pvosi dovXov,
p. 3, 14: 17 d^uvmQXBia rekoq' xcd yuQ ßbkuaxov.
I, 4, p. 5, 14 : xal t(o oixovofxtxio,
I, 6, p. 8, 13 : of.ioXoyiu ng lonvy t(p' (o rä xurä 7i6ka/,iov xqu-
wv/nsi'a Tüjv xQawvriwv sZvai, tovxo (das Ver-
kennen der Infinitivconstruction mit l(p' (o
nach Wörtern, welche eine Uebereinkunft be-
zeichnen, scheint die Aenderung iv statt i(fj'^
und die Hinzufügung von (paaiv in der Vul-
gata veranlasst zu haben),
p. 9, 18 : noietv, noXkdxig [xivwi ov Svvaiai.
207
I, 8, p. 1 1 , 1 \ rj iri iafj<ng noXXä
p. 1 1, 17 : QaCTCüvag xurä ttjp uiQsaiy
p. 1 2, 3 : svSsiaiEQOP
p. 12, 15: d^Xop on oiTjriov
p. 12, 27 : //.tQog ioriy, x(x0^b Sei
p. 12, 28: di]auvQia/x6g xirj/xdjwv n()bg
I, 9, p. 13, 26 : ovx san (pvoei xr^ /ÄSTußkTjnx^ ^ xujiTjhxri.
p. 13, 31 : xs/WQiOf^ivoL noAXwi' ndhv xul tJSQOi kxtQiDv
(die Hinzufügung eines Wortös für 'Fehlen
ist im Griechischen unnöthig, da dieser Be-
griff schon in xsyußQiafidvoi liegt).
p. 1 4, 1 : noiat xul vvy tüv
p. 14, ^: wv bvbÖH xal ix7ib(A.n6iv
p. 14, 14 : €Vf.iSTa/HQiaToy nQoq w ßuoru^iv, olov aiSfjQog
p. 1 4, 25 : noirjnxTi S'' slvut rov nXovrov ' xal y(i(i /qtj-
fidiuiv,
p. 15, 1 : ov Ttaviiog uXk^ ^ dta fisraßoX^g,
p. 15, 16 : TTJg S^olxovofuxrjg av /Qrjfianouxrjg
p. 15,22: ixavb^a xfj /jjrjfianaax^, Trjg yät) avtjjg Aiii
xTi^GSiog /Q^aig, ukX' ov
1, 11, p. 17, 15 : ro 71£(jI r« xnj*^ ef4,nsiQ0v
p. 17, 32 : jLisvaßkrjnxTJg, ovoa uno y^g
p. 19, 10 : ro /Liivwi €V()7jfj.a GdkEio
I, 12, p. 19, 18 : yvvaixbg oqxuov xal rtxywv
I, 13,p. 21, 3: Twy uXkujy, uiai* tnkl cf'vaBi nksiw zd uQyovxa
xal aQ/oi-ieva {akXov yd^ igonov m iXsvih^ov
Tov SovXirv ä(j/H xal w tt(}^tv wv drjXkog xul
dv^^ jiaMg) xal näoiv twndQyu fA.tv t« (.16-
fiia t^g xfjvyrigj "^^' iwjidfyyai ÖiaifüQOVTwg (6
/.liy yd(j SovXog oXiog ovx ^£t rb ßovksonxov,
Tu dt &7ß;v syu fiiv, aXA' äxvQov ' b dt natg
tyjki fibv^ dXX' äiBkeg), bfwliog Toivvv tyeiy xal
tisqI tag ^i^ixdg aQSTag vnoXfjnTtoi'y dttv fitv
fiETtysiv ndviag, dXX* ov rbv avxbv Tfjonoy,
208
aXk^ ooov avayxatov htdoTM TiQog ro uvtov
SQyov,
1, 1 3, p. 22, 8 : äW ov wv Tjjy diSaaxahxijy
II, 2, p. 23, 26 : sn de nQoq, rb rtkog
p. 24, 18: Ttxrovag ijauy. ixd ds ßbknov oiJno^ £/biv ' xal
7i6(}i rijy r(oiP(x}vlup rriv nokiuxrjy drjXoy wg
p. 24, 23 : Da für 6i (ULjuaiadai eine annehmbare Ver-
muthung bis jetzt nicht vorliegt, so be-
schränkte sich die Uebersetzung darauf,
eine nicht unmögliche Satzverbindung zu
versuchen.
II, 3, p. 26, 2: TU tfwv XdyHv'txaijTov ro airo, firjötv iiQogu-
yo^bioi'Tu, dioyiXiim'
p. 26, 7 : uQoq St Tovroig stsqov (pQUTOfju (oben S. 60 Z.
12 V. u. lies : ^Der Eine seinen Sohn, der An-
dere seinen Bruder ).
II. 4, p. 27, 23 : (Tv/,ißuiv€L xul xavii ttjv olxstoirjTa
p. 27, 32: xul yuQ yivuHSxsiv
II, f>, p. 28, 1 6 : zag yt xn^as^ xoivag alvai ßtknoi' xavä mg
XQi^OBig
p. 29, 18: x«)' (fcjyt^watv scfjoSujüVy zalg ayo()alg xum Trjy
yjMQVLv (Zu ayoqalg vgl. Xenophon, Anal[)a8is
6, 6, 3).
p. 29, 26: ro q)iXo/Qi]fzawv xal rb (piXon/uoVy insl (pi-
Xoval ys
p. 29, 32 : ö(jjq)QoovvTig fj.iv tw n€()l
p. 30, 1 : iXsvx^sQLOxrjTog de tw nsQt
p. 31, 1 : TOVTO avTo ayvoelv
p. 31, l\xal wtg noXXdtg sßyeoiVy iv olg (Vgl. Hermes
5, 301)
p. 3 1 , 6 : /u jy (xs^i^Mv uv xal /wqiOjüv
p. 31, 15 : ^ xu&^ sxuaiop löiag
p. 31, 18: (f/vhixMv; ^ ri f^a&ovrag vnofiavovm t^v «()-
y^i^ amuJVy aay /ä^ n
209
II, 5, p. 32, 1 : Die von Bekker eingeklammerten lückenhaf-
ten Worte xwi' €l xoival al xvijasig ycal cd rwv
yswQycüv yvvatxsg sind, da ihre sichere Er-
gänzung mit unseren jetzigen Mitteln un-
möglich scheint, aus der Uebersetzung fort-
gelassen.
p. 32, 25 : /,i^ rdiv nXsiavwv, sl jLirj ndvrwv^
II, 6, p. 34, 20 : uxns xai tisqI mg xv^asig ävayTcatov avräg
slvcu Tavrag.
p. 35, 7 : diafjLBvsiv xam zi nkijd^og
p. 35, 8 : sl/ov ndvTsg
p. 35, 12 : (prjal yoQ (Jj}, (ootisq
p. 36, 17 : ndhv iowg ix wv SevriQOv
p. 36, 19 : ToTg sx raiv TSTaQTWVy ix da mv tstuqtov fiovoig
indvayxsg
II, 7, p. 38, 25 ; diä tuvttiv f,i6vov, akXd xetl iva /aigwoi
p. 39, 31 : Twv ovv toiovtüdv äxrj fxaXkov
p. 40, 11 : oiDC sinsQ^ &sl drifxooiovg slvcu wvg m xoivä
iQya^ofxivovg xul xu&dnaQ iv^EniödfxvM (Die
Verkennung des bei Aristoteles häufigen el-
liptischen Gebrauchs von aX)C sinsQ scheint
zu der Verwirrung in der Vulgata geführt
zu haben; vgl. p. 46, 2; 228, 11 und Bonitz,
index Aristotelicus 217a 56)
II, 8, p. 40, 20 : noXweksl bti' iöd'rjxog evrsXovg
p. 42, 1 4 : yeuiQy 7(081 sig Svo olxlag
p. 42, 1 5 : T^c y^g xüv airtav xkriQixiv
p. 43, 29 : iawdTiaaVy oXiyovg slvav xal TToig rv/ovzag xal
avoijTOvg
p. 44, 10 : Totg vnaQXOi^oiv aTiatd^slv
II, 9, p. 47, 11 : slvaL noxs roig ^naQtuiiug xal (iVQiovg,
p. 48, 5 : diMixivHv xaxa ramd.
p. 49, 1 ist Tov uvTOv wohl nur ein Druckfehler statt rö
aircbv der früheren Bekker^schen Ausgaben.
14
210
II, 9, p. 49, 31 : (ngaTi^yotg didioig ^ vavoQ^la
11.10, p. 52, 6 : vnaQ/€i xal Toi tovtwv
p. 52, 26 : oacoOf^lag, ^v ncad-anom nolXaxu; iwv dvvaxMv
OL av (171 oixag
p. 52, 29 : (pikovQ nvagylav noiäiv
11.11, p. 53, 16 : noXtislag sv ovvTBiayfisvijg ro top d^fiov Ixov-
Tce dwLfievsiv
p.53,21 : TiAjyi/, ov yjBlQov^ oi (.lev
p. 53,26: wyov, slq de ysQovolav ix nXovaiwy aiQswvg
(Vgl. Job. Brandis im RheiniBchen Museum
11, 596)
p. 53, 3 1 : ngbg t^v vnodsoiv vnsvavxuüv v^g (Vgl. p.
44, 24)
p. 54, 4: xai wvrov 6 d^iog
p. 56, 18 : xoivozEQOv tb yoQ xal, xa&dneQ sino^isv, xdX-
hov Sxu(JTOv anoTsXslvui rwv sQycüv xal dvirrov.
p. 55, 22 : oQLiTm fTtdoiv ex(psvyovai (Vgl. p. 53, 18)
II, 12, p. 58, 11 : Tovg fis&vovrag, av n nxaiauuji] nXslcj
III, 2, p. 60, 31 : noXinxwg xai na/Jwg
p. 61, 11 : Sovkovg /nBwixovg (Vgl. Heraklitische Briefe
p. 155)
III, 3,p. 61, 28: ouolwg ov rrjg noX&jog
III, 4, p. 63, 27 : tl yoQ Svvawv fS anavxwv
p. 64, 2 : avayxalov bfioiovg slvai rovg Bv rfj
p. 64, 5 : yvvouxog xai ix dsonoTOV
p. 64, 13 : (pQOvifJLOVy rbv Ss noXirTjv oix uyayxatov
p. 64, 24 : noXlrov ioxal Soxl/uov
p. 64, 28 : Soxst äf4(pw stsqu xai ov xaircd
p. 65, 23 : xai yaQ &QyovTog xai aQ/o(xivov fxsv
III, 5, p. 66, 24: iwv ävayxaiwv. rmv (f' aXhav ol (ibv ivi
p. 67, 11 : noXixag xovg roiomovg, nag^ ohyav&Qwniav
ovro) xQCüvvai rolg vofioig, evnogovvrsg
p. 67, 19 : jiir, /neTEywv, aXX* sanv onov rb toiovToy im-
X€XQVftf4iyov icfvlv, anavrjig /Aqiv ixüV awoi-
k
211
xomnov. uoteqov /xsv ovv ersQuv rj ttjp aviijv
III, 6, p. 68, 4 : nsQL avS^Qionov xam Trjv ycoivcoviav
p. 69, 9 : iaxonsi to ixslvov, vvv ös diä
III, 7, p. 69, 29 : xoix; f.i'^ f^STS/ovrag rj dsl
III, 8, p. 71, 12 : Tag gijd^siaag noXirsiag airiag yivsa&uL
III, 9, p. 72, 28: (fQOvn^ovmv sifvofziag nokeuig fxuig. rj xal (pa-
VBQOV ou
p. 72, 31 : TCüv änw&sv avf^fxa/^iwv
III,' 1 1 , p. 75, 9 : s/Hv svnoQiav
p. 78, 5 : dianoQi^&sv' äfxa yuQ xai öfioUog
III,12,p.79, 14: xav* uqstiJv, si xat nXstov vnsQtyjsi oXmg aQSTrj
fisyd&ovgy eirj av av/ußXi]rd, xoaovds yoQ
III, 13, p. 81,21 : «yiayrcfv — anoQovac yoQ uvsg noxsQov rw
voftod'STi] vof40&£Ti]TioVj ßovXofiivM ri&Bod^ut
Tovg OQ&ordvovg vofxovg, uQog to twv ßekni-
vcüv av/Äq)SQOv ij uQog to twv nXsiovtov — oxav
avf4.ßulvfj TO TiSyß'sv.
p. 83, 12 : Hinter tqotiov ward der Satz Z. 18 cSore 6ia
TOVTO bis Z. 20 Tomo dQwoiv heraufgerückt,
p. 83, 30 : on anhag öLxuiov
III, 14, p. 84, 22 : sl fjiri sv nn, xuSutisq inl tmv
p. 85, 23 : du\ fjisv vö deanouxal slvou WQuvvixaly dtd de
TO aiQBicd
III, 15, p. 86, 31 : v6f4.(jüP sysxai fxällov ^ noXiTslag
III, 16, p. 89, 31 : dionsQ ovdiva (.laXkov
p. 91, 20 : rf ßihxov s/m ng
III, 17, p. 91, 31 : qwaei dtanonxov xul äXko ßaoiXixov
p. 92, 16 : nokiTLXov di nX^d^og^ sv m nscpvxsv iyyivsaS^ai
nX^&og
III, 18, p. 93, 9 : Twv f^sv aQysoS'ai Svvaixsvwv
p. 93, 17 : noliuxov xal ßaaiksvxov, di(xiQiöf.isv(Jtiv
212
Da der Zweck dieser Arbeit auf lesbare Wieder-
gabe des aristotelischen Textes nach seinem überlie-
ferten Bestände gerichtet war, so wurden die mit der
sogenannt höheren Kritik zusammenhängenden Fragen
über den Ursprung jener üeberlieferung nur bei be-
sonders dringlich erscheinenden Anlässen (s. oben S^
172 und S. 121) kurz berührt. Der aufmerkende Le-
ser wird jedoch auch ohne ausdrücklichen Hinweis Be-
lege genug gefunden haben zur Rechtfertigung der in
der Vorbemerkung ausgesprochenen Ansicht, dass uns
kein von Aristoteles allseitig ausgearbeitetes und ver-
öffentlichtes Werk vorliegt, sondern nur eine Reihe vor-
läufiger Aufzeichnungen, deren Bestimmung zum Ge-
brauch bei seiner mündlichen Lehrthätigkeit vod vorn
herein wahrscheinlich war und durch die neueren, der
aristotelischen Litterärgeschichte zugewandten For-
schungen immer deutlicher hervortritt. Es liegt in der
Natur der Sache, dass bei der Redaction solcher nach-
gelassener Papiere des Aristoteles alle die Uebelstände
in vollem Maasse eintraten, welche z. B. bei der Her-
ausgabe der Hegerschen Vorlesungen, denen ja auch
von Hegel selbst verfasste Hefte oft zu Grunde liegen,
nicht ausgeblieben sind. Um die aus einer derartigen
Üeberlieferung entstandenen Schwierigkeiten wenig-
stens in so weit zu überwinden, dass im Verhältniss
der einzelnen Sätze zu einander eine durchsichtige Ge-
dankenverbindung hergestellt und ein zusammenhän-
gendes Lesen ermöglicht werde, musste zuweilen die
213
anderswo berechtigte, bloss die einzelnen griechischen
Wörter auf deutsch zuwiegende üebersetzungsweise
aufgegeben und der Versuch gemacht werden, die kur-
zen Andeutungen, welche ursprünglich nur zu Merk-
zeichen für die eigene Wiedererinnerung des Schrei-
benden dienen sollten, durch vollere Ausführung des
Gedankens einem unmittelbaren Verständniss auch des
Lesers nahe zu bringen*). Unstatthaft jedoch, weil
nicht ohne Willkür durchführbar, wäre das Unterneh-
men gewesen, alle Unebenheiten der schriftstellerischen
Composition, welche in der Aufeinanderfolge und Be-
handlungsweise der erörterten Gegenstände besonders
im dritten Buch bemerklich werden, durch eingreifen-
dere Umstellungen und ähnliche kritische Eraftmittel
wegschaffen zu wollen. Da die griechische Urschrift
das Werk als noch im'Guss befindlich erscheinen lässt,
so durfte die deutsche Wiedergabe diesen Eindruck
nicht abschwächen. Durch eine manchmal unverhalt-
nissmässige Ausführlichkeit neben skizzenhafter Be-
handlung wichtiger Fragen (z. B. S. 98 unten, S. 139
oben), durch neue Anläufe mit eingehender und nichts
Neues bietender Wiederholung des bereits Erledigten
(z. B. S. 75, 189) und durch mannigfache andere Spu-
ren von Unfertigkeit möge auch der deutsche Leser
'*') Beispielsweise vergleiche man in der Stelle über
die Priorität des Staats vor dem Individuum den grie-
cbischen Text (p. 4, 1 — 10 Bekker) mit der obigen üeber-
tragung S. 9.
214
sich daran erinnert fühlen, dass er den richtigen Ge-
sichtspunkt zur Beurtheilung des Ganzen festhalten,
auf diejenigen stilistischen Anforderungen, denen nur
vollständig ausgearbeitete Werke genügen können,
verzichten und zufrieden sein müsse, das alle Trübun-
gen der Form durchbrechende Licht der aristotelischen
Gedanken auf sich einwirken zu lassen.
215
Action u. ProductionS.13.
Adel 21. 177.
Aesymneten 187. 196.
Alkaios 188.
Androdamas 126.
Antiroenides 188.
Antisthenes 181. .
Aphrodite 101.
Apollodoros 40.
Appellationsgericht 91.
Ares 101.
Argo 182.
Arkader 66.
Atarneus 88.
Athener 183.
Auswärtige Beziehungen
76. 87.
Aatophradates 88.
Babylon 76. 137. 183.
Barbaren 5. 16.20. 21. 187.
Besitz, Gleichheit des 84.
Chares 40.
CharilloR 111.
Gharondas 6. 124. 125.
Chier 183.
Dädalos 12.
Diokles 124.
Diophantos 90.
Drakon 125.
Ephialtes 123.
Ephoren S. 105.
Epidaranos 90. 197.
Epimenides 6.
Eubulos 88.
Euripides 5. 141.
Cfeldmünze 31.
Geronten 106. •
Gesetz 191. 198.
Götter nach menschlichem
Ebenbild 7.
Gorgias 47. 134.
Grosstädte 194. 195.
Gütergemeinschaft 65.
Handwerker 48. 146.
Heloten 99.
Herakles 182.
Hesiodos 6.
Hippodamos 90.
Homeros 7. 8. 12. 43. 86.
149. 186. 200.
Jason 142.
Industrie in den Händen
des Staats 89.
Karthago 116 ff. 133. 159.
Kelten 101.
Kinderzahl 78. 84. 104.
Kleisthenes 135.
Königthum 185 ff.
Kosmoi 112 ff.
Kreter 71,99. 108. 110 ff.
216
Kyme S. 97.
^arisa 134.
Lebensweisen 26.
Leibwache 187. 196.
Lesbier 183.
Leukas 84.
Lokri 84.
Lykophron 161.
Lyktier 111.
Lykurgos 102. 111. 124.
Meder 183.
Minos 111.
Neuerungen 96.
Onomakritos 124.
Opus 197.
Penesten 99.
Periandros 182.
Perikles 128.
Phaleas 83. 125.
Pharsalos 61.
Pheidon 79.
Philolaos 124.
Pittakos 126. 188.
Piaton bestritten S. 3. 11.
22. 23. 49. 54 ff. 125.
Politeia 80. 154.
Production und Action 13.
Recht 10.
Recht des Starkeren 19.
Rechtsstaat 159 ff.
Samier 183.
Scherbengericht 182.
Solon 29. 84. 122. 168.
Sophokles 47.
Sparta 99 ff. 186. 189.
Sprache jB.
Sprichwörter 23. 67.
Thaies 40. 124.
Theodektes 21.
Thrasybulos 182.
Tyrrhener 159.
Wahlen, indireote 82.
Weib 5. 43. 46. 47. 100.
Zahl, gerade 59. 74.
Zaleukos 124.
Zins 37.
Druok Ton Carl Georgl in Bonn.
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